Vor rund siebzig Jahren hielt Winston Churchill in der Aula der Universität Zürich seine weltberühmte Rede, in der er in einem vom Krieg zertrümmerten Europa mit den Worten „Let Europe Arise!“ den Zusammenhalt Europas beschwor.
Um Churchills Geist und die Diskussion über Europa weiterleben zu lassen, organisiert das Europainstitut der Uni Zürich seit über zwanzig Jahren das „Europe Churchill Symposium“. Dieses Jahr referierten der ehemalige deutsche Bundespräsident Joachim Gauck und Bundesrat Alain Berset, die in ihren Vorträgen beide die Wichtigkeit der innereuropäischen Zusammenarbeit betonten. Doch was fällt den Jungen zu Europa ein? Lesen Sie hier ihre am Symposium gehaltenen Statements und diskutieren Sie mit!
„Ich will kein Inselbewohner sein!“
Von Nick Sempach
Die Schweizer waren schon immer ein komisches Völklein: Neutralität, direkte Demokratie, Käse, Schokolade. Wir waren immer ein wenig anders und sahen uns gerne als idyllische Insel in der wilden See Europas. Bei anhaltendem Kurs treibt die Schweiz hingegen bald als Eisscholle durch den Ozean Europa.
Denn mit der Masseneinwanderungsinitiative vom Februar 2014, die den Bruch mit den bilateralen Abkommen bedeutete, nahm die Abgrenzung gegen Europa ungesunde Ausmasse an.
Der Grund liegt in der irrationalen Angst vor Ausländern, die uns angeblich die Jobs streitig machen, die selbst kein Schweizer übernehmen will.
Ausländerinnen und Ausländer sind für das Funktionieren der Schweizer Wirtschaft unverzichtbar, und dennoch werden sie als Bürger zweiter Klasse behandelt, vor denen man sich schützen zu müssen glaubt.
In einer Welt, die vor grossen und realen Problemen wie dem Terrorismus, dem Klimawandel und den Flüchtlingsströmen steht, braucht es eine Annäherung und Zusammenarbeit mit Europa, keine Abgrenzung. Die anstehenden Probleme sind nur gemeinsam zu lösen: Wenn wir alleine auf unserer Insel treiben und Mauern bauen, werden letztlich alle untergehen.
Ich will kein Inselbewohner sein! Vielmehr träume ich von einem geeinten Europa, das gemeinsam die Herausforderungen unserer Zeit bewältigen wird.
„Eine starke EU für eine globalisierte Welt“
Von Jonathan Clivio
In einer globalisierten Welt braucht es eine starke EU. Für mich ist das sonnenklar. Multinationale Unternehmen müssen von multinationalen Institutionen kontrolliert werden.
Es ist nämlich so: Ab einer gewissen Grösse können Unternehmen bestimmen, wo sie sich niederlassen wollen. Es entsteht ein Konkurrenzkampf zwischen Staaten. Auf den ersten Blick scheint diese Entwicklung positiv zu sein: Konkurrenzkämpfe führen dazu, dass verhärtete Strukturen aufgebrochen und durch bessere ersetzt werden. Der Reichtum Europas ist für mich ein Beweis, dass es sich hierbei um eine Erfolgsstrategie handelt.
Diesen Konkurrenzkampf finde ich moralisch vertretbar, solange es darum geht, ineffiziente Arbeitsschritte zu verbessern. Fragwürdig wird es aber spätestens dann, wenn der Konkurrenzkampf Steuererhöhungen für Grossunternehmen unwahrscheinlich und das Stopfen von Schlupflöchern unmöglich macht. Was jedoch vollends jenseits von Gut und Böse ist, ist wenn Staaten ihre Menschenrechts- und Umweltstandards verhökern, weil sie sonst Angst haben müssen, dass ein Standbein ihrer Volkswirtschaft abwandert.
Für mich ist darum klar: Wir brauchen eine supranationale Institution, die mit riesigen Unternehmen auf Augenhöhe verhandeln kann. Genau dafür brauchen wir eine starke EU.
„Mehr europäischen Zusammenhalt – gerade jetzt“
Von Annina Schmid
Beim Terrorangriff auf die Redaktion der Zeitung Charlie Hebdo war ich zutiefst schockiert. Ich las alle Artikel zum Thema und postete ein Bild mit dem Hashtag #jesuischarlie. Als vor kurzem die Meldung über das Attentat in Ägypten gekommen ist, habe ich zu meinem eigenen Entsetzen kaum noch darauf reagiert.
