Michael Fehr (Bild: Franco Tettamanti) eroberte vor vier Jahren mit „Kurz vor der Erlösung“ überraschend und sofort die Literaturszene. Mit „Simeliberg“ doppelte er zwei Jahre später abgründig und packend nach. Nach den Regeln des literarischen Betriebs hätte er jetzt zumindest nach Umfang einen gewichtigen Roman vorlegen müssen. Doch Michael Fehr schlug – durchaus zu ihm passend – einen Haken. Das dritte Werk „Glanz und Schatten“ ist ein schmales Bändchen mit 18 kurzen Erzählungen. Es liegt im Licht der beiden ersten Publikationen, sichert sich also den Glanz, verflüchtigt den Schatten und weckt Erwartung, ja Spannung.
Irritierend fantasievoll
Wir entdecken, womit uns der Autor schon bisher in Erstaunen versetzte, wortschöpferische Perlen und wortakrobatische Bravourstücke. Das Erzählte liest sich wie lyrische Prosa. Sie zwingt zur langsamen und genauen Lektüre und stellt diese auf eine harte Geduldsprobe.
Bis in die genüsslich beschriebenen Einzelheiten erfahren wir beispielsweise, wie sich ein Rebhuhn tierquälerisch auseinandernehmen lässt, um die lakonische Belehrung zu vernehmen, „den Rest Fleisch nimmt man nachher heraus wie man Fleisch aus allem herausnimmt.“ Oder wir lesen von zwei Männern, die sich mit gegenseitigen Messerwürfen umzubringen versuchen, was der Alte mit dem Leben bezahlt und der Junge mit dem Verlust seiner Messer.
Keine der Erzählungen ist unmittelbar plausibel. Sollten es Parabeln sein, dann verschlossene wie Austern. Das Grausame der Geschichten erinnert entfernt an Märchen. Die Wirklichkeit erscheint so verdreht und so irritierend fantasievoll wie in den Träumen, die jeder Logik entbehren und gleichwohl stimmen.
L'art pour l'art?
Als erste Folgerung könnte richtig sein, Michael Fehr reduziere mit der eisernen sprachlichen Sparsamkeit auch den inhaltlichen Sinn auf Null. L'art pour l'art für letztlich nichts.
Es lohnt sich, daran zu zweifeln und zur Strafe fürs vielleicht zu schnelle Urteil eine längere der kurzen Erzählungen – „Die Studentin“ – nochmals und noch sorgfältiger Zeile für Zeile zu lesen. Die Handlung könnte banaler nicht sein: Eine junge Frau tobt sich aus wie eine Wildsau und befürchtet, völlig abgelöscht und abgehängt zu enden.
Minimaler Aufwand mit maximaler Wirkung
Der Stoff eines Groschenromans gerät durch die Sprachkunst Michael Fehrs zu einem grossartig verdichteten Schicksal, dessen Schilderung mit einem minimalen Wortaufwand eine maximale Wirkung von gesellschaftlichem Belang erreicht.
Nämliches offenbart die Titel-Erzählung „Glanz und Schatten“. Aus einem Plapperer wird ein Redner. Nichts weiter. Der Autor jongliert die gleichen Begriffe von einer Bedeutung zur andern, treibt derart sowohl das Geschehen voran als auch die Rollenwechsel von Treibenden zu Getriebenen und umgekehrt. Raffiniert.
Das Bändchen ist eine Prüfung für durchhaltende Leser, die der schelmisch inszenierten Versuchung widerstehen, den Unsinn für bare Münze zu nehmen und den Hintersinn zu verkennen. Die notwendigen Klimmzüge an der lyrischen Steilwand mit überhängenden Felsen schenken amüsante, furchterregende und atemberaubende Ausblicke und Einblicke.
Michael Fehr, „Glanz und Schatten“, Verlag „Der gesunde Menschenversand“, Luzern 2017, ISBN 978-3-03853-039-8