Journal 21: Die Weihnacht ist für viele etwas Ambivalentes. Auf der einen Seite bedeutet sie Stress, Hochbetrieb und unguten Erwartungsdruck. Auf der anderen Seite ist sie ein Ritual, das Stabilität gibt, das mit Familie und Tradition verbindet – eine positive Nostalgie. Wie sprechen Sie die Menschen an Weihnachten an?
Esther Schläpfer: Was Sie sagen, betrifft schon den Advent, nicht speziell Weihnachten. Wir haben im Münster eine Reihe von Adventsfeiern – unter anderem am frühen Morgen vor Sonnenaufgang – gestaltet. Es ging darum, Stille und Dunkelheit auszuhalten, bevor man wieder in den Alltag hinaus geht. Das ist Advent: Die Vorbereitung darauf, inmitten der vielen Lichter das Licht der Weihnacht als Freude und Hoffnung wahrnehmen zu können. Mit diesem Motiv von Dunkelheit und Licht oder eben Lichtern zu spielen, war eine Möglichkeit der inneren Einkehr.
Viele der Kirchenbesucher an Weihnachten sind Traditions- oder Ritualchristen. Stört Sie diese sehr konventionelle Haltung?
Im Gegenteil! Das ist der Anfang, und das ist wunderschön. Auch ich bin so aufgewachsen. Das erste, was man Kindern mitgeben kann, ist ein Ritualchristentum, wenn Sie das so nennen wollen. Wenn mir Leute mit strahlenden Augen erzählen, sie gingen regelmässig zur Kirche – nämlich immer an Weihnachten – , dann freue ich mich. Es ist doch schön, wenn diese Tradition noch bekannt ist! Und bei ihrer konventionellen Haltung kann man die Leute dann auch abholen.
Ich lese im Weihnachtsgottesdienst bewusst die bekannte Erzählung aus dem Lukasevangelium. Die Leute kennen sie, und diese Geschichte gehört zu ihrer Vorstellung von Weihnacht. Die Erwartung, dass genau dieser Text gelesen wird, soll erfüllt werden, obschon auch andere Bibeltexte, die mit Weihnachten zu tun haben, sich anbieten würden und theologisch spannend wären.
Sie sagen, bei der Pflege der Tradition fange es an. Und wie geht es dann weiter?
Wenn ich die Tradition als Anfang bezeichne, rede ich vom Erleben der Tradition. Und auch das, was weitergehen kann, geschieht in Form des Erlebens – zum Beispiel in Feiern und Geschichten zu Passion und Ostern. Mit solchen Erfahrungen kann ein Interesse an Gottesdiensten geweckt werden, aus denen die Menschen dann etwas für ihren Alltag mitnehmen. Advent und Passion sind Erzählungen oder eben Traditionen, die in Gottesdiensten und kleinen Feiern vielmehr erlebt werden, als dass man sie bereden und erklären würde.
Der Kern des Weihnachtsfestes – die Menschwerdung Gottes – ist ja nun eine theologisch anspruchsvolle Angelegenheit. Können Sie diese Botschaft den Kirchenbesuchern erklären?
Ich glaube nicht, dass ich es erklären könnte oder auch nur erklären möchte. Viele Menschen haben ein gutes Gespür dafür, dass es hier um ein Geheimnis geht, das unerklärbar bleibt.
So wäre das Ritual dann also die angemessene Form, die Weihnachtsbotschaft in Erinnerung zu halten.
Genau. Auch die Weihnachtsgeschichte beschreibt ja diesen Zugang. Alle kommen von weither zu dem Kind. Ihre Wege werden in der Erzählung des Lukasevangeliums ausführlich beschrieben. Und was dann geschieht bei dieser Geburt, ist ganz knapp geschildert. Das eigentliche Weihnachtsgeschehen ist nur im Ganzen zu verstehen, wenn überhaupt. Ich traue mir nicht zu, zu erklären, was das heisst: Gott ist Mensch geworden.
Sie haben um Weihnachten herum als Pfarrerin viel Arbeit. Kommen Sie selber dazu, das Fest zu feiern?
In manchen kleineren Feiern kann ich quasi in einen anderen Modus wechseln und mitfeiern. Es braucht nicht viel: Kerzen anzünden, Lieder singen, Texte lesen. Ich geniesse das sehr.
Die 29jährige Theologin Esther Schläpfer (Bild: zvg) ist Pfarrerin der reformierten Berner Münstergemeinde. Das Gespräch mit Esther Schläpfer führte Urs Meier.