Insgesamt 287 Jahre Gefängnisstrafe hat eine römische Richterin soeben 41 von 46 Angeklagten verpinselt, die in Italiens Hauptstadt in einen gigantischen Korruptionsskandal verwickelt waren. Dabei wäre das Strafmass noch weit höher ausgefallen, wenn die Richterin der Staatsanwaltschaft gefolgt wäre und die Angeklagten der Mafia zugerechnet hätte. Ihre eigenwillige Interpretation, wer zur Mafia gehört und wer nicht, hat weltweit unter Journalisten irritiertes Kopfschütteln ausgelöst. Für uns ist sie indes ein willkommener Anlass, das Augenmerk darauf zu richten, wie der Journalismus selbst mit der organisierten Kriminalität umgeht.
Die kürzlich verstorbene italienische Sozialforscherin Rosaria Conte hat nämlich auf ein Missverhältnis hingewiesen: Islamistischem Terror widmeten die Medien jeweils sehr viel Aufmerksamkeit, über die Aktivitäten der Mafia breiteten sie dagegen oftmals den Mantel des Schweigens. Dabei überstiegen die Toten und auch die wirtschaftlichen Schäden, welche auf das Konto der organisierten Kriminalität gehen, um ein Vielfaches jene, die bisher mit Terroranschlägen angerichtet wurden – nicht nur in Italien, sondern europaweit.
Die Mafia – kein allein italienisches oder russisches Problem
In Italien ist die Mafia derzeit, gemessen am Umsatz, das grösste „Unternehmen“ des Landes. Das Istituto Eurispes schätzt ihn auf jährlich 120 bis 180 Milliarden Euro – das sind rund sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Doch die Mafia ist beileibe kein allein italienisches oder russisches Problem. Daran lassen Contes Forschungsarbeiten keinen Zweifel, und das bestätigen andere Experten immer wieder, zum Beispiel die in Venedig lebende deutsche Journalistin Petra Reski oder der Gründer der Rechercheplattform Correctiv, David Schraven, und sein Ko-Autor Maik Meuser. Die Mafia ist längst, so Conte, eine „schwere gesellschaftliche Pathologie“ auf europäischer, ja globaler Ebene geworden.
Für Verbrecherkartelle sei Deutschland das gelobte Land, „weil die Justiz Mafia-Aktivitäten völlig unterschätzt“, schreibt Egbert Bülles, der langjährige Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität des Kölner Justizzentrums. Unterschätzt wird sie wohl ganz ähnlich vom Journalismus, denn während Terroristen nach Medienaufmerksamkeit gieren, sucht die Mafia diese möglichst zu vermeiden.
Erstveröffentlichung dieses Artikels im Berliner „Tagesspiegel“