In der Türkei werden die Rufe nach einer Schutzzone entlang der syrischen Grenze immer lauter, um der Flüchtlingsströme Herr zu werden und separatistische Gelüste der Kurden einzudämmen. In Jordanien kämpft das Herrscherhaus gegen Forderungen nach einer konstitutionellen Monarchie, und in Ägypten laviert der Präsident zwischen den Moslembrüdern und politisch liberalen Kräften. Entgegen der öffentlichen Meinung können es sich weder Amman oder Kairo leisten, die Friedensverträge mit Israel aufzukündigen, weil sie für den notdürftigen Ausgleich ihrer Haushalte, belastet durch Korruption, Klientelismus und schwarze Kassen, auf westliche Zuweisungen angewiesen sind.
In Israel hingegen verkünden Benjamin Netanjahu und Avigdor Lieberman eine weitere Stufe der Stärke. Kaum war die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton aus Jerusalem abgereist, nahm die Verschmelzung ihrer beiden Parteien mit dem Namen „Likud Beiteinu“ erste Gestalt an. Nicht dass die Neugestaltung der politischen Rechten übermäßige Überraschung auslösen würde, liegen doch ihre Führungsfiguren ideologisch nur in Nuancen auseinander: Für den „Likud“ und „Unser Haus Israel“ ist klar, dass die Gründung eines souveränen Staates Palästina verhindert werden muss.
Worin sie sich voneinander unterscheiden, ist die Offenheit, mit der sie das Ziel kommuniziert haben. Netanjahu wiederholte hin und wieder seine Zustimmung zur Formel „zwei Staaten für zwei Völker“ vom Sommer 2009, während Lieberman eine solche Rücksichtnahme fremd ist. Nach den Wahlen am 22. Januar 2013 wird der jetzige Ministerpräsident sein eigener Nachfolger sein, und auch der gegenwärtige Außenminister wird eine tragende Figur bleiben. Mit Bedacht hat Lieberman, Bewohner der Siedlung Nokdim südlich Jerusalems, Machmud Abbas als „Feigling, Lügner und Schlappschwanz“ beschimpft. Die Auflösung einiger Checkpoints lässt sich auch als Auftakt für eine Alternative zur Besatzung interpretieren, jenseits eines Staates Palästina.
Die Wahl einer weiteren nationalistischen Partei vom Schlage der „Nationalen Union“ erübrigt sich. Die Koalition mit den religiösen Fraktionen, ob die der „Sefardischen Thorawächter“ („Shas“) oder des „United Thora-Judaism“, wird „Likud Beiteinu“ nach außen ein bequemes Polster bieten. Die Opposition (oder was von ihr übrigbleibt) gefällt sich in Profilneurosen ihrer Führungsleute und in programmatischem Streit. Innenpolitische Themen bleiben im Vordergrund, zu denen natürlich die Einheit des Landes Israel gehört.
Internationale Worte statt Taten?
Außer dem Mantra der Zwei-Staaten-Lösung wohnt Europas Nahost-Diplomatie noch eine zweite Fehleinschätzung inne. Einerseits fühlen sich London, Paris und Berlin – wie die frühere israelische Botschafterin bei den Vereinten Nationen Gabriela Shalev jüngst ausgeführt hat – ob der Politik des Gespanns Netanjahu/Lieberman „krank und müde“. Das Verhältnis zwischen Obama und Netanjahu gilt als zerrüttet; letzterem, damals UN-Botschafter seines Landes, verwehrte James Baker in den frühen 1990er Jahren den Zugang zum State Department. Gemeinsame Militärmanöver reichen nicht aus.
Vergebens haben die europäischen Außenämter auf die Führungsrolle Washingtons gesetzt. Sie wird sich nicht einstellen, ob mit Obama oder mit Romney. Das Erbe des Präsidenten von 2009 in Kairo wurde, wenn es denn als ordnungspolitischer Zugriff je eine reelle Chance hatte, gründlich verspielt. Allen Vorzeichen zufolge findet der für Ende November geplante minimalistische Antrag auf eine „non-member state“-Mitgliedschaft Palästinas in New York im politischen Westen wiederum keine Zustimmung. In Europa hat die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ein weiteres Mal versagt.
Da die unmissverständliche Erklärung im UN-Sicherheitsrat über den völkerrechtlichen Status der Westbank, Ost-Jerusalems und des Gazastreifens als integrale Bestandteile eines künftigen Staates Palästina ausgeblieben ist, wird der Konflikt im Kontext der arabischen Umbrüche weitere dramatische Zuspitzungen erleben. Mit dem Weg in die Annexion wird aber auch das Ende des Staates Israel vorgezeichnet sein. Denn auf Dauer lässt sich der Ruf der Palästinenser nach politischer Partizipation unter egalitären demokratischen Bedingungen nicht unterbinden – welch bittere Ironie in der Geschichte des Zionismus.