Der US-Fernsehsender Fox News hat nach der Präsidentenwahl 2020 wiederholt behauptet, ein Hersteller habe Wahlmaschinen manipuliert, um Donald Trump Stimmen verlieren zu lassen. Jetzt fordert Dominion Voting Systems vom populärsten Kabelkanal des Landes 1,6 Milliarden Dollar Schadenersatz. Der Prozess wirft Grundsatzfragen in Sachen Pressefreiheit auf.
Falls es zu keiner aussergerichtlichen Einigung kommt, beginnt ab Mitte April in Delaware der Prozess, den die Firma Dominion Voting Systems, Herstellerin von Wahlmaschinen, wegen Verleumdung gegen den Fernsehsender Fox News angestrengt hat. Der Sender hatte wiederholt berichtet, das Unternehmen habe Wahlmaschinen manipuliert, um bei der Präsidentenwahl 2020 Stimmen, die Donald Trump gegolten hätten, gezielt Joe Biden zuschanzen zu können. Dominion klagt auf 1,6 Milliarden Dollar Schadensersatz, ein happiger Betrag, der Fox News bei dessen Profiten zwar nicht existenziell bedrohen würde, aber dennoch eine heftige Klatsche darstellt.
Fox News wird sich bei seiner Verteidigung in erster Linie auf den ersten Zusatz der amerikanischen Verfassung (1st Amendment) berufen, der die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit garantiert. Dominion dagegen wird argumentieren, Fox News habe bösartig und wissentlich Unwahrheiten und Verschwörungstheorien verbreitet und sich so («actual malice») schuldig gemacht: «Im Wissen, dass sie (die Information) falsch war oder ohne sich pflichtbewusst darum zu kümmern, ob sie wahr war oder nicht» (aus dem Urteil des US-Supreme Court im Fall New York Times vs. Sullivan).
Doch die juristischen Hürden, «actual malice» schlüssig nachzuweisen, sind in den USA hoch. Verschiedene Medien haben sich in der Vergangenheit mit Erfolg auf eine Verteidigungsstrategie gestützt, welche sich auf die in der Verfassung verankerte Meinungsfreiheit beruft. Entsprechend unterschiedlich fallen Einschätzungen von Juristen bezüglich der Erfolgsaussichten der Klage gegen Fox News aus.
Die entscheidende Frage: Dürfen Medien wissentlich Lügen verbreiten, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden? Fox News argumentiert, der Sender selbst habe nicht gelogen, sondern lediglich über die Lügen anderer in Sachen Wahlmaschinen berichtet. Auch sei Dominion als Firma viel weniger wert als die geforderten 1,6 Milliarden Dollar und finanziell nicht zu Schaden gekommen.
Inzwischen aber sind Dutzende E-Mails und Texte publik geworden, die beweisen, dass sich das Management und die Starmoderatoren von Fox News des Umstandes sehr wohl bewusst waren, dass in ihren Sendungen platte Lügen und krause Verschwörungstheorien verbreiten wurden, ohne dass sie etwas dagegen unternommen hätten. Sie taten das nicht, aus Angst, wie die Dokumente zeigen, Publikumssegmente an noch konservativere Konkurrenten wie Newsmax zu verlieren und so zu riskieren, ihre Profite zu schmälern.
«Ich glaube, dass Dominion siegen wird und siegen sollte», argumentiert Laurence Tribe, früherer Rechtsprofessor der Universität Harvard: «Dieser Fall wird mutmasslich in einem Grundsatzurteil enden, das zeigen hilft, dass in früheren Fällen die Hürde (bei Verleumdungsklagen) nicht so hoch war, wie einige Kritiker behaupten.» Verfassungsjuristin Sonia R. West von der University of Giorgia stimmt ihrem Kollegen zu: «Es stimmt zwar, dass das Oberste Gericht für Kläger eine hohe Hürde aufgebaut hat. (...) Dieser Fall könnte die Ausnahme von der Regel sein.»
Fox News argumentiert, seine Berichte und Kommentare zu Dominion seien Ausdruck legitimer Nachrichtenbeschaffung, die der Supreme Court ausdrücklich schütze. Der TV-Sender wirft dem Kläger vor, Zitate aus dem Kontext gerissen zu haben und viel Tinte über Fakten vergeudet zu haben, die punkto Verleumdungsrecht irrelevant seien: «Es ist so offensichtlich, dass jeder vernünftige Fernsehzuschauer versteht, dass Fox News nur Anschuldigungen an die Adresse von Dominion berichtete und kommentierte, aber nicht meldete, die Anschuldigungen würden stimmen.» Ironie der Geschichte: Donald Trump, Darling von Fox News, hat wiederholt gefordert, es müsse Normalsterblichen leichter fallen, Nachrichtenmedien wegen Verleumdung einzuklagen.
Trotzdem zeigen Dokumente, dass Rupert Murdoch, der Besitzer von Fox News, sowie das Top-Management und die Starmoderatoren des Senders privat sehr wohl wussten, dass die Anschuldigungen gegen Dominion nicht stimmten. Das öffentlich einzugestehen, wagten sie allerdings nicht – aus Furcht, ihr Publikum zu verärgern, von dem sie wussten, dass es Donald Trump blind ergeben war. So hielt Rupert Murdoch den Ex-Präsidenten für einen «schlechten Verlierer» und dessen Behauptungen von Wahlbetrug für «wirklich verrückt».
