Ein international tätiger Konzern begreift besser als das nationale Parlament, dass Hilfe und Engagement für Entwicklung und Zusammenarbeit im wohlverstandenen Interesse der Schweiz sind, in Wirtschaft und Politik. Das Novartis Symposium 2010 hat wieder Einiges gezeigt über den Stand der Entwicklungszusammenarbeit in der Welt.
Die Novartis Stiftung für nachhaltige Entwicklung ist das andere Gesicht des Basler Pharmakonzerns. Während im Unternehmen Kosten gespart und Stellen abgebaut werden, geniesst die Entwicklungsstiftung mit einem steigenden Budget das Wohlwollen von Konzernchef Vasella und Top-Manager Jimenez.
Das muss einen guten Grund haben. Aus reiner Menschenliebe wird der Novartis-CEO Joe Jimenez, früher Ketchup-Manager („Heinz“) und Private-Equity Berater, das Budget der Novartis-Stiftung nicht aufgestockt haben. Die Massnahmen, die er dem Konzern sonst verordnet, sehen ganz anders aus: Stellenabbau (1400 Stellen in den USA), Schliessung von Produktionsanlagen, Steigerung von Effizienz und Gewinnmargen – das ist nur eine Auswahl. Jimenez steuert seit Jahren einen konsequenten Sparkurs, und die Budgetgespräche sollen für 2011 besonders hart gewesen sein. Um so glücklicher zeigte sich Klaus M. Leisinger beim diesjährigen Symposium, das den „Millenniums-Entwicklungszielen“ der UNO gewidmet war1. Er hat für das Jahr 2011 nicht nur symbolisch wertvolle sechs Prozent mehr zur Verfügung.
Für Novartis mit rund 50 Milliarden Jahresumsatz ist die Aufstockung kein grosser Betrag, aber er ist präzise begründet. Das Geld wird sehr zeitgemässen Projekten in Afrika zugute kommen: „e-health“ wird davon profitieren, etwa für die Entwicklung, Verbreitung und Anwendung von Lernsoftware für Pflegepersonal. Oder die Förderung von „m-health“-Projekten für mobile Gesundheitsdienste. Die Bedeutung des Mobiltelefons für die wirtschaftliche Entwicklung insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent kann gar nicht überschätzt werden. Mobile Kommunikationsdienste aller Art verbreiten sich auch südlich der Sahara rasend schnell, und sie machen auch Sinn für die Verbindung zu medizinischen und ärztlichen Dienstleistungen.
Zwischen Geschäft und Menschenliebe
Man mag annehmen, dass der Kalifornier Jimenez aus der Kultur amerikanischer Unternehmen heraus handelt, die der Gesellschaft für Kultur und Soziales etwas zurück geben aus dem Gewinn, den sie erwirtschaften. Bei der Begrüssung am Symposium erklärt er: „Es ist niederschmetternd: Alle 45 Sekunden stirbt ein Kind an Malaria, und die Krankheit ist der Grund für 20 Prozent der Kindersterblichkeit. Es bricht einem das Herz, wenn man daran denkt, dass wir mit einer kleinen Zahl gezielter, kostengünstiger Massnahmen einen grossen Teil der Kinder- und Müttersterblichkeit und der Todesursachen bei den Armen beseitigen könnten.“ Menschliche Betroffenheit oder gesellschaftliche Verantwortung eines Unternehmens sind zwei gute Gründe für ein anständiges Budget. Möglicherweise macht Hilfe für die Armen und Zusammenarbeit für Entwicklung für einen weltweit tätigen Konzern aber auch ganz kühl rechnerisch Sinn. Wie für uns alle, mittel- und langfristig.
Novartis unterscheidet selber präzise zwischen Marketing-Aktivitäten in Schwellenländern und den „philanthropischen“ Projekten der Novartis-Stiftung. So hat Novartis India vor zwei Jahren in ländlichen Gebieten Indien das Business-Projekt „Arogya Parivar“ lanciert, das Projekt „Gesunde Familie“. In einer gezielten Informationskampagne schickt Novartis dort „Gesundheitslehrer“ und Ärzte in den Einsatz gegen Krankheiten wie Tuberkulose, schlechte Mangelernährung von Kindern und Müttern oder Magendarm-Erkrankungen (Durchfall ist eine der wichtigen Todesursachen in den ärmsten Gebieten der Welt). Die nötigen Medikamente werden in kleinen Mengen abgegeben, damit die Menschen dafür nicht zuviel Geld auf einmal ausgeben müssen. „Arogya Parivar“ ist also auf die Bedingungen armer ländlicher Gebiete ausgerichtet, aber es wird ganz klar als „Business-Modell“ deklariert.
