Ein schwacher, alter demokratischer Kandidat Joe Biden tritt an gegen den republikanischen Showman und Scharlatan. Letzterer verkündete noch im März 2020 seinem Publikum, das Corona-Virus werde in den USA keine Chance haben. Fünf Monate später zählte das Land mit 5’800’000 Infizierten die meisten bestätigten Corona-Fälle der Welt. Eine traurige Geschichte (179’000 Tote), eine traurige Wahl (für die einst führende Demokratie der Welt), ein trauriger aktueller Präsident (Donald Trump).
Überholtes, krankes Wahlsystem
Apropos: Warum verlor Hillary Clinton die letzten Wahlen 2016, obwohl sie nach absoluter Stimmenzahl gewonnen hätte? Das amerikanische System kennt das «Electoral Collage», das Wahlmännerkollegium, das die kleinen Bundesstaaten bevorzugt. So haben die zwei Senatoren aus Wyoming mit einer Bevölkerung von 580’000 genau so viel Macht wie jene beiden aus Kalifornien mit seinen 40 Millionen Einwohner*innen. Paul Auster, der Schriftsteller, der mit seiner Frau Siri Hustvedt – auch berühmte Autorin – in Brooklyn lebt, sagt dies, desillusioniert und wütend (ZEIT). Gleichzeitig hofft er, dass mit dem Corona-Schock «eine neue Art, über uns selbst nachzudenken» entstünde.
In diesem Zusammenhang ist es äusserst interessant zu beobachten, mit welchem Stimmenvorsprung jeweils gewählt worden war: 2008 hatte Obama einen Vorsprung von neuen Millionen Stimmen, 2012 einen solchen von fünf Millionen. Hillary Clinton erhielt 2016 drei Millionen Stimmen mehr als Trump – und wurde nicht gewählt. Siehe oben.
Gesucht: ein fähiger, glaubwürdiger Präsident
Joe Biden kennt man. 36 Jahre lang war er Senator für seinen Heimatstaat Delaware und acht Jahre Vize unter Präsident Barack Obama. Als einer der jüngsten je gewählten Senatoren ging er 1972 nach Washington und, würde er im November gewählt, wäre er der älteste je amtierende Präsident der Vereinigten Staaten. J. B. gehört zum Inventar der Hauptstadt Washington.
Nach bald vier Jahren im Amt hat Donald Trump immer wieder bewiesen, dass er die Weltlage nicht nach Fakten, sondern im Fokus seines persönlichen Machtdrangs beurteilt. Damit spaltet er das Land zusätzlich, wie wohl kein vor ihm amtierender Präsident das bewerkstelligt hat. Er twittert in die Welt hinaus; nicht was wohlüberlegte Antworten und Reaktionen auf die letzten politischen oder gesellschaftlichen Vorkommnisse wären, nein, vielmehr inszeniert er sich, zusammen mit Fox-News. Dabei ist Trump absolut immun gegen Kritik. Da bleibt nur die Frage, inwieweit prominente Konservative «ihrem» Führer glauben – oder weshalb sie zur Ein-Mann-Theateraufführung schweigen. Gesucht wäre in dieser Situation ein fähiger, glaubwürdiger Präsidentschaftskandidat, der das grossartige Land aus dem politischen «Lockdown» befreien würde.
Die vier Phasen heutiger präsidialer Inkompetenz
Beispielhaft bestätigte Trump seine Inkompetenz, mit Herausforderungen seiner Präsidentschaft umzugehen. Zuerst twitterte er bezüglich Corona: «Wir haben alles im Griff, wir machen einen grossartigen Job.» Als nächstes folgte seine wundersame Verwandlung in einen Kriegspräsidenten, der mit ernster Miene den nationalen Notstand ausrief. Nur einen weiteren Monat später wandte er sich gegen den Rat seiner eigenen Experten und über deren vorgeschlagene Vorsichtsmassnahmen (Maskenpflicht). Schliesslich die erneute Kursänderung: Jetzt ignorierte er schlicht und einfach die immer dramatischere Corona-Situation. Dann, im Juli – wen erstaunt’s? Das Tragen von Schutzmasken ist patriotisch, twitterte er, selbst keine tragend …
Wie immer bei seinen haarsträubenden Kommentaren macht er andere für ein Debakel verantwortlich: Plötzlich waren es am Nationalfeiertag z.B. «linksextreme Faschisten». Und selbstverständlich sind es die Chinesen, die hauptschuldig am desaströsen Zerfall des Wirtschaftslebens sind. Es wird interessant und entlarvend sein, welche Staats- und Handelsfeinde er in den gut zwei verbleibenden Monaten bis zu den Wahlen noch aus dem Hut zaubern wird. Das unbestrittene Talent, sich selbst vor grossartiger Kulisse abbilden zu lassen, z. B. mithilfe der Portraits berühmter ehemaliger amerikanischer Präsidenten (Washington, Jefferson, Lincoln und Roosevelt), entlarvt, worum es geht: um Schauspielerei.
