Als Dvořák 63-jährig Anfang Mai 1904 in Prag starb, war er hochverehrt im In- und Ausland. Es gab Tausende, die sich aus Liebe zu diesem Komponisten bei seinem Begräbnis im Vyšehrad-Friedhof einfanden. Dvořák schrieb im Verlauf seines Lebens 11 reichhaltige und interessante Werke für das Musiktheater. International durchgesetzt hat sich aber nur seine Rusalka. Komponiert hat Dvořák diese Oper zwischen April und November des Jahres 1900. Die Uraufführung fand Ende März 1901 im Nationaltheater in Prag statt. Die Oper wurde zum triumphalen Erfolg. Rusalka ist – nach der Verkauften Braut seines Landsmannes Smetana – zur zweitbekanntesten Oper des tschechischen Romantik-Repertoires avanciert. Dass es sich um eine „Märchenoper“ handelt, wenn auch eher eine für Erwachsene als für Kinder, hat ihrer Beliebtheit auch keinen Abbruch getan.
Ein romantisches Motiv
Der Text der Oper stammt vom begabten Theaterdramaturgen Jaroslav Kvapil, der sich eine ganze Reihe von dichterischen Quellen zunutze machte, um die Geschichte einer Wassernixe neu zu erzählen. Andersens Märchen „Die kleine Seejungfrau“ steht hier im Hintergrund, aber auch Friedrich de La Motte-Fouqués Undine und Gerhard Hauptmanns Drama „Die versunkene Glocke“. Elemente aus den Märchen-, Sagen- und Erzählsammlungen von Jaromír Erben und der Schriftstellerin Božena Němcová spielen ebenfalls ins Libretto hinein. Die Geschichte ist der in vielen Traditionen verbreitete Erzählstoff, wonach ein göttliches Wesen, hier die Nixe Rusalka, das Reich des Wassers und der Natur verlassen will, um wärmende Liebe in den Armen eines Menschen zu erfahren. Der Wassermann, eine Art Vaterfigur der Nixen, warnt Rusalka vor menschlicher Unzuverlässigkeit: „Dir ist nicht zu helfen, sobald ein Mensch dich in seinen Bann zieht.“ Doch Rusalka hat nur einen Wunsch: ihren Prinzen, den sie im See badend erblickte, mit ihrer Liebe zu beschenken.
Der Wassermann rät ihr, zur Hexe Ježibaba zu gehen, damit diese sie in einen Menschen verwandle. Die Hexe tut dies zwar, aber unter einer Bedingung: Bei den Menschen wird Rusalka stumm sein. Und eine weitere Hürde kommt hinzu: Sofern sie die Liebe eines Menschen nicht gewinnen kann, wird sie nicht ins Nixenreich zurückkehren können und verflucht sein. Ihr Geliebter wird, sofern er die Liebe der Nixe verweigert, sterben müssen. Rusalka aber ist voller Zuversicht, dass ihre unendlich grosse Liebe alle Flüche und Verwünschungen besiegen wird, und sie lässt sich als Frau und Braut von ihrem Prinzen entdecken.
Ein tödlicher Kuss
Es geht schief und endet tragisch! Der Prinz kommt mit der scheuen Stummheit der schönen Rusalka nicht zurecht, tändelt mit einer fremden Fürstin herum und verstösst brutal die stumm leidende Rusalka. Der Wassermann erscheint, verflucht den ungetreuen Prinzen und zieht mit Rusalka davon. Jetzt ist sie vom Menschenreich und vom Nixenreich getrennt. Noch einmal geht sie zur Hexe. Diese gibt ihr ein Messer und teilt ihr mit, sie könne erst wieder zur Nixe werden, wenn sie das Blut des Geliebten vergiesse. Lieber will Rusalka aber leiden und allein bleiben, als ihren Geliebten zu töten. Auch ihre Schwestern, die Nixen, schliessen Rusalka aus ihrer Gemeinschaft aus.
Am Ende der Oper erleben wir einen vom Wahnsinn heimgesuchten Prinzen, der seine Rusalka sucht. Diese erscheint, er will ihre Vergebung und wünscht sich einen Kuss von ihr. Sie teilt ihm mit, dass ihr Kuss tödlich sei: „Verstehst du, Liebster, dass du aus meinen Armen nicht mehr zurückkehrst? Meine Liebe friert jedes Gefühl ein, ich muss dich vernichten, meine eisige Umarmung bringt dir den Tod!“ Der Prinz will aber nur noch geküsst werden und dann sterben: „Küss mich, küss mich, gönne mir Ruh!“ Er bekommt, was er will, und Rusalka und ihr Prinz versinken beide in den Fluten. Die Oper endet mit der Klage des Wassermanns aus der Tiefe des Sees: „Sinnlos stirbt er in deinen Armen, vergeblich sind alle Opfer, arme bleiche Rusalka! Wehe! Wehe! Wehe!“ – Es geht auch in den Märchen nicht gut aus, wenn Götter wie Menschen und Menschen wie Götter sein möchten!