Als gemeinsames philanthropisches Projekt von Novartis und Novartis-Stiftung kann man den Einsatz gegen die Lepra bezeichnen. Im Oktober 2010 hat Joe Jimenez mit der WHO-Generaldirektorin Margaret Chan eine neue Vereinbarung unterzeichnet, mit der Novartis der WHO eine erneute Gratisabgabe von Lepra-Medikamenten im Wert von 26 Millionen US Dollar zusichert, plus 2,5 Millionen für die Verteilungskosten. Bislang hat Novartis nach eigenen Angaben mit dem kostenlosen Lepraprogramm zur Heilung von rund 5 Millionen Leprapatienten weltweit beigetragen. Die Novartis-Stiftung spielt bei der Verteilung der Medikamente und der Re-Integration geheilter Leprapatienten eine zentrale Rolle.
Brot, Menschenwürde und Demokratie
Klaus M. Leisinger prägt die Novartis-Stiftung, seit es sie gibt. Die „Unternehmenspolitik für die Dritte Welt“ ist seit 30 Jahren – ursprünglich noch beim Novartis-Vorgänger CIBA – sein Kerngeschäft. Er hat nach der Fusion zur Novartis Konzernchef Daniel Vasella von der Stiftungsidee überzeugt. Und er hat die „Novartis Foundation for Sustainable Development“ in der Schweiz und in der Welt einflussreich vernetzt, von der „Swiss Academy for Development (SAD)“ über Entwicklungsprojekte in Afrika, Asien und Lateinamerika bis hin zur Weltgesundheitsorganisation WHO und ins Zentrum der UNO. Für UN-Generalsekretär Kofi Annan war Leisinger Sonderberater für „Global Compact“, den Ethik-Kodex für global tätige Unternehmen. Dieser Tage ist er in Kambodscha und in China unterwegs, unter anderem für ein „Human Rights Assessment“.
Medizin und Brot für die Armen, Menschenwürde am Arbeitsplatz und Demokratie – „good governance“ - gehören zusammen, eines kann ohne die anderen nicht gesichert werden. Und es gibt Fortschritte. So paradox es erscheint: Die Konflikte, die wir in den letzten Jahren in Afrika immer wieder erleben, zeigen nicht nur Regierungschefs wie Laurent Gbagbo an der Elfenbeinküste oder Mwai Kibaki in Kenia, die von ihrer Macht nicht lassen können. Sie zeigen auch eine Bevölkerung, die Widerstand leistet gegen die Despoten und begonnen hat, bei den Wahlen die Regierenden zur Verantwortung zu ziehen, sprich: abzuwählen. Wer erfolgreiche Entwicklungspolitik treiben will, muss diese Verantwortung der politischen Führer gegenüber ihrem Volk stützen und stärken.
Frauen-Power für multilaterale Zusammenarbeit
Das war beim Novartis-Symposium 2010 das grosse Plädoyer von Eveline Herfkens2: Entwicklungszusammenarbeit muss auch darauf bedacht sein, dass die Empfängerländer nicht in erster Linie den Geberländern rechenschaftspflichtig sind sondern ihrem Parlament und ihren Wählerinnen und Wählern. Herfkens hat diese Politik schon als holländische Entwicklungsministerin betrieben, vor allem in der „Viererbande“ der „Utstein Group“: Sie hat diese Gruppe gegründet zusammen mit drei Amtskolleginnen: der Engländerin Clare Short, der Deutschen Heidemarie Wieczorek-Zeul und der Norwegerin Hilde F. Johnson.
Die vier Frauen haben nicht nur ab 2002 die Entwicklungspolitik ihrer Länder koordiniert – und damit beträchtliche multilaterale Frauen-Power entwickelt -, sie haben auch eine Partnerschaft mit Entwicklungsländern aufgebaut. Und sie haben von den Empfängerländern verlangt, dass sie ihr eigenes Haus in Ordnung bringen: Korruption bekämpfen, Demokratie stärken, kriegerischen Konflikten vorbeugen und Armuts-Bekämpfung ins Zentrum ihrer Politik stellen.
Die vier starken Frauen sind heute nicht mehr im Amt. Aber Probleme in Entwicklungsländern sind nach wie vor kein Grund, Entwicklungspolitik aufzugeben. sondern Grund, effiziente demokratische Strukturen zu fördern und den politischen Führungen dafür die Mittel in die Hand zu geben. Herfkens, heute unter anderem Beraterin der Weltbank und der OECD, stellt durchaus fest, dass noch immer zu viele Missstände bestehen. Aber sie verweist auch auf die Fortschritte, die in den letzten Jahren gemacht worden sind. Und diese Fortschritte sind messbar.
„Good Governance“ ist messbar – der Ibrahim Index
Wer es wissen will, kann heute den Ibrahim Index3 über die „African Governance“ zu Rate ziehen. Der Index liefert eine Rangfolge der 53 afrikanischen Länder unter dem Gesichtspunkt der „Good Governance“. Gemessen werden Sicherheit (vor Gewalt) und Rechtssicherheit, Demokratische Teilnahme und Menschenrechte, Chancen nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung und Lebensbedingungen (Gesundheit, Bildung, Wohlstand). Es verwundert nicht, dass am Ende dieser Liste Länder wie Somalia, Tschad, die Demokratische Republik Kongo, Eritrea und Simbabwe stehen – alles Länder in denen Bürgerkrieg oder bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen. An der Spitze der „Good Governance“ stehen Mauritius, die Seychellen, Botswana, vie Kapverdischen Inseln, Südafrika, Namibia, Ghana.
