"Pariser Gipfel zur Unterstützung des libyschen Volkes - Samstag 19. März 2011" stand in grossen Lettern an der Wand des Elyséepalastes, vor der die 20 Mitglieder der internationalen Anti-Ghadhafi-Koalition plus UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zum Gruppenphoto Aufstellung genommen hatten.
In der Mitte, von Aussen- und Premierminister flankiert, stand Nicolas Sarkozy. Hillary Clinton und David Cameron waren ein ganzes Stück weiter weg platziert und Angela Merkel, in Rot und deswegen besonders gut sichtbar, diesmal ganz weit weg. Wie muss sie sich gefühlt haben nach der deutschen Enthaltung zur UN-Resolution? Wie fühlte sie sich bei diesem in Rekordzeit einberufenen Kriegsrat, der gerade zu Ende gegangen war und bei dem man eigentlich gar nichts mehr zu beraten hatte? Es ging eigentlich nur noch darum, unter dem Goldstuck des Elyséepalastes an einer riesigen Tafel zwischen zwei Bissen bestenfalls ein paar Statements abzugeben. Denn als im französischen Präsidentenpalais noch getafelt wurde, waren Frankreichs Kampfflugzeuge bereits über dem libyschen Luftraum.
Frankreich macht wieder Weltpolitik
Das Gruppenphoto jedenfalls und die anschliessende Erklärung von Präsident Sarkozy, allein vor den Flaggen Frankreichs und Europas und vor den Kameras aus aller Welt, sprachen Bände: Es ging um die Inszenierung eines diplomatischen Erfolgs Frankreichs und die Botscchaft, dass der Elysée wieder Weltpolitik macht.
Während der französische Präsident verkündete, die militärischen Einsätze über Libyen hätten begonnen, stellten ihm draussen, auf den Treppen zum Elyséepalast, der belgische Ministerpräsident und der UN-Generalsekretär schmeichelnde Zeugnisse aus: Frankreich habe in dieser Angelegenheit zweifelsohne die Führungsrolle inne, war zu hören.
Es sind nur wenige Wochen vergangen, doch es scheinen Lichtgjahre dazwischen zu liegen: Die halbe Welt hatte sich lustig gemacht über den Zustand der französischen Diplomatie, die in Tunesien und in Ägypten nichts hatte kommen sehen. Sie schien aus einem tiefen Winterschlaf zu erwachen, als die Volksaufstände in diesen beiden Ländern begannen. Belastet war sie durch eine Aussenministerin und einen Premierminister, die in eben diesen Ländern sich hatten während ihrer Weihnachtsferien einladen lassen. Vor allem in Tunesien war Frankreich innerhalb weniger Tage schlicht zum Gespött geworden.
Die Hälfte von Ghadhafis Kriegsgerät stammt aus Frankreich
Und nun? An einem Montag Abend erfährt man, dass Präsident Sarkozy am Dienstag Vormittag zwei Vertreter der libyschen Opposition, des so genannten "Nationalen Übergangsrates" im Elyséepalast empfangen wird - exakt dort, wo ein gewisser Muamar Al Ghadhafi vor 3 Jahren und vier Monaten den roten Teppich hinuntergeschritten war. Er stieg in seine überlange weisse Limousine, um sich exakt 50 Meter weit fahren zu lassen: ins daneben liegende Gästehaus der französischen Republik, in dessen Garten er sein Beduinenzelt aufgeschlagen hatte.
Zuvor war er neben einem griessgrämig ausschauenden Nicolas Sarkozy minutenlang hinter einem Schreibtisch gestanden, an dem libysche Vertreter und Aufsichtsratsvorsitzende der französischen Grosskonzerne reihenweise Verträge unterschrieben. Unter anderem ging es auch über die Lieferung von Waffen und eines Atomkraftwerks! Noch Ende letzten Jahres wurde mit Tripolis über den Verkauf französischer Rafallekampfflugzeuge verhandelt. Mindestens die Hälfte von Ghadhafis Kriegsgerät ist französischer Provenienz, und Frankreichs Rüstungsindustrie hat derzeit angeblich Aufträge für Libyen in der Höhe von 2,7 Milliarden Euro.
Wieder eine typische Sarkozy-Aktion: vorpreschen, Wind machen
Nun also schüttelte Präsident Sarkozy, der kurz zuvor gesagt hatte, Ghadhafi und seine Clique müssten verschwinden, den Vertretern der libyschen Opposition gut sichtbar am Portal des Elysée die Hände. Doch damit nicht genug. Als sie die Stufen des Präsidentenpalastes hinunter schreiten, treten sie vor die Kameras und erklären - Sarkozy hatte ihnen dafür grünes Licht gegeben -, dass Frankreich den Nationalen Übergangsrat Libyens offiziell anerkennt: Erstaunen bei den Pressevertretern, noch grösseres Erstaunen, als die Nachricht in Brüssel eintrifft, wo die EU-Aussenminister gerade über Libyen diskutieren und der neue französische Aussenminister nicht weiss, wie ihm geschieht.