Trauriges Bild einer gespaltenen Nation
Man weiss es längst. Dennoch ist noch viel zu wenig bekannt, wie zweigeteilt die USA schon seit Jahren ist. «Trumps polarisierter Wahlkampf konnte verfangen, weil die Gesellschaft bereits polarisiert war. In einer polarisierten Gesellschaft gewinnt der Kandidat, der etwas mehr Abscheu gegen die politischen Gegner aktivieren kann», sagt die bekannte Buchautor Ezra Klein («Why We’re Polarized»). Dieses amerikanische Virus, auch genannt «Bürgerkrieg», hat zum Glück Europa noch nicht überflutet. Zwar kennen wir die Populisten, doch ist es ihnen bislang nicht gelungen, die europäischen politischen Parteien zu kapern. Vielleicht wegen der altmodischen Mehrparteiensysteme? Wie die ZEIT schreibt: «Das amerikanische Desaster lehrt, dass eine identitäre Polarisierung der Gesellschaft nicht mit einer parteipolitischen in eins fallen darf. Es sollte nicht jede amerikanische Erfindung zum Exportschlager werden.»
Die Pandemie offenbart allen, die es sehen wollen, dass die USA nicht erst seit März 2020 tief in der Krise stecken. In den letzten 20 Jahren verloren Millionen von Amerikaner*innen ihren Job, ihr Haus und, falls sie das überhaupt hatten, ihre Altersvorsorge. Die Globalisierung, die Auslagerung von Produktionsbetrieben vornehmlich nach China ist der Hauptgrund. Bis heute erholten sich diese Globalisierungs-Opfer nicht und so verschärfte sich die Ungleichheit von Jahr zu Jahr. Warum so viele von Ihnen 2016 für Trump stimmten, ist für uns Europäer schwer zu verstehen. War es die – inzwischen verflogene – Hoffnung auf bessere Zeiten?
Diese Misere wird 2020 dramatisch verstärkt durch den weltweiten Preiszerfall für Erdöl. Die USA, die sich in einem Jahrzehnt zum grössten Ölförderer emporgehisst hatten – durch Fracking, dem teuren und extrem umweltschädigenden Fördersystem, finanziert wie vieles in den USA durch Verschuldung – diese ganze Branche steht kurz vor der Pleite.
In der ZEIT war im April 2020 ein Beitrag von George Packer, einem der bekanntesten Reporter der USA («The Atlantic») abgedruckt. Nach rund zwei Monaten mit Corona stellte er die Frage «Haben wir das nötige Vertrauen zu unserer politischen Führung und zueinander, um gemeinsam gegen eine tödliche Bedrohung vorzugehen? Können wir uns noch selbst regieren?» Wahrlich harte Fragen. Er warf der Regierung zu Recht vor, zwei unwiederbringliche Monate vergeudet zu haben. «Der Präsident zeichnete sich durch vorsätzliche Blindheit, Schuldzuweisungen, Prahlereien und Lügen aus, seine Sprachrohre verbreiteten Verschwörungstheorien und priesen Wunderheilmittel.»
Es ist nicht auszuschliessen, dass die «One-Man-Show» Trump erst 2025 zu Ende gehen wird. Die US-Demokratie kennt die Amtszeitbeschränkung für Präsidenten. Für die zunehmende, lähmende Polarisierung des Landes allerdings gibt es diese Klausel nicht.