Wie stark Masken vor Corona schützen, scheint nicht ganz klar. Dass sie uns das Lügen erleichtern, hingegen schon.
Journal21.ch will die Jungen vermehrt zu Wort kommen lassen. In der Rubrik „Jugend schreibt“ nehmen Schülerinnen und Schüler des Zürcher Realgymnasiums Rämibühl regelmässig Stellung zu aktuellen Themen.
Terence Schmid wurde 2005 geboren und geht in die Klasse 4i am Realgymnasium Rämibühl. Er interessiert sich für das Altertum und für Physik. Er hasst Schwarz-Weiss-Photos und geschlechtsneutrales Schreiben.
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Seit geraumer Zeit sind Gesichtsmasken, die im vergangenen März laut BAG nicht wirksam waren – nun aber schon – im Strassenbild allgegenwärtig. Dummerweise sind sie nur manchmal korrekt an den Gesichtern der Träger festgezurrt; meistens jedoch baumeln sie nonchalant an einem Ohr, kleben am Kinn, oder werden zum Teil auch etwas gar leger unter der Nase getragen. Da fragt man sich, ob diese verschiedenen höchst unkorrekten Tragweisen von einer totalen Ignoranz herrühren oder vom weit verbreiteten Unverständnis, wie so ein Nasen-Mundschutz funktioniert. Das Erscheinungsbild der Masken wird immer seltsamer: von der durchsichtigen Mundpartie bis zu der perfekt durchgestylten Lifestyle-Maske ist alles zu sehen.
Nach unerträglichen und endlosen Diskussionen über die Wirksamkeit und Beschaffung der Masken stellen sich nun alltäglichere Fragen: Wie soll man bloss mit all den maskierten Menschen kommunizieren und mit der fehlenden Mimik umgehen?
Wenn wir ganz ehrlich sind, schmälern die einst so heissbegehrten blauen Lebensretter die Qualität der gesellschaftlichen Interaktionen eigentlich gar nicht so sehr, denn die wahren Intentionen des Gesprächspartners haben sich schon immer hinter dem Schleier einer unsichtbaren Maske verborgen: Sind es nicht gesellschaftliche Konventionen, die ehrliche Gefühle ersticken, die Wahrheit unterdrücken und das wahre Ich des Sprechers verschleiern? Schön zu sehen im banalen Alltag: Auf die Frage, wie es einem geht, wird immer mit einem «tipptopp» geantwortet; offene Konflikte werden tunlichst vermieden; im Restaurant ist schön brav in einer gedämpften Lautstärke zu sprechen, kurz: Alle Personen haben sich stillschweigend den gesellschaftlichen Gepflogenheiten anzupassen. Handkehrum wollen aber alle individuell sein und sich selbst verwirklichen! Nur hat sich diese Individualität penibel innerhalb der vorgegebenen Normen auszuleben. Alles andere wird hinter vorgehaltener Hand kommentiert und mit einem scheelen Blick beobachtet, international bekannt als der «the Swiss stare» oder die «Swiss stiffness».
Probleme zu haben, ist peinlich: Deswegen werden sie gar nicht erst erwähnt. Nur die guten Dinge werden dem Gegenüber triumphierend und mit einem breiten Lächeln vorgetragen, begleitet von der Phrase, wie viel Glück man eben hatte. Falls es nun jemand trotzdem wagt, den eisernen Schleier der Verlogenheit zu durchbrechen und offen über seine Probleme zu sprechen, wird dieser mit einer pseudo-empathischen Standard-Wendung wie «Das tut mir aber leid für dich; so sorry» abgestellt.
Deswegen frage ich mich, was man nun wirklich über die Leute in seinem Umfeld weiss: Was verbirgt sich hinter den Masken?
Das einzige, was die Masken verändert haben, ist, dass man sein wahres Gesicht nun nur noch hinter Worten verstecken muss, den Rest erledigen die Hygienemasken. Nun müssen die Leute ihre unehrlichen Floskeln wenigstens nicht mehr mit aufgesetztem Lächeln cachieren: Dies übernimmt für uns nun der blaue Freund (damit meine ich weder die Polizei noch einen etwas angetrunkenen Kollegen). Lügen ist also «ehrlicher» und einfacher geworden. Um die Täuschung glaubhaft zu vermitteln, sind nur noch ein klarer Blick und eine feste Stimme nötig. So kann nun jeder ganz schnell und einfach zu einem Frank Underwood werden. Nur aufpassen, dass die Intrige einen nicht selber trifft.
Wer weiss, womöglich verlernen die Leute das bewusste Verändern ihrer Mimik wegen des Nasen-Mundschutzes, falls die Corona-Krise mehrere Jahre andauern sollte. Sollte die Impfung aber greifen, dann könnten die Tage der Pandemie und somit auch die Zeit des einfachen Lügens gezählt sein. Darum gestatten Sie mir, Ihnen zum Schluss noch einen Tipp mit auf den Weg zu geben: Versuchen Sie, bei jeder zweiten Lüge mit Maske das Gesicht doch noch so zu verstellen wie in maskenfreien Zeiten. Auf diese Weise sind Sie garantiert für die Zukunft gerüstet und weiterhin in der privilegierten Lage, Ihre Lügen auch ohne Maske absolut glaubhaft in die Welt zu setzen.
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Verantwortlich für die Betreuung der jungen Journalistinnen und Journalisten von „Jugend schreibt“ ist der Deutsch- und Englischlehrer Remo Federer ([email protected]).
Weitere Informationen zum Zürcher Realgymnasium Rämibühl unter www.rgzh.ch