Ab und zu schreibe ich einen Beitrag zur schweizerischen Landwirtschaft. In der Zwischenzeit sammle ich die vielen Vorschläge, die legitimierte Kreise unterbreiten, um irgendwann dem undurchsichtigen Gewirr von Subventionen, Direktzahlungen und statistischen Wundern wenigsten tendenziell zu entrinnen. Doch es wiederholt sich immer das gleiche Szenario: Als gäbe es nur Beifall für die im Bundes-, National- und Ständerat zementierte Bauernpolitik, bleibt diese standhaft fragwürdig und rückwärtsgewandt. Finanzielle Forderungen der Bauern fallen dort jederzeit auf offene Ohren und spendable Clubmitglieder (der „Bauernclub“, nachfolgend „Club“ genannt, setzt sich zusammen aus SVP-, FDP-, CVP-Fans). Sie spenden grosszügig, allerdings nicht ihr eigenes Geld.
Milch, Milch, Milch
Am offensichtlichsten treten die Probleme unserer Bauern bei der Milch zutage, resp. dem Milchpreis, den sie erhalten. Nachdem mit Subventionen immer grössere Ställe für die schweizerischen Kühe in die Landschaft gestellt werden, gibt es immer mehr Milch, für die es im Land nicht genügend Absatz gibt. Dabei spielt natürlich noch etwas anderes eine Rolle: Die Milchleistung pro Kuh ist von einst 6‘000 Litern/Jahr auf 12‘000 Liter gestiegen, ein Prozess, der nur möglich ist dank Züchtung, Futterzusätzen und Kraftfutter (aus dem Ausland).
Deshalb sinkt der Milchpreis unter den Kostendeckungsgrad. Von der geforderten Marktöffnung, resp. Marktliberalisierung, um frischen Wind in eine überreglementierte Branche zu blasen, will der Bundesrat nichts wissen. Seit Jahrzehnten wird deshalb ein Teil des Milchüberschusses nach Afrika verschenkt, was die dortige Landwirtschaft in grosse Bedrängnis bringt. Man stelle sich vor, die EU würde ihre Butter- und Käseüberschüsse gratis in die Schweiz liefern!
Also, was tut der Bauernverband: Er fordert höhere Milchpreise.
Gift, Gift, Gift
Wie schon oft in den letzten Jahren weisen die Zahlen der Nationalen Grundwasserbeobachtung Naqua mit Nachdruck darauf hin, dass bei den Trinkwasserfassungen immer häufiger zu viele Pestizide gemessen werden. Der Toleranzwert liegt bei 0,1 Mikrogramm pro Liter Wasser. „In Gebieten mit intensiver Landwirtschaft wird dieser Wert sogar bei 70 Prozent der Messstellen überschritten“, klagt Martin Sager, Direktor des Schweizerischen Vereins des Gas- und Wasserfaches (NZZ am Sonntag).
Das Institut Ffs Zürich hat im Auftrag der Wasserversorger eine Umfrage bei 1006 Personen durchgeführt. 78 Prozent gaben an, sie würden strengere Vorschriften für den Einsatz von Pestiziden begrüssen. Schliesslich möchten wir alle weiterhin Trinkwasser aus dem Hahn geniessen können.
Innerhalb von zwei Tagen äusserten sich im TA zwei Bauern zum Problem. Der eine, Roger Gündel, bewirtschaftet seinen Hof mit 15 Hektaren pestizidfrei, nach dem biologisch-dynamischen System und gehört damit zu den 14 Prozent Knospe-Label-Produzenten. Der andere, Pascal Occhini, ist Inhaber eines Swiss-Gap-zertifizierten Musterbetriebes, den er nach den Regeln der Integrierten Produktion bewirtschaftet. Sein Statement auf dem Rundgang durch seine Kulturen: „Ohne Herbizide wären die Kohlblätter voll weisser Fliegen und sähe mein Feld so aus, da würde kein einziger Kohl mehr wachsen.“
Bauern als Grossverdiener
Längst wissen wir, dass Grossbauern riesige Subventionen kassieren. Angesichts des Bauernsterbens (drei Bauern geben täglich auf) ist es nur logisch, dass die relevanten Landwirtschaftsflächen von anderen Bauern übernommen werden. Diese an sich vernünftige Entwicklung würde in jeder anderen Branche die Strukturbereinigung fördern. In der Landwirtschaft heisst es jedoch gleichzeitig, dass die Anzahl Bauernhöfe, die mehr als 300‘000 Franken Direktzahlungen erhalten, von Jahr zu Jahr steigt. Rang 1 mit 582‘000 Franken (2015) löst nicht nur in Konsumentenkreisen Kopfschütteln aus, jetzt protestieren auch die Kleinbauern. Es zeigt sich, dass die heutige Agrarpolitik (gültig für die Jahre 2014–2017) diese Diskrepanzen fördert. Kassierten 2013 noch 223 Höfe, waren es 2015 bereits 357, die zwischen 200‘000 und 300‘000 Franken jährlich einstrichen. „Vergoldete Bauernhöfe“, sagt der Volksmund zu dieser Entwicklung. Der Bundesrat verteidigt sich und lenkt ab.
Dem Untergang geweiht?
Diskussionen um die Milliardensubventionen für die Landwirtschaft enden oft mit der Behauptung, die Schweizer Bauern wären ohne staatlichen Schutz dem Untergang geweiht. Wer versucht, differenzierter zu argumentieren, hat einen schweren Stand. Natürlich wollen wir unsere Bauern und natürlich sind jene in den Voralpenregionen zusätzlich finanziell zu unterstützen. Dennoch: unsere Landwirtschaft, die weniger als ein Prozent zur Wertschöpfung im Land beiträgt, gehört mit Rang 26 von 29 Ländern zu den Schlusslichtern der entsprechenden OECD-Statistik. Unser Agrarschutz, der teilweise absurde Dimensionen erreicht, basiert auch auf clever inszenierten Mythen.
