Strahlende Sieger und tiefenttäuschte Verlierer am 26. März. Strahlende Sieger und tiefenttäuschte Gesichter erneut. Dieses Mal am 8. Mai. Bei zahlenmässig nahezu identischen Ergebnissen. Bloss: Freude und Niedergeschlagenheit jetzt genau umgekehrt. Hatten vor fünf Wochen bei der Landtagswahl im Saarland die Sozialdemokraten über den Triumph ihrer Spitzenkandidatin Anke Rehlinger frenetisch gejubelt, so waren es nun im nördlichsten deutschen Bundesland Schleswig-Holstein die Christdemokraten mit dem Ministerpräsidenten Daniel Günther.
Vor dem Hintergrund dieser Regionalwahlen richten nun nicht nur die Strategen in den Berliner Parteizentralen ihre Blicke auf Nordrhein-Westfalen. Dort, in dem mit mehr als 18 Millionen Menschen einwohnerstärksten Bundesland, wird am kommenden Sonntag ebenfalls ein neuer Landtag bestimmt. Die Wahl in NRW (wie die Region an Rhein, Ruhr und Weser gern abgekürzt wird) gilt als richtungsweisend für die politische Stimmung im ganzen Land. So gesehen, steht vor allem für die beiden klassischen bundesdeutschen Volksparteien CDU und SPD viel auf dem Spiel. Bei der Union muss sich für den erst relativ kurz im Amt befindlichen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst erweisen, ob er – trotz des Debakels um seinen Vorgänger und gescheiterten Kanzlerkandidaten Armin Laschet – die Macht im eigentlich traditionellen Arbeiter- und damit SPD-Land verteidigen kann. Und vom sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Thomas Kutschaty wird nicht nur erwartet, dass er Wüst vom Thron stossen kann (mit wessen Hilfe auch immer) , sondern auch, dass die Rückeroberung des Düsseldorfer Landtags als Belohnung der Politik von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und dessen Berliner «Ampel»-Koalition mit Grünen und FDP gewertet werden darf.
Auf die Personen kam es an
Um dieses Kunststück fertig zu bringen, bedarf es freilich schon eines gehörigen Stücks Magie und Zauberei. Denn sowohl an der Saar als jetzt auch im Land zwischen Nord- und Ostsee kann zumindest etwas als gesichert gelten – es handelte sich hier wie dort in erster Linie um eine Personalwahl. Mit anderen Worten: Mit der Sozialdemokratin Rehlinger und dem Christdemokraten Günther wurden von den Wählern Persönlichkeiten mit Vertrauen belegt, die schon seit geraumer Zeit die Beliebtheitsskalen der Demoskopen deutlich anführten. Anders (und vereinfacht) ausgedrückt – die Ergebnisse von Saarbrücken und an der Kieler Förde waren jeweils Lohn der Anständigkeit. Wobei es vor allem im Norden nicht selten einem Wunder glich, dass der heute 48-jährige Daniel Günther seine ganz gewiss nicht einfache «Jamaika»-Koalition mit Grünen und Freidemokraten vor fünf Jahren überhaupt zu schmieden und seither ohne Skandale, Affären oder gegenseitige Attacken durch alle politischen Untiefen zu steuern vermochte.
Es war Robert Habeck von den Grünen, Günthers mehrjähriger Umweltminister und Stellvertreter im Regierungsamt, der dieses Kunststück so beschrieb: Unter der Leitung des christdemokratischen Regierungschefs sei es in Kiel den sehr unterschiedlichen und teilweise sogar zutiefst verfeindeten Partnern CDU, Grünen und FDP gelungen, politisch-ideologisch wie auch menschlich tiefe Gräben zu überwinden und Vertrauen zu schaffen. Wer daran nicht beteiligt war und wahrscheinlich auch deshalb so desaströs auf der Strecke blieb, war die SPD – früher viele Jahre dominierende Kraft im Land zwischen den Meeren. Wer über ein ausgeprägtes Gedächtnis verfügt, wird sich noch an den Skandal um den einstigen Ministerpräsidenten Uwe Barschel und dessen (möglicherweise) Freitod 1987 in einem Genfer Hotel erinnern. Barschel hatte seinen damaligen Herausforderer Björn Engholm ausspionieren lassen (der tat es freilich umgekehrt auch) und musste zurücktreten. Später fehlten der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Heide Simonis bei Vertrauensvoten im Landtag entscheidende Stimmen aus dem eigenen Lager. Es ging munter zur Sache an der Waterkant, besonders auch zwischen den eigenen Genossen, die unter anderem deshalb jetzt die Quittung erhielten.