Bezaubernde Musik
Die späte Musik Dvořáks in dieser Oper ist fabelhaft schön. Wir erleben das Lockende in ihr wie das Bedrohliche, es glitzert und schillert in allen Orchesterfarben, Naturszenen nehmen uns gefangen, aber auch die tückische Welt des Prinzenhofes, die Wut des Wassermanns, die Hilflosigkeit und der selige Glaube an Glück und Liebe, die uns in der Gestalt Rusalkas entgegen kommen. Der Komponist hat auch für lockere Unterhaltung gesorgt: ein Heger – ein Tier- und Waldpfleger – sowie ein Küchenjunge, die sich zur Hexe wagen, um ein Heilmittel gegen den Trübsinn des Fürsten zu suchen, unterhalten uns bestens. Sanft daherkommende Melodien mit melancholischen Eintrübungen sorgen für Entzücken und Nachdenklichkeit. Ein grosser Erfinder und Gestalter ist hier als Tonmaler am Werk.
Das weitaus berühmteste Stück des Werkes ist das Lied an den Mond, das Rusalka bereits im 1. Akt singt. Nur diesem wollen wir uns hier noch etwas genauer zuwenden. Jede grosse Sopranistin wird es irgendwann einmal singen wollen. So schön – in der Mischung von naivem Zutrauen und inniger Sehnsucht – wie die grosse Lucia Popp es getan hat, wird man es schwerlich wieder hören. Der Wassermann, der einer heillos verliebten Rusalka den Rat gab, sich an die Hexe zu wenden, um Menschengestalt zu gewinnen, taucht ab in die Tiefe des Wassers. Wir hören zum ersten Mal sein „Wehe! Wehe!“ über den festen Willen seiner Nixe, zu den Menschen zu wollen.
Bitte an den Mond
Es ist eine warme Sommernacht, Rusalka sitzt am Seeufer, der Mond erscheint am Himmel, das Wasser schimmert und glitzert im Licht. Harfen rauschen zuerst leise, dann stärker im Orchester auf, die Streicher spielen mit Sordino, eine samtene Weichheit breitet sich aus. Rusalka schaut auf zum Mond und singt: „Kleiner Mond am hohen Himmel, du leuchtest weit in die Ferne, schweifst durch die Welt und schaust in die Häuser der Menschen!“ Einen innigen Wunsch hat Rusalka an den Mond: Er möge ein bisschen anhalten und ihr sagen, wo ihr Liebster weilt. Diesem solle er sagen, wenigstens im Traum, dass ihr Arm ihn fest umfasse. Er möge sich an sie erinnern, denn sie warte auf ihn. Die Seele des Geliebten soll von ihr träumen und durch die Erinnerung an sie wach werden. „Leuchte ihm, fern oder nah, sage ihm, wer auf ihn wartet!“
Die Melodie ist ganz schlicht, geht gleichsam innehaltend voran, Klarinetten, dann Flöten spielen in Terzen ein Echo, ein zartes Nachklingen der Empfindung im Ritardando. Gegen Ende rauschen noch einmal Wellenklänge auf, als würde der Mond antworten und das Wasser im See in Bewegung bringen. Ein Englischhorn beruhigt das kurze Aufwallen. Das Zweistrophenlied im weichsten Ges-Dur der Welt endet mit einem heftig leidenschaftlichen Ausbruch Rusalkas am Schluss: „Bitte, bitte, kleiner Mond, erlisch noch nicht!“ Hier spätestens haben wir nicht nur eine ihre Liebe zu ihrem Prinzen glaubhaft bekundende Rusalka vor uns, wir selbst sind schon ganz in diese berauschend singende Nixe verliebt. Im Übrigen darf gelten: Wenn es darum ging, Naturmagie aus einem Orchester zu holen, gab es vor Debussy niemand, der dies so vollkommen zu realisieren verstand wie Dvořák.
https://www.youtube.com/watch?v=4qxi-sYUT9s