UBS-Investmentbanking-Chef Andrea Orcel gewährte der «Bilanz» eines seiner seltenen Interviews. Um unbelästigt von kritischen Fragen die Sicht eines Dinosauriers zum Besten zu geben. Mit dem gewinnenden Charme eines Gordon Gekko, aber ohne Hosenträger. Dabei gewährt er interessante Einblicke in eine Mentalität, an der die Realität seit 2008 offenbar spurlos vorbeizog.
Alles im Griff
«Ein Verlust von 50 Milliarden Franken ist heute unmöglich», spielt Orcel auf die Existenzkrise der UBS an, aus der sie nur durch eine Milliardenhilfe des Schweizer Steuerzahlers gerettet werden konnte. Aber auch den kann er in einer grammatikalisch interessanten Konstruktion beruhigen: «Der Steuerzahler darf niemals wieder für uns zahlen müssen.» Er darf nicht müssen oder muss nicht dürfen? Aber egal, Orcel muss ja nicht die Sprache beherrschen, sondern die Zahlen. Und die Zukunft.
Denn zukünftige Entwicklungen sind die Grundlage für profitables Zocken. Aber wunderbar, Orcel hat alles im Griff: «Wenn der schlimmste Fall eintritt, müssen wir ihn uns leisten können. Das können wir heute.» Gut zu wissen, denn erst vorgestern konnte das die UBS nicht, und gestern, also im Jahr 2011, schaffte es ein einziger Investmentbanker der UBS, der Bank einen Verlust von 2,3 Milliarden Dollar einzufahren. Aber das war, bevor Orcel mit neuem Elan das Steuer der UBS-Investmentbank übernahm. Investmentbanker Grübel hatte es halt nicht im Griff, Orcel schon.
Golden Handshake
Routiniert und markig verkündet Orcel seinen «neuen» Ansatz: «Wer schlecht arbeitet, bekommt bei uns viel weniger. Wir sind auch gegen Garantien.» Damit will er sich deutlich von Lohn- und Boniexzessen aus der Vergangenheit distanzieren. Verständlich, dass er für sich eine Ausnahme macht. Bei seinem Stellenantritt Anfang 2013 kassierte er gleich mal ein Eintrittsgeschenk von 26 Millionen Franken. Dafür muss ein Schweizer mit Durchschnittslohn 385 Jahre arbeiten, rechneten die Initianten der 1:12-Initiative vor.
Aber Orcel hat das sicher verdient, genau wie seinen Lohn von 11,4 Millionen Franken im Jahr 2013, mit dem er sogar UBS-CEO Sergio Ermotti in den Schatten stellt. Darf man trotzdem fragen: wofür? Zunächst legte Orcel einen rasanten Start hin. Im ersten Quartal 2013 fuhr die Investmentbank der UBS - lassen wir beiseite, wie das genau gemessen wurde - einen Gewinn von 50 Prozent ein, im zweiten immer noch 43 Prozent. Da liessen die Investmentbanker mal wieder die Hosenträger schnalzen.
Aber hoppla, im dritten Quartal 2013 waren es nur noch magere 13 Prozent, im vierten 15, und im ersten Quartal 2014 dann 21,5 Prozent. Scheint überraschenderweise ein hochvolatiles Geschäft zu sein. Kommt wohl ganz darauf an, welche Zahlen man für den Blick in die Kristallkugel der Zukunft verwendet, um die weitere Entwicklung zu «prognostizieren». Aber vielleicht verkündet Orcel deswegen die neue Bescheidenheit: «Wir halten Positionen nur, um das Kundengeschäft zu unterstützen, und nicht, um damit Geld zu verdienen.» Da fragt sich der Finanzblog «Inside Paradeplatz» zu Recht: «Worum geht es denn sonst im Investmentbanking, als Geld zu verdienen?»
Verdienen und verlieren
Erschwerend kommt hinzu, dass Schweizer Banken ja nicht nur im Steuerstreit mit den USA Milliardenbussen zahlen müssen. Devisenmanipulationen, Libor-Skandal, Spätfolgen der Hyposchrott-Krise in den USA, da hat die UBS schon ein paar Milliarden hinter sich. Und wer weiss schon, dass sie unmöglicherweise, unter keinen Umständen nicht weitere vor sich hat? Nicht alle Schatten der Vergangenheit ragen aus einer Zeit in die Gegenwart und Zukunft der UBS, zu der Orcel locker sagen könnte, dass das ja noch vor seinem Amtsantritt passierte.
Kann also der Steuerzahler wirklich beruhigt sein, dass er nie mehr für die UBS zahlen müssen darf oder dürfen muss? Nun, man will ihm ja keine Angst einjagen, aber die Zukunft ist leider, ausserhalb der Weltsicht eines Dinosauriers, unvorhersehbar. Das war auch gut für die Dinosaurier, sonst hätten sie im Wissen um ihre Zukunft noch unter Depressionen gelitten.
Unter aufgeklärten Menschen muss aber gelten: Das Wort «unmöglich» gibt es leider auf die Zukunft bezogen nicht. Vor allem nicht in Bezug auf eine Bank und einen möglichen Riesenverlust. Vor allem nicht, wenn die gehebelten Räder, die sie im Investmentbanking dreht, immer noch um ein Mehrfaches grösser als das Eigenkapital sind.
Die guten Nachrichten
Vielleicht hat der Leser den Eindruck, dass hier immer alles so negativ gesehen wird. Die Credit Suisse, die Bankenaufsicht Finma, der Zustand des Finanzplatzes Schweiz im Allgemeinen, und nun auch die UBS. Da müssen wir Gegensteuer geben.
Wir gratulieren Andrea Orcel zu seinen 37,4 Millionen Franken. Als Salär eines Angestellten für ein Jahr Arbeit ist das nicht schlecht. Wie man weiss, muss sich Verantwortung lohnen. Und Orcel gibt auch zu bedenken: «Als ich anfing, lag unser Lohnniveau ein Viertel unter den Wettbewerbern.» Also hat er auf knapp 10 Millionen verzichtet, das sei hier ausdrücklich verdankt. Damit stellt er unter Beweis, dass es ihm ausschliesslich um gute Arbeit geht, keinesfalls um persönlichen Gewinn. Wenn man weiss, wie selten das heutzutage im Banking ist, kann man seine Geste nicht hoch genug einschätzen.