Maria Eichhorn, geboren 1962 in Bamberg, lebt in Berlin und Zürich. Wichtige Stationen: Kunsthaus Bregenz 2014, Liverpool Biennale 2012, Documenta 11 und Documenta 14 Kassel 2002/ 2017, Istanbul Biennale 1995/2005, Biennale Venedig 1993/ 2001/ 2015, Skulptur Projekte Münster 1997, Manifesta 1 Rotterdam 1996.
„Maria Eichhorn – Zwölf Arbeiten 1988–2018“: So der Titel der Ausstellung im Migros Museum für Gegenwartskunst. Die kargen Räume wirken nicht nur aufgeräumt – dazu passt der „Saalbesen“ aus Buchenholz und Rosshaar, der an eine Wand gelehnt ist – sondern geradezu unterkühlt. Hier eine Vitrine mit Büchern, dort Dokumente in englischer und griechischer Sprache. Weiter: Ein oranger wandfüllender Vorhang, die 16-minütige Videoprojektion eines lesenden Mädchens, vier Klebstreifen an einer Wand. Die Kunstsprache der 1962 geborenen Maria Eichhorn ist radikal. Da ist, bei aller Perfektion der gezeigten Objekte, nichts „Schönes“, schon gar nichts „Heimeliges“, das sich an die Wohnzimmerwand oder übers Bett hängen liesse.
Doch da sind, lässt man sich auf diese präzise inszenierte Kargheit ein, zahlreiche Anreize zum Weiterdenken. Denn Maria Eichhorn entwickelt Strategien, die in höchst einfacher, aber stets sehr genauer visueller Sprache komplexe Vorgänge – meist gesellschaftlich-politischer und ökonomischer Art – hinterfragen. Die Künstlerin setzt sich mit scheinbar selbstverständlichen Normen und Konventionen auseinander. Dabei arbeitet sie mit Wechselspielen und Umleitungen. Das erzeugt Spannung und weckt Lust am Entdecken.
Eigentum wird Nichteigentum
Da ist die für die Documenta 14 (2017) in Athen entstandene Arbeit „Building as Unowned Property – Gebäude als Nichteigentum“ mit der näheren Bezeichnung „Umwandlung des legalen Status eines Gebäudes in den Status des Nichteigentums, juristische Studien, Dokumente, Gebäude und Grundstück in Athen“. Mit Dokumenten wie juristischen Gutachten von Fachleuten, mit Hinweisen auf notarielle Begleitung und Grundbucheintragungen wird belegt, wie Maria Eichhorn in Athen ein Gebäude aus den 1920er Jahren erwirbt, aber mit allen rechtlichen Begleiterscheinungen und Konsequenzen in ihr „Nichteigentum“ überführt. Das alles ist real und nicht etwa ein absurdes Konstrukt. Damit ist es auch ein Stich ins Wespennest der Diskussion um Fragen des Eigentums und seiner Legitimität, um Nutzung und Rendite.
Das Werk erinnert an die an der Documenta 11 (2002) in Kassel und im Kunsthaus Bregenz (2014) gezeigte Arbeit „Maria Eichhorn Aktiengesellschaft“, in der sie nicht nur reale 50’000 Euro als Aktienkapital in einer Vitrine präsentierte, sondern zugleich auch alle Gründungsdokumente und Abrechnungen vorlegte. Einzige juristisch abgesicherte Vorschrift: Die AG darf keinerlei Gewinn abwerfen. Was eingehalten wurde, wie die gezeigten Jahresabschlüsse bewiesen. Das signalisierte fundamentale Skepsis gegenüber allem Rendite-Denken.
Kunst oder nicht?
Das ist interessant. Aber ist es auch Kunst? Was ist Kunst? Für Maria Eichhorn, die in einem Interview sagte „Ich finde, Kunst muss in der Gesellschaft sein und auch mit der Gesellschaft arbeiten und mit ihr zu tun haben“, sind die „Zwölf Arbeiten (1988–2018)“ natürlich Kunst. Und sie bekräftigt damit auch: Dieser Bezug zur Gesellschaft gehört für sie unabdingbar zur Kunst.
Auch in anderen Werken arbeitet sie „mit der Gesellschaft“, indem sie politische oder wirtschaftliche Prozesse sichtbar macht und uns über ihren Sinn und Zweck nachdenken lässt. Zum Beispiel „Verbotene Einfuhren“ (2003): In einer Vitrine zeigt sie Bücher, die von Berlin nach Japan geschickt wurden und den Zoll und, für uns überraschend, die Zensur passierten. Obenauf liegen Mapplethorp-Bücher – eins davon zensiert, das andere nicht – , unten Bücher, die nicht beanstandet wurden. Dazu gibt es Dokumente und Literatur über Meinungsfreiheit und Zensur. Kommentarlos stellt sie die japanische Praxis dar und überlässt das Urteilen den Betrachterinnen und Betrachtern. Sie erst vollenden das Werk – und werden Teil davon.
