Seit 1995 gehört die schwedisch-norwegische Schauspielerin Maria Bonnevie dem Ensemble des Königlichen Dramatischen Theaters in Stockholm an, als sie unter Ingmar Bergmans Regie in Witold Gombrowiczs «Yvonne, Prinzessin von Burgund» debütierte. Seither hat die herausragende skandinavische Schauspielerin ihrer Generation Hauptrollen in Stücken von Shakespeare, Tschechow, Schnitzler, Ibsen und Strindberg verkörpert, die beiden letzteren auch in Hörspielinszenierungen Bergmans. Von ihren Filmen waren hierzulande etwa Ole Bornedals «I Am Dina», Christoffer Boes «Reconstruction» oder Andrei Swiaginzews «The Banishment» zu sehen, in denen sie berückende Proben ihres Könnens gab. Bis zum 28. April ist sie nun in Eva Dahlmans Inszenierung von «Hedda Gabler» in der Titelrolle zu sehen.
Das Publikum ist vorgewarnt: Laute Musik, Pistolenschüsse und Tabakrauch hat es gemäss der allenthalben angeschlagenen Mitteilung zu gewärtigen, wenn es derzeit im Kungliga Dramatiska Teatern zu Stockholm Henrik Ibsens «Hedda Gabler» sehen will. Die sehr laute Musik, unter anderem von Patti Smith und Prince, ist zwar störend, aber wenigstens meist kurz – bis dann das letzte Stück, von Grace Jones, mit exakt jener wilden Kraft explodiert, in der jetzt das Schlussbild gefriert: die von eigener Hand gerichtete Hedda, die sich nun nicht mehr wie zuvor nach dem Knall der Pistole in schnippisch-eleganter Gebärde den Gehörschutz aus den Ohren entfernen wird. Was den Zigarettenrauch betrifft, so hat der sich zusammen mit den beiden Emittierenden unverzüglich in die hinterste Bühnenecke verkrochen, während Hedda mit dem heimlich geliebten Eilert auf der Schwelle zum Wintergarten sitzt, zu dem der Zuschauersaal geworden ist.
Umdeutungen
Die Regie von Eva Dahlman will Konturierung, Akzentuierung, Reduktion. Das Wesentliche dieses im Januar 1891 in München uraufgeführten Stücks, so die implizite Botschaft, lasse sich auch in den gerade gut zwei Stunden sagen, die die Aufführung inklusive Pause hier dauert. Bedeutete die Reduktion nur die Entlassung des bereits bei Ibsen (dramaturgisch, nicht aber soziologisch) entbehrlichen Dienstmädchens sowie dieser oder jener hübschen kleinen Ausschmückung, es liesse sich verkraften. Auch wenn gerade die Satire, die Ibsen in Gestalt von Heddas frisch angetrautem Ehemann, dem die Hochzeitsreise zu Archivrecherchen nutzenden Jörgen Tesman, dem Wissenschaftsbetrieb, ja selbst dessen Themenstellungen, angedeihen lässt, vergnüglich aktuell geblieben ist. Tiefer liegende Komplexe wie Buch und Kind und dessen Verdrängung haben es bei diesem Konzept allerdings schwer. Aber hier soll es offensichtlich der Psychologie an den Kragen gehen. In einer Grundsatzerklärung hält Eva Dahlman fest, dass heute viel zu rasch nach dem Warum gefragt werde, bevor man sich überhaupt mit dem Was, den Tatsachen, befasst habe. Ibsen, das sei «Fakten und Destruktion»: Geschlecht, Klasse, Alter. Entsprechend eindimensional mutet denn auch die Dekonstruktion Ibsens beziehungsweise «Hedda Gablers» an. Und was das Bühnenbild von Lehna Edwall, eine fast ausschliesslich aus roten Plüschquadern verfugte Sofalandschaft, bereits hervorragend zum Ausdruck bringt, wird alsbald von der Regie verdoppelt, wenn sie die Figuren einander in Zentimeterdistanz frontal gegenüberstellt: Machtkonstellationen, die eine dritte Person dann aufzubrechen hat, indem sie sich durch diese beinah inexistente Lücke zwängt . . .
Das könnte langweilen, wären da nicht die Schauspieler. Amüsant und folgerichtig ist die Mutation der verhuschten Frau Elvsted, die sich einredet, von Eilert Lövborg geliebt zu werden, zu einem recht munteren Wesen, das nach der Nachricht vom Tod des Geliebten auch gleich schon seine wahre Bestimmung findet. Wenn Sofia Pekkari und Christopher Wagelin als akademischer Simpel Tesman am Schluss für nichts anderes mehr Augen und Ohren haben als für die hinterlassenen Notizen, die dem Verstorbenen ein Denkmal setzen sollen, dann haben sich in der Tat zwei verwandte Seelen gefunden. Immerhin darf Tesman als völlig unbedarfter Ehemann Heddas hier eine Spur weniger unbedarft reden als bei Ibsen. Dem schon bei Ibsen fast nur als Katalysator fungierenden genialisch-haltlosen Wissenschafter Lövborg kann auch Peter Engman nicht allzu viel Kontur verleihen. Ganz anders der kühle Manipulator Advokat Brack, den Peter Andersson in eine spannungsvolle Ambivalenz zwischen Gier und Langeweile rückt.
Das Ereignis des Abends
Das Ereignis des Abends ist aber selbstredend Maria Bonnevie in der Titelrolle. Die schwedisch-norwegische Schauspielerin, die international Aufsehen erregte, als sie in Ole Bornedals Film «I Am Dina» (2002) Gérard Depardieu glatt an die Wand spielte, lässt ihre berückende kühl-klare Schönheit auch hier nie als irgendwie berechnend eingesetztes Mittel erscheinen. Ihrer Hedda eignet aber auch nichts von Ennui und Müdigkeit des Fin-de-siècle. Deren Weltekel ist schneidend formulierte Selbstverachtung und – ganz in der Tradition des am Dramaten gepflegten lauten, deutlichen Sprechens, das die Fanfaren ihrer Vokale erstrahlen und die Konsonanten der Generalstochter wie Trommelwirbel daherrollen lässt – herrisch artikulierte Befehlsgewalt. Nur eines will mit dieser Hedda und ihrer prachtvoll-wilden Löwenmähne nicht recht aufgehen, und zwar das wohl rätselhafteste Element des Stücks: Heddas abgründige Faszination, seit der Schulzeit, wie es bei Ibsen heisst, durch Thea Elvsteds Haar. Hier kann es jedenfalls kein Anlass zu Neid sein.