Die Versuchung für Medien und Journalisten ist gross, prominente Persönlichkeiten, wie Politiker und Wirtschaftsführer zum Thema zu machen und süffige Geschichten – oft einseitig zugespitzt oder oberflächlich recherchiert – über sie zu verbreiten.
Die Beispiele Monika Stocker und Silvia Steiner
So geschehen bei Silvia Steiner, der als Kriminalpolizistin der Stadt Zürich vom «Sonntagsblick» vorgeworfen wurde, sie hätte den Verkehrsunfall ihres Mannes vertuschen und die behördlichen Untersuchung behindern wollen. Oder bei Monika Stocker, die vierzehn Jahre als Stadträtin in Zürich im Sozialamt vom Stimmbürger bei den Wahlen jeweils Bestnoten erhielt und plötzlich von der «Weltwoche» als naiv und inkompetent dargestellt wurde, weil sie angeblich Sozialgelder verschleuderte, indem sie Sozialfälle in Hotels untergebracht hat oder ihnen das Fahren eines BMWs ermöglichte.
Journalismus hat die Aufgabe, möglichst objektiv zu berichten, sauber zu recherchieren, um so eine sachbezogene Meinungsbildung beim Leser zu unterstützen, nicht aber auf einseitige Weise zu beeinflussen. Dieser sachbezogene, rationale und objektive Recherchen-Journalismus ist eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt der Demokratie, hat aber allenfalls den Preis geringerer Klickzahlen und langsamerer Information, was wirtschaftliche Nachteile nach sich ziehen kann. Was also ist zu tun?
Boulevard- oder Qualitätsjournalismus?
Es gibt psychologisch einleuchtende Gründe, warum jemand eine journalistische Laufbahn einschlägt und nicht – zum Beispiel – auf einer Bank arbeitet. Diesem Entscheid liegen persönliche Präferenzen zugrunde. Beim einen geht es wohl weniger um die Maximierung des Einkommens, sondern eher um Erkenntnisgewinn und Erkenntnisweitergabe, während beim anderen wohl eher die Wichtigkeit einer gesellschaftlichen Position zugrunde liegt.
Bei solchen Entscheiden können wir bereits das Spannungsfeld Erkenntnisgewinn und Aufklärung versus Ökonomie erkennen. Menschen leben und handeln nach unterschiedlichen Werten und richten sich demzufolge auch nach diesen Werten aus. Dieses Spannungsfeld findet sich aber nicht nur zwischen den Berufsfeldern, sondern auch innerhalb dieser Felder. So ist es auch eine Wertefrage, ob ein Journalist eher zum Boulevard- oder zum Recherchen-Journalismus neigt.
Beim ersteren stehen Klick- und Leserzahlen im Vordergrund (ökonomische Werte), beim zweiten eher Neugier, Aufklärung und soziale Werte (Informationsbeschaffung). Natürlich sind süffig erzählte oder vereinfachte Geschichten für viele Medienkonsumenten häufig attraktiver als die komplexe Wirklichkeit. Einfachere Narrative sind publikumswirksam.
Folgen einseitiger Medienberichte
Die persönlichen Folgen boulevardisierter Darstellungen wiegen schwer. Monika Stocker zog sich nach einiger Zeit mit gesundheitlichen Problemen zurück und reichte ihren Rücktritt ein. Silvia Steiner wurde aufgrund des Mediendrucks zeitweise im Amt suspendiert. In beiden Fällen war nicht sauber recherchiert worden. Bei Monika Stocker und bei Silvia Steiner standen die berufliche Karriere und die Berufsehre auf dem Spiel.
In vielen Redaktionen zählen heute weniger saubere Recherche und Inhalt, sondern nur noch die Klicks und Quoten gemessener Performance. Diese online live messbare Publikumsresonanz setzt die anderen Medien unter Zugzwang, oft ziehen diese nach, es sei denn, sie können rechtzeitig aufgrund von nachweisbaren Fakten vom Gegenteil überzeugt werden.
Digitalisierung und finanzielle Schieflagen
Der durch Digitalisierung gesteigerte Zeitdruck und die finanzielle Schieflage herkömmlicher Medien marginalisiert die exakte und damit langwierige Recherche komplexer Informationen. Hinzu kommt, dass seit der Entstehung des Internets weitherum die Meinung vorherrscht, Informationen müssten kostenfrei zu haben sein. Der Wert einer Information wird also von vielen Medienkonsumenten als irrelevant eingeschätzt, was sich heute als grosses ökonomisches Problem erweist und sich nur sehr schwer korrigieren lässt.
Gleichzeitig stehen aber demokratische Werte auf dem Spiel. Der mündige Bürger will und muss sich mit der komplexen Wirklichkeit auseinandersetzen, damit er einen rationalen und sachorientierten Entscheid fällen kann oder sich eine einigermassen objektive Meinung über die Inhaber politischer Ämter bilden kann. Monika Stocker ist zurückgetreten und Silvia Steiner, wäre ihr nicht der eindeutige juristisch belegbare Nachweis von Rechtschaffenheit gelungen, nicht Regierungsrätin geworden. Wie wir sehen, können die Medien massiv in das politische System einwirken.
Neue Modelle für ein solides Mediensystem?
Die Aufgabe der Politik könnte darin liegen, den Wert, den der Journalismus in einem demokratischen System als vierte Staatsgewalt hat, vermehrt anzuerkennen und diesem eine grössere Bedeutung zuzumessen. Es sollten für Verleger und Journalisten Anreize geschaffen werden, damit diese die gesellschaftlichen Ansprüche an das Mediensystem gegenüber den wirtschaftlichen Herausforderungen verteidigen können. Ein Journalismus also, der mehr an der Aufklärung und gesellschaftlichem Mehrwert interessiert ist als an plakativen Verkürzungen der Realitäten.
Eine mögliche Antwort bietet die die Onlinezeitschrift „Republik“, die demnächst erscheinen soll. Auch «Journal 21» ist eine Internet-Publikation, hinter der keine Verlagsinteressen stehen. Natürlich sollten im Normalfall die Journalisten auch von ihrem Beruf leben können, weshalb neue Unternehmungen in diesem Bereich in der Regel auf Sponsorenbeiträge oder Crowdfunding angewiesen sind.
Seriöser Journalismus ist in einer offenen Gesellschaft natürlich auch auf Respekt und Anerkennung angewiesen. Dies ist allerdings dann schwierig, wenn rein ökonomische Interessen der Verlagshäuser im Vordergrund stehen und die Medienleute mehr und mehr dem Zwang unterworfen sind, dem Publikum anstelle sorgfältig recherchierter, ausgewogener Beschreibungen von Realitäten aufgebauschte Zuspitzungen und einseitige Halbwahrheiten zu liefern.