In der NZZ am Sonntag beklagte sich unlängst ein Leser, dass das Wort «Zirkus» in den Medien durch die Verbindung mit dem politischen oder sportlichen Showgeschäft ständig negativ besetzt werde. Dabei handle es sich beim richtigen Zirkus um «eine der ältesten Kultureinrichtungen». Bei Ausdrücken wie Polit-Zirkus, Ski-Zirkus, Formel-1-Zirkus oder Tennis-Zirkus aber fehle es bewusst an Respekt gegenüber dieser ehrwürdigen kulturellen Institution, bei der – anders als im Sport – «das ganz grosse Geld» nicht verdient werden könne.
Das Zirkus-Beispiel ist gewiss nicht der einzige Fall, bei dem ein Wort oder Begriff durch bestimmte Kontext-Verbindungen eine eindeutig negative, positiv überhöhte, herablassende, irreführende oder verleumderische Bedeutung bekommen kann. Bei den Kämpfen im Zweiten Weltkrieg war in den Verlautbarungen des Hitler-Regimes jeweils von «Frontbegradigungen» die Rede, wenn es sich in Wirklichkeit um militärische Rückzüge handelte. Das Online-Magazin «Republik» tituliert gewöhnliche Abonnenten hartnäckig als «Verleger». Wobei unklar bleibt, ob das ein schlechter Witz oder nur ironisch gemeint sein soll – denn natürlich hat ein zahlender Leser mit einem in der Regel allmächtigen Verleger gar nichts zu tun.
In der politischen Arena zählen bedeutungsschwangere Begriffe, wie Kapitalismus, Sozialismus, Rassismus, Antisemitismus, Faschismus inzwischen weitherum zum Standard-Vokabular. Zwar gibt es für diese Ismen auch wissenschaftlich mehr oder weniger akzeptierte Definitionen. Doch in der Hitze des politischen Getümmels werden diese Wörter besonders häufig als Kampfbegriffe eingesetzt, mit dem man den Gegner zu denunzieren oder jedenfalls in eine verdächtige Ecke zu manövrieren sucht.
Zu erinnern wäre da an den noch nicht lange zurückliegenden Präsidentschaftswahlkampf in Amerika: Jeder sozialpolitische Vorschlag seitens der Demokraten wurde von Trump unfehlbar als «Sozialismus» oder «Kommunismus» gebrandmarkt. Umgekehrt fehlte es unter den Biden-Anhängern nicht an Eiferern, die geneigt waren, alle Trump-Fans pauschal als «Faschisten» abzustempeln.
Über den Begriff «Rassismus» und dessen inhaltliche Bedeutung wird heute mit guten Gründen intensiver als je zuvor debattiert und gestritten. Und zweifelsohne kann man festhalten, dass das allgemeine gesellschaftliche Bewusstsein zum weitgespannten Themenkreis Rassendiskriminierung und soziale Ausgrenzung in den letzten Jahren sensibilisiert und vertieft worden ist. Doch auch diese Begriffe lassen sich auch leicht als denunziatorische Kampfwörter missbrauchen.
Nicht jeder, der die Beseitigung alter Hausinschriften in der Zürcher Altstadt mit dem Wort «Mohr» für falsch hält, sollte deshalb schon als «Rassist» beschimpft werden. Das gilt auch für jene Literaturfreunde, die nicht bereit sind, den Titel von Shakespeares Tragödie «Othello, der Mohr von Venedig» oder von Puschkins Roman «Der Mohr Peters des Grossen» im Sinne einer angeblichen politischen Korrektheit zu korrigieren. Auch nicht jede Kritik an der Politik der israelischen Regierung oder der palästinensischen Führung darf unbesehen und reflexartig mit dem Vorwurf des «Antisemitismus» oder der «Islamophobie» dämonisiert werden.
Wer so undifferenziert oder unhistorisch argumentiert, muss sich nicht wundern, wenn derartiger sprachlicher Übereifer von andern Kritikern wiederum zum politischen Zirkus erklärt wird. Oder vielleicht sollte man bei solchen Zusammenhängen statt auf den ehrwürdigen Zirkus eher auf Begriffe wie Schlammschlacht oder Show-Geschäft zurückgreifen.