Auffallend sind aber auch die Fortschritte in zahlreichen Ländern, sei es bei den Bedingungen für nachhaltige Wirtschaft, sei es bei der Rechtssicherheit. An der Spitze stehen da Burkina Faso, Angola, Djibouti, die Komoren, und gute Werte verzeichnen auch der Kongo, Ghana, Mozambique. Basis dieser Bewertungen sind die Statistiken Internationaler Organisationen wie der Weltbank, des Währungsfonds, der Internationalen Entwicklungsbank oder privater Unternehmen wie der (konservativen) Heritage Foundation oder des Wall Street Journal.
Dahinter steht einer der 200 reichsten Männer der Welt („Forbes“), der Milliardär Mo Ibrahim mit seiner Stiftung. Seine Urteilsfindung ist kompromisslos. Nach seinem enormen Erfolg als Mobilfunkunternehmer in Afrika hat er sich die Frage gestellt, woran die Entwicklung der Länder auf seinem Kontinent immer wieder scheitert, und die Antwort war klar: sie scheitert am Mangel an „Good Governance“. Dies zu ändern, hat er sich zur Lebensaufgabe gemacht, unter anderem in Zusammenarbeit mit Kofi Annan.
Ein Preis für demokratischen Leadership
So verleiht die Ibrahim-Stiftung an ehemalige, demokratisch gewählte afrikanische Staats- oder Regierungschefs mit demokratisch herausragendem Leistungsausweis, die ihr Amt im Rahmen der Verfassung ausgeübt und abgegeben haben, den Ibrahim Prize – das sind fünf Millionen US Dollar für zehn Jahre und danach 200'000 Us Dollar jährlich auf Lebenszeit. 2007 ging der Preis and Joaquim Alberto Chissano, den zweiten Präsidenten von Mozambique und an Südafrikas Nelson Mandela. 2008 wurde der dritte Präsident von Botswana damit geehrt, Festus Gontebanye Mogae. 2009 und 2010 wurde der Preis nicht verliehen – eine Entscheidung, die Mo Ibrahim von Anfang an vorgesehen hatte, wenn keine würdige Person zu finden wäre: „Die Anforderungen, die an den Gewinner gestellt werden, sind hoch und die Zahl potentieller Kandidaten gering.“
Die Mo Ibrahim Stiftung unterstützt insgesamt „vorbildliche Afrikanische Leadership, die die wirtschaftlichen und sozialen Perspektiven der Völker Afrikas verbessert“, und mit dem Ibrahim Index will sie „Massstäbe bereit stellen, nach denen die Staatsbürger die Leistungen ihrer Regierungen messen und diese zur Rechenschaft ziehen können.“ Das ist die Anwendung unternehmerischer Messmethoden auf die „Produktion von Demokratie“. Und darüber waren sich die Experten beim Novartis-Symposium einig. Missstände sind unübersehbar und können von den Gegnern der Entwicklungshilfe leicht instrumentalisiert werden. Aber die Erfolge von Hilfe und Zusammenarbeit sind heute messbar und sichtbar.
Mit der Verbindung von Anforderungen an die „Good Governenance“ und Beiträgen zu selbstverantwortlichem Handeln müssten grundsätzlich, so Eveline Herfkens, auch die Geberländer arbeiten. Im Klartext: es kann nicht darum gehen, mit Entwicklungshilfe politisch-wirtschaftliche Gegengeschäfte zu verbinden oder die Empfänger in aufwendige Rechenschaftspflichten gegenüber den Gebern zu verstricken. Die Geber müssen vielmehr die Empfänger zu „good governance“ in Politik und Wirtschaft drängen und unter dieser Voraussetzung möglichst direkte Finanzhilfe leisten, die in das Budget der Empfängerstaaten eingehen. Denn über dieses Budget müssen die Regierungen dann der eigenen Bevölkerung Rechenschaft ablegen.
Herfkens: „Es geht nicht um ‚unsere’ Projekte, das heisst: um die Projekte Hollands oder der Schweiz, sondern es geht um ‚ihre’ Entwicklung.“ Als Ministerin hat sie in Ghana mit direkter Finanzhilfe veranlassen können, dass behandelte Moskitonetze billiger abgegeben wurden, ein wesentlicher Beitrag zum erfolgreichen Kampf gegen die Malaria. Und nach den Überschwemmungen in Mozambique im Jahr 2000 hat sie ebenfalls mit direkter Finanzierung dazu beigetragen, dass ein Jahr danach die Schulen wieder standen, während viele andere Hilfsprojekte noch in komplizierten Verhandlungen steckten. – Ghana und Mozambique gehören zu den Ländern mit guten bis sehr guten Werten im Ibrahim Index.
(Fortsetzung folgt mit Teil 2: Aus der Armut auf den Markt)