So soll das Publikum Christian Spucks Monteverdi-Abend aufnehmen und in barocken Klängen und modernem Tanz schwelgen.
Es war ein Weckruf der besonderen Art, als im Dezember 1975 im Opernhaus Zürich drei Barock-Posaunen erklangen und Nikolaus Harnoncourt «Orfeo» dirigierte, das erste Stück des Monteverdi-Zyklus. Dieser Zyklus sollte nicht nur für Zürich, sondern ganz allgemein für die Oper legendär werden. Ein Meilenstein. Es war die Wiederentdeckung von Claudio Monteverdi, der rund 400 Jahre zuvor in Venedig das Musik-Theater erfunden hatte, damals etwas völlig Neues, Noch-nie-Dagewesenes, eine musikalische Revolution.
Während die Sparte «Oper» sich über die Jahrhunderte munter weiter entwickelte, legte sich der Staub der Zeit über Monteverdi und seine drei Opern «Orfeo», «Il ritorno d’Ulisse in patria» und «L’incoronazione di Poppea». Herbert von Karajan hatte schon in den sechziger Jahren «Poppea» mit einigem Erfolg an der Wiener Staatsoper aufgeführt, aber erst seit der spektakulären Wiederbelebung durch Nikolaus Harnoncourt und den genialen Regisseur Jean Pierre Ponnelle vor nunmehr fast fünfzig Jahren am Zürcher Opernhaus ist Monteverdi nicht mehr wegzudenken von den internationalen Opernbühnen. Wobei als vierter Teil gern auch das achte Madrigalbuch Monteverdis aufgeführt wird.
Dass die Verbindung Zürich & Monteverdi eine ganz besondere ist, wird sich nun einmal mehr in einer neuen Variante zeigen: Christian Spuck, auch er ein Neuerer unter den Choreographen, mit spektakulären und sehr persönlichen Tanz-Produktionen, hat sich Claudio Monteverdi vorgenommen. Es wird Spucks letztes grosses Tanztheater, bevor er 2023 zum Staatsballett Berlin wechselt.
Revolutionäres aus der Vergangenheit
Und warum gerade Monteverdi? «Weil ich die Musik liebe!», sagt Spuck und man glaubt ihm, dass es aus tiefstem Herzen kommt. Es ging aber auch darum, neue Wege im Tanz weiterzuentwickeln, die das Ballett Zürich mit den «Schwefelhölzern» zur Musik von Helmut Lachenmann oder auch mit dem Requiem von Giuseppe Verdi bereits höchst erfolgreich beschritten hat. «Mein Wunsch war, musikalisch in eine ganz andere Richtung zu gehen, das führte zu Monteverdi. Und dies aus zwei Gründen: weil mir – wie gesagt – die Musik wahnsinnig viel bedeutet und weil sie zurückgeht auf die Erfindung des Musiktheaters. Dem wollte ich nachspüren. In unserer täglichen Arbeit im Theater ist es für uns selbstverständlich, dass Emotionen von Menschen auf der Bühne dargestellt werden. Das war aber damals zu Monteverdis Zeit überhaupt nicht der Fall! Es war eine Revolution, ein Individuum auf der Bühne Gefühle zeigen zu lassen. Auf einmal hatte Musik nicht mehr mit Religion zu tun, sondern war weltlich.»
Können Sie sich erinnern, wann Sie das erste Mal Monteverdi gehört haben und was das bei Ihnen ausgelöst hat?, frage ich Christian Spuck. «Natürlich! Das war in den frühen neunziger Jahren, da habe ich eine Produktion gesehen mit Ausschnitten aus ‘Poppea’. Eigentlich hatte ich etwas Schwierigkeiten mit dieser Musik, gleichzeitig hat sie mich fasziniert. Ich war damals ziemlich jung, 17 Jahre alt. Später, in Brüssel, kam die Auseinandersetzung mit ‘ritorno d’Ulisse’, das ist mir unheimlich nahe gegangen, besonders die erste Arie der Penelope. Schon damals beeindruckte es mich, dass mit einem Minimum an musikalischem Aufwand, also mit einer Gesangsstimme und Basso continuo, grosse menschliche Gefühle erzählt werden und zwar so innig und berührend, dass es mich bis heute fasziniert.»
Keine tänzerische Nacherzählung
Schon vor drei Jahren hat Spuck entschieden, sich nun mit Monteverdi zu beschäftigen. Es ging ihm nicht darum, eine der Opern zu einem Ballett umzumodeln. Leitfaden war die Musik, die er vor allem im achten Madrigalbuch gefunden hat. «Da entdeckt man grossartige Sachen, wie etwa ‘Il combattimento di Tancredi e Clorinda’ oder ‘Il lamento della nimfa’. In diesen Werken gibt es zwar Geschichten, die wir aber nicht tänzerisch nacherzählen wollen. Wir versuchen, abstrakt damit umzugehen. Dennoch sind Geschichten zu erkennen, wenn ein Darsteller auf der Bühne versucht, Emotionen zu erzielen, ohne nachzubuchstabieren, was der Text erzählt.»
