Die meisten grossen Medien in Europa und den USA verurteilen Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine und befürworten die Unterstützung für dieses Land. Die Kritiker behaupten, diese «Mainstream-Medien» verbreiteten zum Ukraine-Thema einen einseitigen antirussischen Informationsbrei. Für die Putin-Claqueure im Westen ist der Ausdruck «Mainstream» zum Schimpfwort geworden.
Die liberale deutsche Wochenzeitung «Die Zeit» hat unlängst in einem Kommentar auf der Frontseite argumentiert, die grossen Medien in Deutschland suggerierten zum Thema Ukraine-Krieg einen Konsens, den es in der Gesellschaft so nicht gebe. Nämlich die Journalisten seien sich weitgehend einig, dass Verhandlungen über ein Friedens- oder Waffenstillstandsabkommen zwischen Russland und der Ukraine gegenwärtig aussichtslos seien und auf naiven Hoffnungen beruhten. Die Kommentatorin spricht von einer gewissen «Meinungsmonotonie» zu dieser Frage.
«Whataboutismus» als Ablenkungsmanöver
Man könnte diesen kritischen Begriff auch generell auf die Grundhaltung der führenden Medien im Westen zum mörderischen Krieg, mit dem die Ukraine vom russischen Nachbarland überzogen wird, ausdehnen: Die grosse Mehrheit der Zeitungen und elektronischen Medien im demokratischen Westen stimmt darin überein, dass Putin seit mehr als zwei Jahren einen verbrecherischen Krieg gegen die Ukraine führt, für den sich keine glaubhaften völkerrechtlichen oder moralischen Argumente ins Feld führen lassen. Der Kreml-Diktator trägt die Verantwortung für den Tod von Zehntausenden von Soldaten und Zivilisten auf beiden Seiten der Front, für Millionen von ukrainischen Flüchtlingen und für unzählige zerstörte Städte und Dörfer.
Grundsätzlich ist diese gegen das Putin-Regime gerichtete Einstellung der meisten Medien im Westen ein positives Zeichen für deren Urteilsfähigkeit und Durchblick. Man könnte diese mediale Realität als «Konsens der Vernünftigen» bezeichnen. Denn was immer es sonst an Kritik, Fehlern, Ungerechtigkeiten und Fragwürdigkeiten in den eigenen Ländern anzuprangern gibt – an der eindeutigen Schuld des Kremlherrschers und seiner Kamarilla am Überfall auf die Ukraine gibt es nichts zu rütteln. Wer diese Realität nicht wahrhaben will und die Wahrheit mit allen möglichen Gegenargumenten oder «Whataboutismen» («Was ist mit den Amerikanern in Vietnam? Was ist mit dem israelischen Gaza-Krieg, der Nato-Osterweiterung, der US-Rüstungsindustrie usw?) zu entkräften versucht, outet sich am Ende als Putin-Versteher und Wahrheitsverdreher.
Putin als «Missverstandener», Selenskyj als «Kriegstreiber»
Damit soll nicht bestritten werden, dass es unter den Gegnern westlicher Waffenlieferungen und anderer Hilfe an die Ukraine auch ernsthafte Stimmen gibt, die der Meinung sind, eine Fortsetzung des Krieges sei in jedem Fall unerträglich. Der Westen sollte sich zumindest nicht länger mit Waffen in den Streit zwischen Russland und der Ukraine «einmischen» und sich allein auf die Vermittlung von Friedensverhandlungen konzentrieren. Dass Putin heute ohne diese westliche Waffenhilfe mit grösster Wahrscheinlichkeit in Kiew die Macht kontrollieren würde, wird von diesen pazifistischen Idealisten entweder naiv ausgeblendet oder als «kleineres Übel» in Kauf genommen.
Doch es gibt eine ungleich zynischere Variante im publizistischen Lager der westlichen «Friedensfreunde» und Putin-Versteher. Es sind diejenigen Kommentatoren und Sprachrohrohre «alternativer» Parteien und Medien, die den ukrainischen Präsidenten Selenskyj mit platten Lügen als «Kriegstreiber» denunzieren und Putin als «Missverstandenen» oder «überlegenen Strategen» feiern. Zu dieser Kategorie zählen Talkshow-Stars à la Sahra Wagenknecht, Demagogen und Trump-Propagandisten à la Tucker Carlson, Schaumschläger und atemlose Welterklärer à la Roger Köppel, Putins unbeirrbarer Busenfreund Gerhard Schröder sowie dessen früherer Parteifreund und späterer Intimfeind Oscar Lafontaine sowie andere eingefleischte Nato-Hasser.