Wieder mal eine typische Sarkozy-Aktion, sagt man sich: vorpreschen, Wind machen und Schaum schlagen ist nun mal seine Sache.
Regisseur Bernard-Henry Levy, der Vorzeige-Intellektuelle
Was man zu dieser Stunde aber noch nicht weiss: Hinter dieser Aktion steckt Frankreichs Vorzeigeintellektueller, Bernard-Henri Levy. Der war eine Woche zuvor wieder einmal in die Rolle des literarischen Reporters geschlüpft. Mit offenem weissen Hemdkragen und stürmischer Haarwelle war er nach Libyen geeilt und hatte dort die Vetreter der Opposition getroffen.
Von Beghasi aus hatte er Staatspräsident Nicolas Sarkozy überzeugt, die beiden Vertreter des Nationalen Übergangsrates zu empfangen. Doch auch damit nicht genug. Bernard-Henri Levy war beim Empfang selbst in den Elyséepalast gehuscht. Und drei Stunden nach dem überraschenden Auftritt der beiden Oppositionsvertreter vor den Kameras im Elysée, meldeten die Agenturen plötzlich, Frankreich sei für gezielte Militärschläge gegen strategische Einrichtungen des Ghadhafi-Rergimes. Die Quelle wurde nicht genannt. Sie hiess: Bernard-Henri Levy.
Dieser Multifunktionär verwaltet ein riesiges Vermögen. Er sitzt in mehreren Aufsichtsräten von Presseorganen. Er ist Herausgeber, manchmal schreibt er auch noch Bücher und realisiert ab und zu Reportagen. Ansonsten gibt er in Fernsehstudios seine Figur ab. Jetzt ist er auch noch zum Elyséesprecher mutiert. Hat dieser Bernard-Henri Levi an diesem Diesntag Vormittag wirklich Präsident Sarkozy dazu gebracht, in Libyen militärisch einzugreifen und alles zu tun, um die Partner von dieser Notwendigkeit zu überzeugen?
Zwei Tage später später stand in New York die Abstimmung über die UNO-Resolution 1973 zu Libyen auf dem Programm – offiziell eingebracht von Frankreich, Grossbritannien und dem Libanon. Diese Resolution sollte es der internationalen Staatengemeinschaft erlauben, wie es diplomatisch verklausuliert heisst, alle nötigen Mittel einzusetzen, um die libysche Zivilbevölkerung vor Ghadhafi zu schützen. Das bedeutet im Klartext: Auch Einsätze gegen militärische Einrichtungen und Kriegsgerät des libyschen Regimes können geflogen werden. Diese Einsätze dürfen also auch zu mehr dienen, als nur zur Einrichtung einer Flugverbotszone.
Zur Überraschung alter UNO-Hasen wird die Resolution angenommen
Am Donnerstagnachmittag erfuhr man dann, dass Frankreichs neuer Aussenminister, Alain Juppé – 48 Stunden zuvor von Präsident Sarkozy noch übergangen und düpiert - seinen schon ein Mal verschobenen Antrittsbesuch beim deutschen Kollegen Westerwelle erneut abgesagt hat und höchstpersönlich an den Sitz der UNO nach New York eilt, um die UN-Resolution zu verteidigen.
Juppé, der Chirac-Ziehsohn, der in den 90er-Jahren schon einmal Aussenminister und damals von allen auf Grund seiner Kompetenz hoch geschätzt war, soll es zum Beispiel geschafft haben, Russland und China davon zu überzeugen, bei der Abstimmung auf ein Veto zu verzichten.
Er steigt mit einem schmalen, roten Aktenordner aus dem Flugzeug, darin der Text seiner flammenden Rede, die er kurze Zeit später halten wird und in der es unter anderem heisst, es werde der UNO zur Ehre gereichen, dazu beizutragen, dass Freiheit gegen Unterdrückung siegt - zur Überraschung vieler alter UNO-Hasen wird diese Resolution 1973 angenommen.
Als Juppé am Freitag morgen wieder in Paris landet, hört er nur Lobeshymnen, etwa vom ehemaligen sozialistischen Aussenminister Hubert Vedrine. Der Grüne Daniel Cohn Bendit spricht seine Hochachtung aus und selbst der Chef der Linken Front, der ehemalige Sozialist Jean Luc Melenchon, applaudiert.
Sarkozys Hau-Ruck-Diplomatie stösst an Grenzen
Der Freitag diente dann vor allem dazu, die internationale Koalition auf die Beine zu stellen, welche die in der UN-Resolution genannten "nötigen Mittel" auch zur Verfügung zu stellen bereit ist. Wobei Paris, in einem Punkt auf jeden Fall zurecht, auf zwei Dinge grossen Wert legte: Man betonte, dass die kommende Militäraktion auch von der arabischen Welt unterstützt werde und dass sie keinesfalls unter Nato-Hoheit stehen dürfe. Ein offizieller Nato–Einsatz in Nordafrika, so insistiert Paris, sei für die öffentliche Meinung in der arabischen Welt absolut kontraproduktiv.