Ein neuer Umgangsstil
Unter Günther und mit tatkräftiger Unterstützung durch Robert Habeck zog nicht nur ein neuer Umgangsstil im Kieler Landtag ein. Platz fanden auch neue Politikfelder, ganz zuvorderst der zügige Ausbau der Windenergie. Wobei interessanterweise auch der liberale Koalitionspartner voll mitzog, obwohl den Lohn dafür die Grünen einstreichen und bei der Endabrechnung sogar deutlich an der SPD auf Platz zwei auf der Parteienskala vorbeiziehen konnten. Dass Daniel Günter und die CDU wahrscheinlich relativ klar siegen würden, hatten Umfragen schon über längere Zeit erahnen lassen. Zumal der sozialdemokratische Spitzenkandidat, Thomas Losse-Müller, noch bis Oktober 2020 Mitglied der Grünen war und erst dann der SPD beitrat. Aber ein solcher «schwarzer» Erfolg überraschte am Ende selbst die Befragungs-Institute. Es fehlten schliesslich nur wenige Stimmen, um jenes letzte Mandat zu gewinnen, das der CDU (wie zuvor an der Saar der SPD) die absolute Mehrheit beschert hätte.
Nochmal: Das Kieler Ergebnis war, ohne Zweifel, ein persönlicher Erfolg Daniel Günthers. Aber natürlich liegt die Frage auf der Hand – zumal, wenn ein so wichtiger Urnengang wie in Nordrhein-Westfalen vor der Tür steht –, welchen Anteil an dem Wählervotum hatten Olaf Scholz und dessen Berliner Koalition? Und wie wird «Berlin» auf NRW abfärben? Nicht zuletzt: Welchen Einfluss hat der Ukraine-Krieg und dort das deutsche Lavieren? Die Strategen im Berliner Erich-Ollenhauer-Haus weisen jeden Gedanken daran weit von sich. Aber natürlich können sie etwaige Zusammenhänge nicht übersehen. Die aktuellen Umfragen sagen für Nordrhein-Westfalen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem christdemokratischen Amtsinhaber Wüst und dessen SPD-Herausforderer Kuschaty voraus; mit leichtem Vorsprung von Wüst. Doch die NRW-Wahl wirft nicht nur auf Scholz und die Ampel-Koalition Schatten. Aus Nordrhein-Westfalen kommt auch der auf Freund wie Feind polarisierend wirkende CDU-Vorsitzende und Oppositionsführer im Deutschen Bundestag, Friedrich Merz. Kuschaty hat offensichtlich die Hoffnung aufgegeben, am kommenden Sonntag die meisten Stimmen auf sich zu vereinen. Er setzt stattdessen auf eine zahlenmässige Mehrheit zusammen mit den NRW-Grünen.
Das Buhlen um die Grünen
Und genau um diese Partei dürfte sich sowohl in Kiel wie in Kürze auch in Düsseldorf die 100-Dollar-Zukunftsfrage drehen. Die Wähler an der Waterkant haben Daniel Günther in den komfortablen Stand gesetzt, sich sowohl Grüne als auch Liberale und die überraschend starke Vertretung der dänischen Minderheit als Partner zu erwählen. Ja, theoretisch kämen sogar die Sozialdemokraten noch infrage. Allerdings wäre es ein Wunder, würde er nicht dem dringenden Rat seines Freundes Robert Habeck folgen und eine Zweier-Paarung aus CDU und Grünen anstreben. Dies nicht nur, aber auch, aus strategischen Überlegungen. Unter der Führung von Habeck und Annalena Baerbock sind die einstigen Sonnenblumenfreunde längst dabei, die ehemals als Herzenswunsch geltende Liaison mit der SPD zu lockern und notfalls auch zu lösen. Was in Kiel funktioniert – warum sollte das nicht auch in Düsseldorf klappen können, falls CDU und Liberale nicht die notwendige Regierungsmehrheit auf die Beine brächten? Warum sollte es Schwarzen und Grünen nicht auch an Rhein und Ruhr gelingen, Gräben der Vergangenheit zu überwinden?