Wir sind dem Terror gegenüber abgestumpft und doch von einer ständigen Angst begleitet.
Die stille Verdrängung auf der einen Seite und die allgegenwärtige Angst auf der anderen ermöglichen es bestimmten politischen Gruppierungen, die nur allzu genau wissen, dass sich die Bevölkerung nach Sicherheit sehnt, durch falsche Versprechungen Einfluss zu gewinnen. Und diejenigen, die diesen Versprechungen nicht zum Opfer fallen, sind so auf sich selbst fixiert, dass sie sich nicht die Mühe machen, nach alternativen Lösungen für die Ängste in der Bevölkerung zu suchen. Diese Dynamik führt dann zu politischen Entscheidungen wie beispielsweise dem Brexit. Solche Entwicklungen senden eine beunruhigende Botschaft an die Welt.
Aber die EU ist nicht nur ein Wirtschaftsverein. Wir sollten uns daran erinnern, dass sie einst gegründet wurde, um den Frieden zwischen den europäischen Grossmächten zu bewahren. Sie ist ein Symbol für den europäischen Zusammenhalt.
Es scheint mir paradox, diesem Symbol gerade in Zeiten wie diesen den Rücken kehren zu wollen.
„Die EU – Wunderwerk oder Teufelszeug?“
Von Sara Beeli
Ich war sieben, als in meiner Umgebung das erste Mal ausführlich über die EU diskutiert wurde. Weltwirtschaftskrise. Mit neun hörte ich von der Arbeitslosigkeit in Spanien, vom EU-Rettungsschirm, von den Millionen, die Mitgliedsstaaten bezahlen mussten. „Gott sei Dank sind wir nicht in der EU!“, vernahm ich überall. Also musste die EU ja etwas Schlechtes sein; oder nicht?
Was sie eigentlich war, lernte ich erst später: Ein Staatenbund, anfangs zu wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Zwecken, inzwischen auf Bereiche wie Kultur ausgedehnt. Ich erfuhr von den Werten wie Toleranz oder Fortschrittlichkeit und von den Vorteilen, welche die Schweiz und andere Länder aus der EU ziehen. Ich war zwölf, als die Klagen zu hören waren: „Warum nur wurde die Masseneinwanderungsinitiative angenommen? Die Bilateralen Verträge wurden gebrochen, dabei brauchen wir die EU!“ Also war die EU doch etwas Gutes?
Es soll einst eine richtige EU-Euphorie geherrscht haben. Die utopische Vorstellung des geeinten Europas liess anscheinend Herzen höher schlagen. Wieso habe ich nur Klagen vernommen, bis die EU für uns Schweizer auf dem Spiel stand? Ich finde nur eine Antwort: Es ging uns zu gut. Wirtschaftlicher Aufschwung, fortschreitende Globalisierung und Demokratisierung. Und als das Schlechte kam, verteufelte man die EU. Ist sie teilweise schuld an unseren Schwierigkeiten? Vermutlich. Doch Probleme gibt es immer. Die Frage lautet: Lohnt es sich, für etwas zu kämpfen? Und angesichts aller Vorteile kann die Antwort für mich – sowohl seitens der EU-Mitglieder als auch der Schweiz – bloss ‚Ja‘ lauten. Es lohnt sich: Gehen wir es an!
„Europa und ich“
Von Meret König
Wenn ich an Europa denke, dann denke ich zuerst an meinen letzten Kinobesuch.
Einerseits wegen des Schriftzugs: „Unterstützt durch den europäischen Kulturfonds“, der vor dem Film eingeblendet wurde. Anderseits, weil ich – eine in Schwamendingen lebende in Berlin Geborene – einen englischen Film sah, welcher die Liebesgeschichte zwischen einem Schafhirten und einem rumänischen Flüchtling zeigte. Dann denke ich an meine Kindheitsliteratur: Grimms Märchen, Nils Holgerson, die Odysee. Ist das Europa? Ich weiss es nicht. Aber ich bin froh, dass meine Berührungspunkte mit Europa so aussehen. Ich bin froh, weil es menschliche Berührungspunkte sind. Und sie stimmen mich optimistisch, lassen mich auf ein Europa hoffen, welches in menschlichen Fragen, in Fragen der Gerechtigkeit und der Kunst zusammenarbeitet. Nicht weil ich finden würde, Europa sei das Allerbeste, sondern mehr weil es mich dann weiter hoffnungsvoll stimmt auf eine menschliche Welt. Auf globale Zusammenarbeit. Darum geht es nämlich schliesslich.