Mittagszeit an einem Hochsommertag. Mit dem Velo langsam durch Zürich radeln. Die Luft flimmert in der Hitze, die Strassen sind fast menschenleer. Ein paar wenige Autos fahren Zeitlupe. Auf der Scheuchzerstrasse kann man freihändig rollen lassen. Wenn man die Arme ausbreitet, geht der warme Sommerwind durchs offene Hemd. Für eine Zeit lang hört man nur das leise Surren der Veloreifen auf dem heissen Asphalt.
Wenn jetzt eine Melodie aufkommt, dann ist es Gershwins „Summertime and the livin‘ is easy…“ Ein Lied, welches für mein Gefühl das Bild des heissen Mittsommertages malt wie kein anderes. Die Trompete von Louis Armstrong, die die Stille zerschneidet: „Fish is jumping and the cotton ist high…..“.
South Carolina ist weit weg, aber ein klein wenig darf der tiefe Süden jetzt auch hier sein. Im global village geht das easy. Auf der Quai-Brücke am Bürkliplatz fotografieren junge asiatisch aussehende Touristen die Zürisee-Schiffe.
Verschwunden sind Ehekrisen, die Schweizer Banken
Im Seebad Mythenquai stehen Frauen mit Kinderwagen an der Kasse. Das Bad ist mit seinen grossen alten Bäumen ein kleines Paradies. Das grüne Seewasser ist schon lange mehr als zwanzig Grad warm. In der Ferne über dem See sieht man die Schneefelder von Vrenelis Gärtli und anderen Glarner Bergen. .
Um halb drei geht es los. Die Jungs sind schon da. Einer nach dem andern kommt mit seiner Tasche zum Spielplatz. Die Jungs sind im Durchschnitt über sechzig Jahre alt. Faustballspieler. Einige sind dabei, die haben vierzig Jahre lang Faustball gespielt auf dieser Wiese im Strandbad Mythenquai. Ich stelle mit Sepp die Metallpfosten auf und spanne die Schnur. Dann laufen wir mit den Rollen, wickeln die Bänder der Seitenlinien ab und hören dabei auf Marco, den Profi, der sagt wie gross wir das Feld machen. Eher etwas kleiner, denn heute wir sind nicht viele, und bei der Hitze wollen wir nicht so viel rennen müssen.
Dann wird gespielt, und für mich ist es immer wieder ein Wunder, wenn ich sehe, wie das Ballspiel den nicht mehr ganz jungen Männern Freude macht. Die Schlagkraft der Arme ist nicht mehr dieselbe, aber aus langer Erfahrung resultieren ein gutes Stellungsspiel und die Antizipation der Flugbahn des Balles. Das Spiel ist eine Zeitmaschine der besonderen Art. Es nimmt uns raus aus der Zeit und aus jedem Kontext. Es enthebt uns der Welt und all ihrer Sorgen. Verschwunden sind - für die Zeit des Spielens - Ehekrisen, Prostata-Probleme, Syrien und die Schweizer Banken. Und vielleicht auch die Ahnung, dass eine Zeit kommt, in der einige nicht mehr mitspielen können.
Himbeerwähe
Wir lassen uns mitreissen vom Moment, das heisst von der Bewegung. Es geht um nichts, und es geht um alles: gewinnen oder verlieren. Und nachher eine Pause im Schatten der Bäume und das Gelächter, wenn kommentiert wird, wie Giovanni einen Ball in die Büsche verhauen oder Werni einen ungewollten Purzelbaum rückwärts hingelegt hat.
Am Ende sind alle nassgeschwitzt, und es kommt das eigentliche Highlight, der Sprung in den See. Man schwimmt ein Stück und dreht sich dann um: auf dem Rücken im Wasser liegen und den Himmel sehen. Das ist der magische Moment, das Glück der Faulheit. Die Zeitinsel, an der der Film stehen bleiben darf.
Danach gibt es ein Bier oder einen Capuccino und ein Stück Himbeerwähe unter dem gelben Sonnendach direkt am Seeufer. So ist das im Sommer in einem Seebad mit dem vielsagenden Namen Mythenquai.