Es heisst, wir seien im postfaktischen Zeitalter. Natürlich ist diese Aussage eine Überspitzung. Aber vielleicht ist sie zugleich noch etwas anderes: eine Kapitulation. In diesem „Wort des Jahres“ steckt eine Portion Defätismus, es signalisiert ein Schulterzucken: So reden Politiker halt; so gefällt es nun mal ihren Fans; so verbreiten es dann eben die Kommunikationskanäle.
Nach dem Erdbeben der Trump-Wahl setzte unter Medienleuten in den USA eine Branchenkritik ein. Auch die CNN-Anchorwoman Christiane Amanpour hielt in ihrer Dankesrede für die Verleihung eines Preises des Committee to Protect Journalists (CPJ) der Presse den Spiegel vor. Es mache sich eine problematische Tendenz zur Ausgewogenheit breit. Wegen der vielfach zur Doktrin erhobenen Devise, es seien alle öffentlich geäusserten Meinungen neutral zu rapportieren, hätten die nach solchen Richtlinien arbeitenden Medien es versäumt, für die Wahrheit zu kämpfen.
Es diene eben nicht der Information, unbelehrbaren Leugnern des Klimawandels die gleiche Plattform zu bieten wie der kritischen Wissenschaft, welche diesem Wandel eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit zumesse, rief Amanpour ihren Kolleginnen und Kollegen zu. Als Reporterin im Bosnienkrieg habe sie auch gelernt, dass sich zum Komplizen der Schlächter mache, wer Aussagen der Verfolgten und der Verfolger stets gleich gewichte.
Als Mittel zur Prüfung von Wahrheitsansprüchen hat mediales Fact-Checking eine wachsende Bedeutung erlangt. Im US-Wahlkampf noch eine Randerscheinung, dürfte es angesichts der bis jetzt ausgebliebenen staatsmännischen Reifung Donald Trumps nun zu einer Überlebensstrategie der Medien avancieren. Die medienkritische Organisation „Media Matters for America“ (MMFA) ruft Presse und Fernsehen in den USA zur Anwendung solcher Methoden auf. Mit einem gewissen Optimismus sieht MMFA in den vermehrt eingesetzten Fact-Checking Chyrons (Chyrons sind sog. „Bauchbinden“, d. h. Textbänder am unteren Rand des Fernsehbildes) einen Gegentrend zum herrschenden Laisser-faire angesichts der Post-Truth-Chuzpe so mancher Akteure. Ein Beispiel: CNN setzte unter ein Trump-Statement den Chyron „TRUMP: I NEVER SAID JAPAN SHOULD HAVE NUKES (HE DID).“
Fakten sind heilig, Meinungen sind frei. – Diese klassische Journalistenregel kann nur so lange gültig sein, als für ihre beiden Aussagen immer der ganze Satz gilt. Die zunehmend inflationäre Meinungssphäre mit ihrer Tendenz, über Tatsachen hinwegzuschwappen, muss eingedämmt werden. Die Social Media allein werden das nicht leisten. Es braucht dazu journalistische Professionalität, gesunde Medienkonkurrenz und ein aufgeklärtes, an der Wahrheit interessiertes Publikum.