In seiner Erklärung am Ende des Pariser Libyen-Gipfels hat Nicolas Sarkozy dann mindestens vier mal betont, dass auch arabische Länder diese Initiative unterstützen. Zuvor hatte er dem Präsidenten der arabischen Liga demonstrativ lange die Hand geschüttelt.
Doch seine Hau-Ruck-Diplomatie scheint sehr schnell an gewisse Grenzen zu stossen. Entgegen aller Ankündigungen war kein Vetreter der Afrikanischen Union beim Pariser Libyengipfel anwesend. Und kaum hatten die Kriegshandlungen begonnen, forderte die Afrikanische Union, sofort die Waffen schweigen zu lassen.
Was bleibt von der arabischen Beteiligung? Vier Kampfjets aus Katar
Ein paar Stunden später kritisierte auch die von Nicolas Sarkozy so sehr in den Vordergrund gerückte Arabische Liga die Militäraktionen. Diese Aktion gehe über das hinaus, was ausgemacht war - nämlich die Einrichtung einer Flugverbotszone. Als könnte es, angesichts der Lage in Libyen, und besonders jener in und um Benghasi, wirklich nur darum gehen.
Plötzlich kommt der Eindruck auf, dass bei den überstürzten Verhandlungen und dem Zustandekommen der internationalen Koalition, der eine oder andere vielleicht über den Tisch gezogen wurde und dass eine eilig zusammengezimmerte Fassade in sich zusammenbricht. Denn was bleibt konkret von der bechworenen Beteiligung der arabischen Länder? Vier Kampfjets aus Katar und eine nicht näher präzisierte Beteiligung der Vereinigten Arabischen Emirate. Der libanesische, der jordanische und der marrokanische Aussenminister, die auch am Pariser Gipfel teilgenommen hatten, wirkten, als habe man sie als Statisten für die Kulisse herzittiert.
Plötzlich spielt Nicolas Sarkozy die Rolle des Kriegsherrn in einer internationalen Koalition, von der man bislang nicht mal weiss, wo der Geralstab und der Oberbefehl angesiedelt sind. Es sei denn sie liegen doch wieder bei den USA und zwar in den Kelley-Baracks im Wald von Stuttgart Möhringen, wo die Afrikakommandozentrale der US–Streitkräfte untergebracht ist.
Das Unternehmen Libyen könnte eine langwierige Aktion werden
Doch angesichts der Tatsache, dass die USA bislang angeblich nur zugesagt haben, in der Anfangsphase eine Rolle spielen zu wollen, kommt gerade mal 48 Stunden nach Beginn des Militäreinsatzes das Gefühl auf, dass Frankreich und Grossbritannien schon bald die volle Verantwortung für die weiteren Ereignisse werden tragen müssen. Und dass im Vorfeld dieses Militäreinsatzes über eine Frage nicht wirklich Einigkeit bestand: Geht es darum, eine Flugverbotszone einzurichten und die Zivilbevölkerung zu schützen oder auch darum, Ghadhafi zu verjagen?
Der letzte Punkt ist von der UNO-Resolution im Grunde nicht abgedeckt und die USA tun offiziell so, als sei das auch nicht das Ziel.
Frankreichs Aussenminister Juppé gab sich da weniger zurückhaltend. Man solle nicht darum herum reden. Es gehe darum, dem libyschen Volk zu ermöglichen, dass es frei sein Regime wählen kann. Momentan würde dieses Volk wohl kaum für Ghadhafi stimmen.
Will Frankreich das Ziel, Ghadhafi zu chassen, aber wirklich um jeden Preis erreichen, wird das Unternehmen Libyen zu einer langwierigen Aktion werden. Dann ist es auch alles andere als sicher, dass der derzeit breite Konsens für diesen Militäreinsatz in Frankreichs Parteienlandschaft und Bevölkerung weiter Bestand haben wird.
Und genau so wenig sicher ist es, dass die Auswirkungen, die sich Nicolas Sarkzoy aus innenpolitischem Kalkül vielleicht von der derzeitigen Situationen erhofft, spürbar werden. Nämlich dass er, wie einst Präsident Mitterrand 1991 während des 1. Irakkriegs, zu einem Höhenflug in den Meinungsumfragen abhebt – nach dem Motto: wenn Krieg ist, wird nicht kritisiert .
Aber vielleicht ist ja auch alles ganz anders. Denn glaubt man einigen amerikanischen Presseorganen, so ist diese gesamte Libyeninitiative, bis hin zum Text der UNO–Resolution schlicht von den USA ausgearbeitet und den Franzosen und den Briten unterbreitet worden ….