Im „Tages-Anzeiger“ war kürzlich, in Zusammenhang mit unserem Milizsystem, eine der im Politbereich notorischen Jeremiaden zu lesen. Wie bringt man politische Arbeit (oder auch nur Präsenz) im Nationalrat mit Beruf, Verbandsmitgliedschaft, Stiftungs- oder Verwaltungsratsmandaten, familiären Obliegenheiten unter einen Hut? Indem man sich vervielfacht, durchhält und immer weiter durchhält, weit über 100 Prozent arbeitet, „Zeitfenster“ wahrnimmt, „Auszeiten“ organisiert, nie krank wird, nichts Unvorhergesehenes auf sich zukommen lässt. Um Erklärungen für ihr gestresstes Leben zu finden, flüchten sich die befragten Nationalrätinnen und ihr parlamentarischer Kollege, der im Hauptberuf Pilot ist, hinter seltsame Sprachbilder, die schon so allgemeingültig geworden sind, dass sie niemand mehr hinterfragt. Das „Zeitfenster“, nach dem man sich sehnt, um hinauszuschauen (wohin?), impliziert einen negativ bestimmten Zeitbegriff: verinnende Zeit als ein Leben hinter Wänden ohne Ausblick. Und wie überlistet man die Zeit? Wie dehnt man sie aus, wie schafft man es, mehr als 100% zu schaffen? Rhetorische Fragen. Mit 100% Arbeitszeit ist hierzulande die 40-Stunden-Woche gemeint – und die kann man ja ohne weiteres amplifizieren, warum nicht verdoppeln? Man wird sich dabei, sei es als fliegender Nationalrat, sei es als eine im medizinischen Bereich und auch sonst vielfach tätige Nationalrätin und dreifache Mutter, auf gefährliches Terrain begeben. Und sicher eine „Auszeit“ brauchen, will man nicht das finale „aus“ riskieren. Oder mindestens ein Burnout.
Mehr als 100 – geht das?
Arme gestresste Parlamentarier – was müsst ihr leiden, um uns zu regieren.