Die Nordkoreaner selbst können wohl die über Presse, Radio und Fernsehen medial verbreiteten Nachrichten zur Parteikonferenz besser einordnen. Sie wissen also nach den "Wahl" Kims und dessen engsten Familienangehoerigen in die obersten Chargen der Arbeiterpartei und der Armee, was es geschlagen hat. Vorerst jedenfalls noch mehr Mühsal, noch mehr wirtschaftliche Not, kurz, den Gürtel noch einmal enger schnallen.
Die Fakten sind schnell aufgezählt und waren international tätigen Fernsehsendern Schlagzeilen wert, als ob etwas Ueberraschendes vorgefallen waere. Kim Jong-il, der in Nordkorea als "Geliebter Führer" gelobhudelt wird, wurde – was für eine Ueberraschung! – als Generalsekretär der Koreanischen Arbeiterpartei und als Chef der allmächtigen Militärkommission bestätigt, wohl mit 101 Prozent aller Stimmen. Sehr viel wichtiger war die Ernennung seines jüngsten, erst 28 Jahre alten Sohnes Kim Jong-un zum Viersternegeneral und einer von zwei Stellvertretenden Vorsitzenden der Militärkommission. Was Kim Jong-il bewogen hat, seinen jüngsten von drei Söhnen zu bevorzugen, bleibt vorerst sein Geheimnis. Die zwei Schuljahre von Kim Jong-un in Köniz (Bern) haben wohl nicht den Ausschlag gegeben. Führer Kim Jong-il ist aber nicht nur "geliebt", sondern auch weise. Er hat dynastisch an alles gedacht. Da der jüngere Kim wohl keine vierzehn Jahre Zeit haben wird, das diktoriale Handwerk zu lernen, stellte der ältere Kim dem Sohnemann enge Vertraute zur Seite. So wurde Kim Jong-ils 64 Jahre alte Schwester Kim Kyong-hui zur Viersternegeneralin befördert, deren Mann Jang Song-thäk schon bisher hinter dem älteren Kim die Nummer 2 war.
Nicht in chinesischem Stil
Die Parteizeitung "Rodong Sinmun" und die Nordkoreanische Zentrale Nachrichten-Agentur haben deshalb folgerichtig und faktisch absolut korrekt die Entscheidungen der Parteikonferenz (was übrigens nicht ganz das gleiche wie ein Parteitag ist...) als "historisch" bezeichnet. Es gab auch Fotos. Zum ersten Mal konnten Nordkoreanerinnen und Nordkoreaner ihren künftigen Führer Kim Jong-un betrachten. "Ganz dr Pappe", kann man da nur sagen. Korea-Experten – und wer wäre das nicht? – sind sich uneinig, was das "historische" Ereignis fuer Nordkoreas Zukunft und für die Sicherheit der Region bedeuten wird. In einer Uebergangsperiode von wenigen Jahren bis zur Etablierung stabiler Verhältnisse in der Dynastiefrage wird sich mit grosser Wahrscheinlichkeit wenig bis nichts ändern. Wirtschaftlich wird das nach aussen hermetisch abgeschlossene Nordkorea weiter darben und zur Ernährung seiner 24 Millionen Einwohner auf internationale Hilfe und massive Lieferungen aus Südkorea angewiesen sein. Eine entscheidende Aenderung der Wirtschaftspolitik hin zu mehr Oeffnung im chinesischen Stil wird es vorerst nicht geben. Kim Jong-il, ein bekennender Freund des Internets und aller modernen Technologie, hat China verschiedentlich besucht, zuletzt im August. Doch überzeugt hat ihn offenbar die Kombination von autoritärer Regierung und kapitalistischer, bzw. "sozialistischer Marktwirtschaft chinesischer Prägung" nicht. Vielleicht wird dereinst Kim der Jüngere, der ja in seinen Schweizer Schuljahren wohl Anschauungsuntericht beim Einkaufen in einer Ueberflussgesellschat bei Coop, Migros, Denner, Landi und dergleichen genossen haben dürfte, Nordkorea in eine strahlende Zukunft führen.
Widersprüche ausnützen
Strahlend sozusagen ist derzeit in Nordkorea einzig das Atomprogramm, das der internationalen Gemeinschaft einiges Kopfzerbrechen bereitet. Seit Jahr und Tag sponsert die chinesische Regierung – Nordkorea kritisch, aus historischen Gründen noch immer freundschaftlich verbunden – die sogenannten Pekinger Sechsergespräche. Beteiligt sind natürlich Nord- und Südkorea, dann China und Japan sowie die USA und Russland. Wer Kim Jong-il wie viele westliche Medien als Cognac-Säufer, Kino-Fan, Pizza-Liebhaber und Halbverrückten abqualifiziert, hat von der nordkoreanischen Wirklichkeit wenig begriffen. Kim nämlich benutzt seit langen Jahren sein Atom- und Raketenprogramm diplomatisch effizient als Druckmittel. Genau das wird sich auch nach dem eben zu Ende gegangenen "historischen" Treffen in Pjöngjang nicht ändern. Kim nutzt durchaus rational die Widersprüche der an den Sechsergesprächen beteiligten Grossmächte. Er verspricht viel, hält wenig bis nichts und erhält trotzdem alles. Und das seit fast zwei Jahrzehnten. Eine reife Leistung. Jetzt zeigt sich Nordkorea einmal mehr bereit, wieder an den Pekinger Gesprächen teilzunehmen. Vor etwas mehr als einem Jahr hat Pjöngjang wegen der Veurteilung eines Langstrecken-Raketentests durch die internationale Gemeinschaft die Gespräche boykottiert und kurz darauf einen zweiten Atomtest durchgeführt.
Was die Zukunft bringt, ist klar. Nordkorea, das sich technisch nach dem Koreakrieg von 1950-1953 mit Südkorea und den USA noch immer im Kriegszustand befindet, strebt ein Abkommen mit den USA an. Nach dem Waffenstillstand von 1953 ein regelrechter Friedensvertrag also. In direkten Verhandlungen und nach nordkoreanischen Bedingungen allerdings. Pekinger Sechsergespraeche hin oder her. Die Amerikaner haben es bislang mit Zuckerbrot oder Peitsche versucht. Ohne Erfolg. Das Misstrauen ist fast unüberwindbar. Wird es Kim Jong-un als Dritter in der roten Kim-Dynastie einst schaffen? Fragen über Fragen.
Das nächste Ziel, das sich die nordkoreanische Führung gesetzt hat, ist von ganz anderem Kaliber. Bis ins Jahr 2012 soll Nordkorea den Status einer "mächtigen und wohlhabenden Nation" erreichen. Nicht von ungefähr. In zwei Jahren nämlich jährt sich zum hundersten Mal der Geburtstag von Uebervater, ja Halbgott Kim Il-sung, dem "Präsidenten in alle Ewigkeit". Und Kim Jong-un wird dreissig...
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