Das Unsichtbare sichtbar machen
Vollenden müssen die Besucherinnen und Besucher auch zwei weitere in Zürich gezeigte Arbeiten: Die Künstlerin liess Museumsmitarbeiter in weisser Farbe Inschriften auf zwei weisse Museumswände malen. Der erste Werkzettel besagt: „Limmatstrasse 270, 8005 Zürich“. Im nächsten Raum lautet die Hinweiszettel: „Hochmut, Habsucht, Wollust, Jähzorn, Masslosigkeit, Missgunst, Trägheit des Herzens“. Und beide Male: „Wandbeschriftung, Basrelief, weisse Wandfarbe auf weisser Wand, manueller Farbauftrag mit Pinsel in mehreren Schichten. Schrifttyp: Jigsaw Regular.“ Auch die Ausführenden sind notiert: Christian Eberhard und Monika Stalder.
Zu sehen ist in beiden Räumen vorerst: Nichts. Ich suche, trete näher, schaue aus spitzem Winkel auf die Wand, trete noch näher – und entdecke schliesslich die weisse Schrift, die sich von der weissen Wand knapp sichtbar, aber glasklar abhebt. Einmal benennt sie die Adresse des Migros-Museums für Gegenwartskunst. Das zweite Mal nennt sie die sieben Todsünden aus dem Katechismus der Katholischen Kirche und nimmt in der Anordnung der Wörter Bezug auf die Komposition eines Bildes (einer bemalten Tischplatte) zum gleichen Thema aus der Werkstatt Hieronymus Boschs (Prado Madrid).
Wie immer tritt die Künstlerin völlig in den Hintergrund. Sie sagt, wer die Schrift ausführte und nennt die Schrifttype. Sie liefert keinerlei Deutung, keine Hinweise. Sie lässt uns suchen, fragen, näher hintreten: Sie macht nicht nur die beiden Schriftenmaler, sondern auch uns mit unserem Nachfragen und unserer suchenden Bewegung im Raum zu Teilen ihres Werkes.
Was soll der Besen?
Ähnlich im Obergeschoss des Museums: An den Wänden sind 72 je 123 auf 93 cm messende, in verschiedenen Farben monochrom bemalte Leinwände zu sehen. „72 Bilder“, so der Titel, entstand 1992/93 anlässlich der Präsentation von Maria Eichhorns Arbeit „Toil/Pinceau/Peinture“ im Musée d’art moderne de la Ville de Paris. Während der Ausstellungsdauer bemalten 36 Personen (Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Museums und mit der Institution verbundene Personen) jeden Tag eine Leinwand. Im Masse, wie sich die Zahl der Malereien vergrösserte, reduzierten sich der Stapel der unbemalten Leinwände und das Depot der Farben und Pinsel. Die Malereien sind sehr verschieden ausgefallen: Khadja Houssaine zum Beispiel malte grün in grün Schiff, Vögel und Sonne. Eszter Forrai-Ferenci grün in grün einen Blumenstrauss. Auch Galeristen und Vermittler waren dabei: Die Galeristin Barbara Weiss bediente sich der Farbe Bleu de Paris. Eva Presenhuber tat sich mit Kurator Hans Ulrich Obrist zusammen und wählte ein helles Grün. „72 Bilder“ wurde seit 1993 immer wieder in je anderer Form präsentiert, in Zürich erstmals auf einer den ganzen Raum umlaufenden Linie.
Die Künstlerin machte den Museumsraum zur Produktionsstätte, legte Richtlinien fest, gab ihre weitere Arbeit jedoch ab und schloss jede Hierarchie aus, einerlei, ob der Star-Kurator Obrist, die prominenten Galeristinnen Presenhuber und Weiss oder Bernard Leroy oder Carol Rio Bild-Autoren sind. Jeder Besucher wird ja wieder andere der Ausführenden kennen und einordnen können. Maria Eichhorn setzt mit „72 Bilder“ ein Nachdenken über Kunst, Autorenschaft, Konzept und Zwang/Freiheit in Gang und überdies auch über Rangordnung, Marktwert und Prestige der Namen.
Maria Eichhorn gibt keine Antworten. Sie provoziert unser Fragen und Denken. Zum Beispiel: Was soll der „Saalbesen“ aus Buche und Rosshaar? Welchen Müll kehrte der Besen zusammen? Wer führte ihn zu welchen Bedingungen? Ist der Besen Kunst, weil er im Museum steht? Ist Kunst ein Besen, mit dem man reinen Tisch machen kann?
Migros Museum für Gegenwartskunst, bis 3. Februar 2019