Einer dieser Mythen nennt sich Ernährungssicherheit. Dass dies eine Illusion ist und bleibt, verhindert nicht, dass Mitglieder des oben erwähnten Clubs daran arbeiten, mit einer Volksinitiative eine weitere Stufe der Konsumentenbevormundung einzuläuten. Tatsächlich wäre gemäss NZZ etwas ganz anderes notwendig: eine Marktöffnung anstelle der Abkapselung. Marktöffnung hiesse gleichzeitig für die Landwirtschaft Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, auch für die nachgelagerten Verarbeitungsbetriebe.
Noch mehr Abschottung?
Nicht weniger als vier Volksbegehren sind in der Pipeline in Bern, für die der „Club“ schon heute kräftig weibelt. Am Absurdesten: die Hornkuhinitiative. Findige Clubmitglieder haben errechnet, dass man auch für Kühe, Stiere und Ziegen Zusatzsubventionen auslösen könnte, würde man deren Hörner wachsen lassen. Allerdings müsste dazu das Volk zuerst noch ja sagen.
Die Volksinitiative „für Ernährungssicherheit“ ist oben schon angesprochen. Als drittes Objekt der Begierde steht die „Fair-Food Initiative“, die noch restriktivere Vorschriften für importierte Nahrungsmittel fordert und somit einen nochmals zusätzlichen Protektionismus, der heute schon in breiten Kreisen für Unverständnis sorgt. Noch nicht genug damit: Viertens liebäugeln Westschweizer Clubmitglieder mit ihrer Ernährungssouveränitätsinitiative, die lokale landwirtschaftliche Produktion gegen Importkonkurrenz noch radikaler abzuschotten versucht.
Beim Schummeln hört es auf
Ernährungssicherheit, Ernährungssouveränität, „natürlich aus der Schweiz“ – die Ideen der Marketingleute im Auftrag des „Clubs“ – sie alle können nicht wegfressen, dass die Schweizer landwirtschaftliche Produktionskette sehr stark abhängig ist vom Ausland. 71 Prozent des Pouletfutters, 55 Prozent der Futtermittel für Schweine und nochmals 55 Prozent des Kraftfutters für unsere Kühe werden importiert. Dieses Kraftfutter aus Soja, Mais und Weizen beansprucht im Ausland eine Bodenfläche, die mehr als halb so gross ist wie unsere einheimische Anbaufläche gesamthaft. Soja kommt zudem aus dem brasilianischen Regenwald, der dafür abgeholzt wird.
Somit sind die mit Alphornklängen untermalten Propagandarufe für Ernährungssicherheit in Wirklichkeit getarnte Versuche der Branche, die Schweiz auf unsere Kosten weiter von der Welt abzuschotten. Denn längst bezahlen wir – neben den Milliardensubventionen – für Fleisch zum Beispiel sagenhaft überhöhte Preise (Importbewilligungen und Schutzzölle) im Supermarkt. Dies wiederum hat schon längst zum beklagten Einkaufstourismus im Ausland geführt.
Einkauftourismus jenseits der Grenze
Die Geschichte jenes Skitouristen, der für seine Freunde 160 kg Fleisch über die Grenze schmuggeln wollte und dafür, da dummerweise erwischt, viel teurer bezahlte, als wenn er es am Ferienort gekauft hätte, macht darauf aufmerksam, dass der Einkaufstourismus floriert wie noch nie. Inzwischen hat er eine Grössenordnung von geschätzten 2,5 Milliarden Franken allein für Lebensmittel jährlich erreicht. Dies entspricht gleichzeitig einer Summe von annähernd 550 Mio. Franken, die dem Bund bei der Mehrwertsteuer durch die Latten gehen.
Bei Umfragen vor Ort, am nördlichen Ufer des Bodensees, ergeben Befragungen dieser Einkaufstouristen regelmässig die gleichen Antworten: „Wir sind doch nicht blöd“, sagen sie und meinen damit die Fleisch- und Milchproduktpreise, die sie dafür zuhause entrichten müssten und die sie als „jenseits von gut und böse“ bezeichnen. Gleichzeitig beklagen sich unsere Bauern über Absatzschwierigkeiten für ihre Produkte. Eine absurde Situation.
Der „Club“
Die Mitglieder dieses Clubs, auch Lobbyisten genannt, sorgen in Bern unermüdlich dafür, dass Subventionen, Flächenbeiträge, Mittel für Fleischabsatzförderung, Exporthilfen, Überschussverwertung und vielen weiteren kleinen Geschenken störungsfrei fliessen wie ein Bergbach. 51 von 246 eidgenössischen Parlamentariern haben Interessenverbindungen zum Agrobusiness (TA). Dies ist ein vielsagendes Verhältnis, wenn man an das eine Prozent der Wertschöpfung des Sektors denkt. Warum akzeptiert das Schweizer Publikum diese Aufführung?
Milliarden verschwendet
Avenir Suisse hat kürzlich im Rahmen seiner Vorschläge zur Verbesserung des Bundesbudgets Vorschläge unterbreitet, basierend auf einer Online-Umfrage mit 20‘000 Teilnehmern. Nicht überraschend betreffen vom erfassten Sparpotenzial von 9 Milliarden Franken deren 2,5 die Landwirtschaft. Mittelfristig wäre die staatliche Unterstützung von heute 60 Prozent (sechzig!) der Bruttoeinnahmen der Bauern auf das Niveau der EU zu senken, wobei die Kosten für die Pflege des Kulturlandes zu entkoppeln wären.