1890 als Sohn jüdisch-russischer Einwanderer in Philadelphia geboren, wurde Man Ray nach seiner Übersiedlung nach Paris 1921 im Kreis der Künstler der Moderne um Matisse, Dalì, Ernst, Mirò, Breton und Aragon schnell heimisch. Sie und beinahe die ganze Pariser Kunstavantgarde hat er in seine Portraitsammlung aufgenommen.
Charakteristische Experimentierlust
Man Rays Schaffen bewegte sich vor allem in der Objektkunst und liess sich von den Richtungen der Moderne wie Kubismus, Futurismus, Surrealismus und Dadaismus inspirieren, wenngleich er durch seine konsequente Suche nach einer eigenen Ikonographie keiner dieser Kunstrichtungen eindeutig zugeordnet werden kann.
Für Man Ray und seine Zeit charakteristisch ist die grosse Experimentierlust und das Bemühen, die verschiedenen Kunstgattungen miteinander zu verbinden. Man Ray bewegte sich in der Malerei und der Skulpturistik so sicher wie in seiner bevorzugten Technik, der Fotographie, deren künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten er durch zahlreiche Verfahren – vorab der „Rayographie“, der „Solarisierung“ und der „Doppelbelichtung“ – bereicherte.
Er gilt auch als Pionier der Filmkunst, mit deren sinnlich-epischen Ausdruckskraft er bald Aufsehen erregte. Man kann sich vorstellen, wie viel gefeierten und verachteten Widerhall er mit einem Streifen erregte, in welchem an der exzentrischen Dada-Künstlerin Baronin Elsa von Freytag-Loinghoven eine Schamrasur vorgenommen wird.
Ausdrucksphotographie
Doch bei aller Exzentrizität und politischen Bezogenheit von Man Rays Schaffen, stand bei ihm immer der leidenschaftliche Drang nach Ausdruck und Form im Zentrum. Bezeichnend hierfür ist sein zunehmender Rückzug aus dem politisch-öffentlichen Kunstraum und die Konzentration auf das künstlerische Schaffen, vorab der Ausdrucksphotographie, der er sich seit 1922 fast ausschliesslich widmete und die er – nach finanziellen Durststrecken – in den Dienst der Modeaufnahmen für Vogue und Harper’s stellte.
Die radikale Selbstbestimmung zeigt sich in Man Rays Biographie von Kindheit an. Er betrieb seine Kunst entgegen den Vorstellungen seines autoritären Vaters heimlich und verweigerte sich später allen künstlerischen Bildungsstätten, welche seine Kreativität hemmten.
Doch bereits in den 30er Jahren schien ein neues schnelllebiges photographisches Schaffen, welches mit dem Begriff „Schnappschussfotographie“ und den Namen wie Robert Doisneau oder Henri Cartier-Bresson verbunden ist, die künstlerische Atelierphotographie zu verdrängen. Er, der das künstlerische Verständnis des beginnende Jahrhunderts durch seine bis zur Perfektion gesteigerten Kunstphotographie revolutioniert hatte, galt nun durch den realistischen Photojournalismus als überholt.
"Le Violon d'Ingres"
Man Ray mochte dieser Entwicklung nicht folgen und wandte sich bis zu seiner Flucht 1940 nach Amerika wieder vermehrt der Malerei und der Aktphotographie zu, die seiner Idee der Erotisierung von Leben und Welt durch die Kunst entgegen kam und deren Modelle ihm mehrere inspirierende Liebschaften sicherten, die meistens mehrere Jahre dauerten.
So lernte er aus ihrer Zeit mutig herausschlagende Frauen wie beispielsweise Kiki de Montparnasse kennen, mit der er von 1922-26 zusammen lebte und deren Rücken mit Violinschlüssel das surrealistisch-humorvolle Photo mit dem Titel „Le Violon d’Ingres“ und das Plakat der laufenden Ausstellung in Lugano schmückt.
Mit Lee Miller verband ihn eine obsessive-destruktive Liebesbeziehung, das berühmte Ölbild mit dem Namen „A l’heure de l’observatoire – Les Amoureux 1932-34“, geht auf diese Liaison zurück und wurde von Man Ray zeitlebens als schönstes seiner Werke bezeichnet. 1936 machte Man Ray über Alberto Giacometti Bekanntschaft mit Meret Oppenheim, deren ausgestellte Portraits ebenfalls Kultstatus haben.
Flucht nach Amerika und Rückkehr nach Paris
Als sich ab 1938 der Faschismus in Europa auszubreiten begann, konnte es für den jüdisch-russischen Emigranten und Künstler der Moderne auch in Paris auf Zeit kein Verbleiben geben. Seine eilige Flucht nach Amerika 1940 zwang ihn nicht nur, Freunde und den grössten Teil seines beachtlichen Werks in Paris zurückzulassen, sondern führte ihn – den in Europa allseits geachteten Künstler –nach 20 Jahren zurück in die Vereinigten Staaten, wo er inzwischen ein Unbekannter war und teilweise in der Bedeutungslosigkeit versank. Auch blieb ihm – entgegen anderer Künstleremigranten - Hollywood versagt, das an seinem „poetisch-surrealistischen Experimentalfilm“ wenig Interesse haben konnte.
1947 erreichte Man Ray die glückliche Mitteilung aus Europa, dass sein Haus und ein Grossteil seines Werks unzerstört geblieben war. Doch erst 1951 bezog er eine kleine Studiowohnung in Paris, zusammen mit seiner Frau – Juliet Browner, die er in einer Doppelhochzeit zusammen mit Max Ernst und Dorothea Tanning 1946 in Bevery Hills geehelicht hatte. In dieser bescheidenen Behausung von Paris blieb er bis zu seinem Tod.
"I paint the invisible, I photograph the visible"
Man Ray hat danach nicht mehr den grossen Bekanntheitsgrad von früher erlangt, doch sind seine Bedeutung für die Moderne und sein Einfluss auf die beginnende Popkultur unbestritten. Und wie alle grossen Künstler haften seinen Werken die Würde des Zeitlosen an. Hierfür bezeichnend ist beispielsweise ein Äusserung Man Rays zum Verhältnis von Malerei und Photokunst: „I paint that what I cannot photograph. I photograph that what I dont want to paint. I paint the invisible. I photographe the visible.“
Durch die Verben „können“ und „wollen“ bezeichnet er die eigenen, von innen oder aussen gesetzten Grenzen im Bemühen um Form und Ausdruck in der jeweiligen Kunstform, mit dem „Sichtbaren“ den Ausgangspunkt für die Photographie, mit dem „Unsichtbaren“ die Möglichkeiten der Malerei. Immer jedoch geht es in seinem Werk darum, der verborgenen und verbergenden Welt das Unsichtbare mittels Kunst zu entreissen – in dieser intellektuellen Radikalität könnte man Man Rays Werk politisch nennen.
Es ist das Verdienst der Ausstellung im Museo d’Arte Lugano, dem umfangreichen Werk auch die schriftlichen Dokumentationen, welche Man Rays Tagebuch entnommen wurden, beigestellt zu haben. Ein entsprechende Textsammlung zur Ausstellung ist in mehreren Sprachen verfügbar.
Noch bis zum 19. Juni im Museo d’Arte Lugano (Riva Antonio Caccia 5)