Das klingt anspruchsvoll. Und es ist anspruchsvoll, auch für Sängerinnen und Sänger auf der Bühne, die mit Tänzerinnen und Tänzern eine Einheit bilden und sich rhythmisch und im Tempo aufeinander einlassen müssen. «Mit den Augen hören und mit den Ohren sehen» nennt Spuck das, was beim Publikum ankommen soll. Um das zu erreichen, gibt es auch noch den Dirigenten. Ein Glücksfall, dass es Riccardo Minasi ist, der soeben auch zum Künstlerischen Leiter des Orchesters La Scintilla ernannt wurde, der Originalklang-Formation des Zürcher Opernhauses. «Riccardo ist ein absoluter Monteverdi-Spezialist und er versucht, dem Klang von damals nachzuspüren, also Monteverdi so puristisch umzusetzen, wie es seinerzeit wahrscheinlich geklungen hat», sagt Spuck. «Seit dem Monteverdi-Boom wurde musikalisch so viel dazu erfunden und ausgeschmückt. Riccardo versucht, das auf ein Minimum zu reduzieren. Er hat eine klare Vision, wie er diese Musik interpretieren will, und dieser Vision möchte ich folgen.»
Und wie reagieren Tänzerinnen und Tänzer auf diese Musik? «Bei vielen ist es die grosse Liebe, weil sie die Musik kennen und mögen. Manche brauchen aber auch erst etwas Anlauf- oder Lehrzeit, denn es ist ja keine Ballettmusik oder eine Musik, die von zeitgenössischen Choreographen bereits benutzt wird. Die Proben, mit Live-Gesang, sind extrem spannend für uns, weil die Phrasierungen ganz anders sind, weil die Sänger viel Freiraum für ihre Interpretation haben und weil die Tänzer darauf reagieren können. Es entsteht eine sehr enge Kommunikation zwischen Gesang und Tanz und dem Dirigenten.»
Schön melancholisch
Die Musik hat Christian Spuck selbst ausgesucht. «Ich habe lange daran gearbeitet, die richtige Reihenfolge für die Stücke zu finden», sagt Spuck. Viele der Musikstücke sind melancholisch, «schön melancholisch», und sie berühren Herz und Seele. «Damit es aber nicht nur eine Monteverdi-Arie nach der anderen und zwischendurch ein Madrigal ist, habe ich nach einem Gegengewicht gesucht … und italienische Schlager der Fünfziger- und Sechziger-Jahre gefunden. Wir spielen sie von einem kleinen Tonbandgerät ein. Die Schlagertexte haben eine grosse Ähnlichkeit mit dem, was Monteverdis Musik damals erzählt hat: Da gibt es den ewig Liebenden, den Verlassenen, den Melancholiker und so weiter. Das alles finden wir auch in den Schlagertexten!»
Und Corona? Spielt das auch eine Rolle in der gegenwärtigen Arbeit? Christian Spuck stöhnt …. «Ach, es ist so schwierig … Wir geben uns alle grosse Mühe, damit wir noch arbeiten können und um Musik und Tanz für das Publikum live auf die Bühne bringen zu können. Das ist für uns alle sehr kostbar und daran halten wir uns fest, aber es ist momentan eine verdammt schwierige Belastung …. für alle Menschen!»
Epidemie auch zu Monteverdis Zeiten
Unter einer Epidemie hatte übrigens auch Claudio Monteverdi zu leiden. Er war damals in Venedig bereits zum Kapellmeister von San Marco ernannt worden, hatte viel zu tun und war seit dem Tod seiner Frau auch alleinerziehender Vater zweier Söhne. Einer der beiden starb an der Pest, der andere wurde Arzt. Claudio Monteverdi komponierte viel und wandte sich immer mehr dem Musiktheater zu. Seine Musik galt damals als revolutionär und neu und war durchaus erfolgreich. Rund 18 Opern soll er komponiert haben, erhalten geblieben sind nur die drei, die schliesslich als Monteverdi-Zyklus berühmt wurden.
Nun hofft Christian Spuck, dass es bis zur Premiere keine coronabedingten Ausfälle gibt. «Ich weiss, dass die Tänzerinnen und Tänzer sich privat extrem einschränken und wenig Kontakte haben, um die Premiere nicht zu gefährden. Zweimal pro Woche gibt es ein Meeting, um alles zu besprechen und die Company wächst dadurch sehr eng zusammen.»
Opernhaus Zürich
«Monteverdi»
Ballett von Christian Spuck
Uraufführung: 15. Januar 2022