Die sogenannte Autobiografie des englischen Prinzen Harry ist offenkundig ein Riesengeschäft. Trotz dem durchsichtigen kommerziellen Kalkül finden selbst seriöse Rezensenten darin auch anrührende Züge. Das liegt zweifellos massgeblich an Harrys professionellem Ghostwriter, J. R. Moehringer, der schon mehrere derartige Erinnerungen prominenter Persönlichkeiten marktgerecht zu Papier gebracht hat.
Um es gleich vorneweg zu sagen: Ich habe das Buch von Prinz Harry, dessen Erscheinen in der vergangenen Woche in fast allen Medien rund um die Welt so viel Wind gemacht hat, nicht gelesen. Und ich habe auch nicht vor, diesen fünfhundertseitigen Schinken des 38-jährigen britischen Prinzen, der sich mit seiner Familie nach den USA abgesetzt hat – angeblich um den höfischen Zwängen und den Nachstellungen der Sensationsmedien zu entfliehen – näher durchzuackern. Aber ich habe eine Reihe von ausführlichen Besprechungen auch in seriösen Zeitungen gelesen, die diesem dicken Buch bei allen Vorbehalten gegenüber dem dahinterstehenden knallharten kommerziellen Kalkül auch manche anrührenden und verständnisvollen Züge abzugewinnen vermochten.
Ein Profi des erzählerischen Handwerks
So schreibt die Journalistin Antonia Baum im Feuilleton der «Zeit», man könne zwar manches an dem geballten Medienrummel um den ausgewanderten Prinzen und seine Familie «etwas schrecklich, überdimensioniert und vielleicht auch ein bisschen dumm finden», doch man müsse zugeben: «Das Buch ist all das nicht – oder lange nicht so sehr, wie es in den letzten Tagen behauptet wurde.» Und das liege massgeblich an seinem Ghostwriter, dem Pulitzerpreisträger J. R. Moehringer. Ähnlich differenziert äussert sich auch Maureen Dowd, die promiente Kolumnistin der «New York Times» über den Inhalt des prinzlichen Offenbarungsbuchs über sich und seine Familie.
Harrys Ghostwriter, J. R. Moehringer, ist ein ausgewiesener Meister und Profi im Ghostwriter-Handwerk, bei dem es darum geht, die Erzählungen und Lebensgeschichte eines prominenten Zeitgenossen (oder die Gedanken und Botschaften eines Politikers oder eines vielbeschäftigten Firmenchefs) möglichst eingängig, eindrucksvoll, spannend und süffig zu einer attraktiven Geschichte zu komponieren und zu Papier zu bringen. Dass Moehringer diese Kunst beherrscht, zeigt schon die Tatsache, dass er im Jahr 2000 einen begehrten Pulitzerpreis für eine Reportage gewann, die er in der «Los Angeles Times» publizierte. Als Ghostwriter (für diese Berufsbezeichnung gibt es keine überzeugende deutsche Übersetzung) hat er auch die Autobiografien des amerikanischen Tennisstars André Agassi (Titel: «Open») sowie des Milliardärs und Mitbegründers des Sportartikelkonzerns Nike, Phil Knight (Titel: «Shoe Dog») verfasst.
Dazwischen schrieb Moehringer seine eigene Lebensgeschichte mit dem Titel «The Tender Bar». Sie wurde 2021 verfilmt, produziert von George Clooney, mit Ben Affleck in einer Hauptrolle. Clooney, berichtet der britische «Economist», soll Moehringer in Amerika auch mit dem Prinzen Harry, mit dem er befreundet ist, bekannt gemacht haben. Der Grossverlag Penguin Random House, der Harrys Memoiren mit dem Titel «Spare» (Reserve) herausbringt, hat sich mit dem Engagement dieses erfahrenen und erfolgreichen Ghostwriters für einen sicheren Wert entschieden.
«Einige Erinnerungen mögen variieren»
Und Moehringer weiss natürlich auch, was er für diese Aufgabe selber für einen Marktwert besitzt. Er soll laut BBC für seine Arbeit rund eine Million Dollar kassieren. Es scheint durchaus möglich, dass er als Ghostwriter zusätzlich am Umsatz des Harry-Buches beteiligt wird. Nachdem allein von der englischen Ausgabe am ersten Erscheinungstag in der vergangenen Woche 1,4 Millionen Exemplare verkauft worden sein sollen, könnte da für den Ghostwriter noch eine fette Zusatzeinnahme hinzukommen. Das Buch ist gleichzeitig in 15 Sprachen erschienen.
Was für Prinz Harry selber von diesem Riesengeschäft mit seiner königlichen Herkunft und deren Glanz und Leiden abfallen wird, darüber sind noch keine Auskünfte zu finden. Sie dürften sich auch in höheren Grössenordnungen bewegen. Immerhin soll das Prinzenehepaar für eine Netflix-Unterhaltungsserie mit Geschichten aus ihrem Leben schon mit 100 Millionen Dollar entschädigt worden sein. Damit wird vorläufig für den Lebensunterhalt ihrer Familie gesorgt sein.
Ob alles, was man in Harrys Memoiren-Buch liest, sich genauso abgespielt hat wie es der Prinz seinem Ghostwriter erzählt und wie es dieser marktgerecht für die Leser aufgeschrieben hat, ist eine nicht unberechtigte Frage. Der «Economist» weist darauf hin, dass Harry selber in seinem Buch erklärt, seine eigene Wahrheit sei ebenso gültig wie die «sogenannten objektiven Fakten». Das Blatt fügt dieser Aussage maliziös hinzu: Das klinge wie eine königliche Billigung von «alternativen Fakten».
Das erinnert wiederum an die Erklärung des britischen Hofes, die noch zu Lebzeiten von Königin Elizabeth II. im Zusammenhang mit dem von Harry und Meghan medienwirksam verkündeten Vorwurf, im Königshaus seien «rassistische Äusserungen» gefallen, den ebenso unvergesslichen wie souveränen Satz enthalten hatte: «Some recollections may vary.» (Einige Erinnerungen mögen variieren.)