Nobelpreise für Literatur waren immer umstritten. Literaturkritik ist nun mal keine exakte Wissenschaft und so werden sich die Vertreterinnen und Vertreter dieser Zunft nie einigen können, wenn es darum geht, die Vergabe des Nobelpreises zu kommentieren. Selten aber hat in den vergangenen Jahren eine Nominierung so leidenschaftliche Diskussionen, so viel Ärger und Wut entfacht wie der diesjährige Entscheid vom 10. Oktober, den Preis an Peter Handke zu vergeben.
Das muss auf den ersten Blick erstaunen. Vieles aus dem umfangreichen bisherigen Werk des Österreichers gehört zum Besten, was in den letzten fünfzig Jahren in deutscher Sprache geschrieben wurde. Bücher wie „Wunschloses Unglück“, „Das Gewicht der Welt“, „Die Lehre der Sainte-Victoire“, „Kindergeschichte“, „Mein Jahr in der Niemandsbucht“, um nur ein paar persönliche Lieblingstitel zu nennen, zeigen einen virtuosen Künstler, der unserer Sprache Stimmungen, Bilder, Töne und Gedanken abzugewinnen vermag, wie sie vor ihm noch niemand zu formulieren vermochte. Und das moderne Theater – das nur nebenbei – hat er auf eine paradoxerweise undramatische Art auch gehörig beeinflusst. Dass es sich bei ihm um einen Autor von Weltrang handelt, darüber gibt es auch unter den sich gern über alles streitenden Fachleuten der Literaturkritik wenig Zweifel.
Die Wut, die ihm aus gedruckten und digitalen Medien entgegenschlägt, beruht auf zwei Schriften (zwei Bekenntnissen), die man ihm nicht verzeiht. In „Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“ und „Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise“ (beide 1996 erschienen) wird Serbien romantisiert, poetisiert und Serbiens Rolle im damals gerade beendeten Jugoslawienkrieg kleingeredet. Im Abstand von dreiundzwanzig Jahren wiedergelesen, kann man die aktuelle Aufregung kaum nachvollziehen. Aber gut: damals provozierten die Texte, und Peter Handke, ein mitunter trotziger und sturer Provokateur, tat in Auftritten, Medienschelten, in einer Rede, die er am Grab des serbischen Kriegstreibers Slobodan Milosevic hielt, ein Übriges, um möglichst viele gegen sich aufzubringen. Dass er seine Irrungen und Wirrungen in verschiedenen Texten 2015 und 2016 korrigiert hat, nehmen seine Kritiker nicht zur Kenntnis.
Der Preis, um den es geht, ist, ohne Wenn und Aber, eine literarische Auszeichnung. Literatur, nicht Gesinnung ist gemeint. Die beiden voneinander zu trennen, mag zugegebenermassen nicht immer einfach sein. Und Handke, der sich in vielen seiner Texte einbringt, der unverstellte Ich-Personen reden und erzählen lässt, macht es einem nicht leichter, zwischen Autor und Werk zu trennen.
Den Nobelpreis für Literatur hat der Richtige bekommen. Die Winterreise nach Serbien darf oder muss man deshalb weder verleugnen noch entschuldigen.