In der "NZZ am Sonntag" vom 28. Juni 2015 „Mehr Einsatz, liebe Frauen!“ liefert der Arbeitgeberverband Erklärungsansätze für unerklärte Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen von immer noch mindestens 9 Prozent. Und prompt wird mit Argumenten wie „Frauen sind weniger karriereorientiert und mehr familienorientiert, Frauen sind tendenziell harmoniebedürftiger und meiden den Konflikt“ operiert. Wobei auch das uralte Argument, dass Frauen sich eher für die Familie entscheiden würden und somit zu weniger Sondereinsätzen im Beruf bereit seien, einmal mehr bemüht wird. Wenig Flexibilität am Arbeitsplatz bedeutet aber auch weniger Lohn.
Daraus folgt einfach und klar der Schluss des Arbeitgeberverbandes: „Wir brauchen nicht mehr Teilzeitstellen, sondern sollten die Frauen dabei unterstützen, ihre Pensen zu erhöhen.“ Kurz: Frauen sollen zeitmässig für den Arbeitgeber „mehr Einsatz“ zeigen. Irritierend ist, dass kein Wort über die Qualität der Arbeit als möglicher Lohnbestandteil verloren wird.
Frauen leisten mehr
Diskussion der Lohngestaltung ist vermutlich so alt wie die Einführung der Teilung von Arbeit und privatem Leben. Seit der Emanzipation der Frau von Heim und Herd findet auch die Diskussion der Lohnunterschiede und der Wertigkeit der Arbeit der beiden Geschlechter statt. Früher verdienten die Männer mehr als die Frauen, weil sie eine Familie ernähren mussten, dann verdienten sie mehr, weil sie eine höhere Ausbildung hatten und heute verdienen sie mehr, weil sie flexibler für den Arbeitgeber einsetzbar sind oder sich nicht von gemeinnützigen Unternehmen anstellen lassen.
Heute zieht keines der Argumente mehr. Die Frauen sind mindestens so gut ausgebildet wie die Männer oder verfügen sogar häufiger über einen höheren Schulabschluss, sie zeigen sich oft sehr flexibel einsetzbar, weisen eine höhere Sozialkompetenz aus und sind nicht selten an Effizienz und Qualität kaum von den Männern zu überbieten. Ich frage mich, ob es Studien dazu gibt die zeigen, dass Frauen tendenziell in ihren 60 oder 80 Prozent der Arbeitszeit mindestens so viel leisten wie ein Mann im Durchschnitt in 100 Prozent? Die Qualität scheint also weder bei den Studien noch in der Realität eine Grösse zu sein, die in den Lohnverhandlungen zu Buche schlägt!
Starke Frauen machen Angst
Das ebenfalls immer wieder aufgeführte Argument: „Frauen streben nach mehr Harmonie und die Männer können Konflikte besser austragen“, wage ich ausserdem zu bezweifeln. Es gibt Frauen, insbesondere in höheren Kaderpositionen von Grossunternehmen, die sehr wohl auf den Tisch hauen, wie es der Arbeitgeberverband fordert. Leider werden solche Frauen nicht mehr als „idealtypische Frauen“, sondern als verkappte Männer und als Eisschränke mit hysterischem Gebaren angesehen. Nicht selten treiben solche Frauen ihren männlichen Chefs die nackte Angst ins Genick.
Reagiert ein Chef mit Angst auf seine weibliche Angestellte, dann ist das wohl nicht förderlich für weitere Karriereschritte und mehr Lohn! Im Gegenteil, zahlreiche, sehr flexible, hoch qualifizierte weibliche Arbeitskräfte mit klar formulierten Ansprüchen und messbar hohem Ergebnisbeitrag für die Unternehmung werden von ihren Chefs klein gehalten, häufiger kritisiert und nicht selten wegen Nichtigkeiten entwertet. Sie kriegen zu hören, dass sie „ihr Team zu mehr Innovation antreiben, ihnen mehr Freiheit und Grosszügigkeit gewähren sollten“, wohlbemerkt, handelt es sich hierbei oft um Teams, die hoch rentabel arbeiten. Und was bedeutet das konkret, wenn ich jemanden in einem stark reglementierten Umfeld zur Innovation antreiben soll?