Starmoderator Tucker Carlson schrieb nach der Wahl 2020 an Kollegen, er freue sich darauf, künftig nicht mehr jeden Abend über Donald Trump berichten zu müssen: «Ich hasse ihn leidenschaftlich.» Gleichzeitig plädierte er aber dafür, eine Reporterin zu entlassen, die es gewagt hatte, Trumps Behauptungen von Wahlbetrug zu checken: «Das muss sofort aufhören. Es schadet dem Unternehmen spürbar. Der Aktienpreis ist gefallen. Kein Witz.»
Auch sonst machten Tucker Carlson und andere Starmoderatoren und -moderatorinnen von Fox kein Hehl aus ihrer Verachtung für Kolleginnen und Kollegen auf der News-Seite des Senders, die ihren Job gewissenhaft machten und lediglich berichteten, was Sache war. Die erzkonservative Kommentatorin Laura Ingraham zum Beispiel schrieb an zwei privilegierte Kollegen, zu dritt hätten sie bei Fox News enormen Einfluss: «Wir haben mehr Macht, als wir wissen oder ausüben.» Oft kam seitens von Fox News die Ermahnung, es gelte, die Zuschauerschaft «zu respektieren», was im vorliegenden Fall hiess, dem Publikum zu sagen, was es hören wollte, obwohl es nicht stimmte.
Ein Nachrichtenredaktor von Fox News fürchtet heute, der Fall Dominion sei zu einer «existenziellen Krise» für den Sender geworden: «Es ist bemerkenswert, wie schlechte Einschaltquoten gute Journalisten schlimme Dinge zu tun veranlassen. Es ist wirklich eine Sauerei.» Selbst der bei Fox News für die Medien-Berichterstattung Zuständige durfte während längerer Zeit den drohenden Prozess am Bildschirm mit keinem Wort erwähnen. Inzwischen hat er es, abwimmelnd und halbherzig, getan.
Bleibt die Frage, weshalb Management, Moderatorinnen und Moderatoren von Fox News eine Strategie der Lügen wählten, die sie am Bildschirm konsequent umsetzten, und weshalb Journalistinnen und Journalisten ihren Ruf auf Kosten von Lügen zerstörten. «Es gibt eine einfache Antwort: Geld», sagt der auf ethische Fragen spezialisierte Anwalt Richard Painter: «Lügen machen Geld.»
Es gibt in den USA zwar Präzedenzfälle für erfolgreiche Verleumdungsklagen gegen Medien, aber nur selten solche, die ein ähnliches Ausmass an Gier, Heuchelei und Skrupellosigkeit zeigen, wie es bei Fox News der Fall ist. Im vergangenen Jahr verurteilte ein Geschworenengericht in Connecticut Radiomoderator Alex Jones zu einer Entschädigungszahlung von 965 Millionen Dollar an Familien von Opfern des Massakers an der Primarschule Sandy Hook in Newton. Jones hatte am Mikrofon wiederholt behauptet, der Amoklauf sei nur eine Inszenierung und die 28 Opfer (unter ihnen 20 Kinder) hätten lediglich geschauspielert.
1977 hatte ABC News einem Fleischproduzenten 177 Millionen Dollar zahlen müssen, weil der Fernsehsender eines der Produkte des Unternehmers am Bildschirm als «rosa Schleim» bezeichnet hatte. «Aus meiner Erfahrung zeigen Geschworene keine Sympathie für Medien, die wissentlich jemand anderem Schaden zufügen», sagt Anwalt Charles Harder, der Donald Trump und dessen Gattin Melanie bei Verleumdungsklagen vertreten hat.
Skeptischer äussert sich Medienanwalt Stuart Karle, was den Ausgang des Prozesses gegen Fox News betrifft. Er befürchtet, andere Medien könnten zu den wirklichen Verlierern gehören, falls Dominion gewinnt: «Ein hartes Urteil gegen Fox wäre Futter für Kläger, die mit einer Berichterstattung unzufrieden sind, und ein Ansporn für Anwälte, die auf grosse Honorare in plötzlich lukrativen Verleumdungsfällen hoffen, auch andere Medien anzuklagen.»
Im Übrigen hat das Oberste Gericht des Staates New York inzwischen grünes Licht für Vorbereitungen eines zweiten Prozesses gegen Fox News gegeben. Klägerin in diesem Fall ist die global tätige Firma Smartmatic, die wie Dominion Voting Systems Wahlmaschinen herstellt und über die der Fernsehsender nach der Präsidentenwahl 2020 in über 100 Fällen Unwahrheiten verbreitet haben soll.
Unter anderem hat Fox News behauptet, Smartmatic sei in Venezuela auf die Initiative eines korrupten Diktators hin gegründet worden und die Londoner Firma habe mit Dominion kooperiert, um die Wahlergebnisse zu Ungunsten Donald Trumps zu manipulieren. Smartmatic fordert 2,7 Milliarden Dollar Schadenersatz. Wie sagte einst der legendäre Fernsehmoderator Edward R. Murrow auf CBS jeweils am Ende der Abendnachrichten? «Good Night, and Good Luck».