Das Geschäftsmodell der Pro-Putin-Publizisten
Solche Figuren sind natürlich genau im Bild, weshalb Russland die Ukraine überfallen hat und was es mit Putins verlogenen Begründungen für dieses Kriegsverbrechen auf sich hat. Wenn sie dessen Krieg gegen das Nachbarland konsequent verharmlosen und dessen gnadenlose Repression gegen jede innere Opposition ebenso geflissentlich verschweigen, so tun sie das offenkundig aus naheliegendem Kalkül: Es geht um persönliche und populistische Profilierungssucht und häufig um kommerzielle Marktinteressen: Schrille Schlagzeilen und sogenannte Querdenker-Behauptungen versprechen höhere Auflagen und bessere Einschaltquoten – zumindest im Umfeld der angepeilten Meinungsblase. Publizistische Putin-Versteher betreiben auch ein Geschäftsmodell.
Ein bequemes Profilierungsvehikel unter den publizistischen Putin-Verharmlosern ist die Dauerpolemik gegen die sogenannten Mainstream-Medien. Diese füttern das Publikum angeblich mit einem tendenziösen, durch Nato-Propaganda gewürzten Einheitsbrei über die Zusammenhänge des Ukraine-Krieges. Mit dem Schimpfwort «Mainstream-Medien» lassen sich zudem bequem allerhand wirre Verschwörungstheorien schüren.
Diese sollen der Öffentlichkeit suggerieren, dass die in der seriösen Presse vertretenen Meinungen nicht die eigentlichen Ansichten der Journalisten wiedergeben. Vielmehr würden diese Mainstream-Berichte durch interne Vorgaben und ideologische Interessenmanipulationen in antirussische Richtungen gesteuert. Dass zwischen den angeblich gleichgeschalteten Mainstream-Medien in Wirklichkeit oft deutlich unterschiedliche Meinungsakzente zum Thema Ukraine-Krieg artikuliert werden, wird von den «alternativen Wahrheitsverkündern» grosszügig übergangen.
Trübe Aussichten für den Schweizer «Friedensgipfel»
Aber abgesehen von der notwendigen Distanz gegenüber den Putin-Claqueuren und ihren durchsichtigen Motiven bleibt die Frage eines Waffenstillstandes und möglicher Friedensverhandlungen zum Ukraine-Krieg grundsätzlich natürlich legitim und aktuell. Allerdings muss dabei das Faktum in Rechnung gezogen werden, dass weder der Kriegstreiber Putin noch der Präsident der angegriffenen Ukraine gegenwärtig ernsthaftes Interesse an einem Waffenstillstand zeigen.
Selenskyj lehnt nach dem Scheitern einer ersten Verhandlungsrunde mit Moskau im März/April 2022 weitere Waffenstillstandsgespräche ab, die nicht davon ausgehen, dass die russischen Truppen sich hinter die Grenzen vor dem Angriff vom 24. Februar 2022 zurückziehen. Dagegen könnte man einiges einwenden, doch offenbar ist eine Mehrheit der Ukrainer mit diesem Standpunkt immer noch einverstanden – zumindest solange kein halbwegs glaubwürdiges Verhandlungsangebot aus Moskau kommt.
Putin wiederum behauptet treuherzig, wie etwa im Interview mit dem berüchtigten US-TV-Demagogen Tucker Carlson, Moskau sei jederzeit zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand bereit. Doch bisher sind von russischer Seite keinerlei Ansätze einer entsprechenden Initiative oder gar konkrete Vorschläge über die Bedingungen und die Teilnehmer solcher Verhandlungen zu vernehmen.
Zu dem vom Schweizer Bundesrat im Juni vorgesehenen«Friedensgipfel» auf dem Bürgenstock ist Moskau zwar mit Rücksicht auf ukrainische Bedenken nicht formell eingeladen worden, was zweifellos eine Schwäche dieses Projekts ausmacht. Doch Aussenminister Cassis hat vor einigen Wochen bei einem Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Lawrow in New York immerhin versucht, doch noch eine Formel für eine russische Beteiligung zu finden. Lawrow hat das kategorisch abgelehnt. Offenkundig ist das Putin-Regime absolut nicht bereit, über die von Kiew geforderte Rückgabe der bereits in aller Form annektierten ukrainischen Gebiete auch nur zu reden. Auch diese Wahrheit wird von den publizistischen Putinisten im Westen, die gegen das Bürgenstock-Treffen polemisieren, konsequent verschwiegen.