Problematische Interpretation von Studien
Viele Frauen suchen mich als Coach auf mit der Ansicht, dass sie von ihrem Chef „gemobbt“ würden. „Er will, dass ich kündige, aber er sagt es mir nicht so direkt, sondern er führt einen für mich undurchschaubaren Machtkampf gegen mich. Ich kann ihm nichts recht machen.“ Wenn solche Frauen Angst haben, dass sie ihren Posten räumen müssen, dann erwarten sie natürlich keine Lohnerhöhung von ihrem Chef!
Das Problem bei Universitätsstudien ist oft, dass der grösste Teil des Fundus der Probanden aus Psychologieabsolventen besteht, die natürlich in eher sozialen und weniger hoch bezahlten Unternehmen arbeiten. Ein weiteres Problem ist, dass dort geforscht wird, wo fast keine Praxiserfahrung herrscht, um die Resultate mit weiteren zusätzlichen Einflussfaktoren zu überprüfen. Zum Beispiel werden aufgrund des quantitativen und theoriegeleiteten Anspruchs Werthaltungen der einzelnen Akteure und zwischenmenschliche Dynamiken ausser Acht gelassen und wie erwähnt, die messbare Qualität bzw. die Effizienz bei der Arbeit ebenfalls.
Hierarchisches Denkmuster geht vor leistungsbezogenem Ansatz
Meinen weiblichen* Coachees - vorwiegend höhere Kaderangestellte in Grossbetrieben -, welche sich von ihrem Chef lohnmässig unfair behandelt fühlen, rate ich folgendes: „Seid weniger perfekt, zeigt in qualitativer Hinsicht weniger Einsatz! Nehmt Euch stattdessen mehr Zeit, um Eure Position zu festigen! Und nehmt Kritik des Chefs – so schwierig das sich anhört - nicht persönlich. Sie ist meist das Resultat seiner Angst vor der Schwächung seiner eigenen Position. Denn es geht ihm vornehmlich nicht um die Qualität der Arbeit, sondern einzig um das Bewahren seiner Stellung. Diese stellt Ihr aber durch fachlich hohe Kompetenz, durch Sachkritik, Veränderungsvorschläge, Karrierewünsche oder Lohnforderungen in Frage.“
Es geht um die Divergenz von Weltbildern und Werthaltungen. Frauen argumentieren oft leistungs- und sachbezogen und haben die Idee, dass sie durch gute Leistung automatisch gelobt und befördert werden. Dies ist der fatale Irrtum in vielen grossen Systemen. Herausragende Leistung bedeutet für die Chefs oft Angriff auf die eigene Position, welchen es abzuwehren gilt. Daher wird die Leistung mit schwammigen Argumenten geschmälert, und der Lohn wird mit ebensolchen Argumenten nach Möglichkeit tief gehalten. Will eine Frau in einem solchen System Karriere machen, funktioniert das nur über Anpassung an den Vorgesetzten.
Mechanismen des Mentoring
Daher muss darauf geachtet werden, dass der Chef in jedem persönlichen Kontakt seine Position als Chef wahren kann. Dies braucht auf der kommunikativen Ebene grosses Geschick. Für das berufliche Vorankommen sollte die Mitarbeiterin darauf achten, wie sie seiner Position und Karriere dienlich sein kann. Das ist ein wichtiger Schlüssel für eine bessere Stellung und eine bessere Bezahlung. Die Männer haben diese Mechanismen des Mentorings längst durchschaut. Die Formel, auf einen Nenner gebracht, lautet: Weniger Zeit für fachlichen Einsatz aufwenden, die dadurch gewonnenen Ressourcen für geschicktes strategisches Verhalten, Vernetzung und Lobbying einsetzen, dies führt zu mehr Karriere bzw. mehr Lohn.
* Es gilt anzumerken, dass Männer, die dieselbe Charakterstruktur wie eine Frau aufweisen und also auch sach- und streng leistungsorientiert denken und handeln, ähnliche Probleme mit ihren Vorgesetzten mit hierarchischem Denkmuster haben können. In diesem Sinne handelt es sich bei meinem Artikel nicht so sehr um einen Geschlechter-, sondern viel mehr um einen Werte- bzw. Unterschied der Weltbilder. Allerdings finden wir in Grossbetrieben tendenziell mehr Frauen als Männer mit der Wertestruktur von Leistungs- und Sachorientierung. In diesen Unternehmen sind erfahrungsgemäss auch die Lohndifferenzen auszumachen bzw. finden wir deutlich weniger Frauen an der Spitze.