Ein älterer Mensch wird niemals einwilligen, dass Liebe im Alter eine Torheit und eine reine Illusion sei. Dennoch ist der «senex amans» - der verliebte Greis – eine literarische Lachfigur seit der Antike. Die herrschende Meinung lautet: Verliebte Alte, ob Männer oder Frauen, müssen bestraft werden. Und wer den Schaden hat, soll dazu auch noch den Spott bekommen!
Ein Spätwerk mit Verve
Die komische Oper «Don Pasquale» ist unter den über 70 Opern von Gaetano Donizetti (1797–1848) die drittletzte. Die allermeisten davon sind heute aus dem Repertoire der Opernhäuser vollkommen verschwunden. Einige wenige aber erfreuen sich grösster Beliebtheit im sogenannten «Belcanto-Repertoire». Zu diesen gehört glücklicherweise auch «Don Pasquale». Das Werk erlebte im Januar 1843 im «Théâtre-Italien» in Paris seine Uraufführung.
Kurz danach begannen bei Donizetti Anzeichen einer schweren Erkrankung, die man als Typus einer «Neurosyphilis» diagnostizierte. Der europaweit beliebte und bekannte Komponist und Kapellmeister musste in einer Nervenklinik in Ivry-sur-Seine in der Nähe der Hauptstadt interniert werden. Der in Bergamo geborene Donizetti wurde im Herbst 1847 in seine Heimatstadt gebracht, wo er am 8. April 1848 dann auch starb und begraben wurde.
Heute ist die Stadt stolz auf ihren grossen Meister des Belcanto. Ihm zu Ehren errichtete man sogar ein «Museo donizettiano», in welchem man sich über sein Leben und sein Werk, seine glänzenden Erfolge, seine Enttäuschungen und Misserfolge, aber auch über sein bedauernswertes, ja mitleiderregendes Ende kundig machen kann.
Das ungleiche Paar
Das Motiv des ungleichen Paares spielt sowohl in der Kunst- wie in der Literatur- und Theatergeschichte eine geradezu unvermeidbar wiederkehrende Rolle, weil das Leben es uns zuverlässig reproduziert. Wir kennen es – um nur die vertrautesten Varianten zu nennen – aus der «Commedia dell’arte», aus Stücken von Molière und Goldoni, sogar aus eigenen Erfahrungen in der bis heute existierenden Lebenswelt: verliebte Greise unter der Herrschaft ihrer nach Noten sie drangsalierenden Partnerinnen.
Wo Donizetti in der Glanzzeit seiner Karriere sich das Libretto dieser unterhaltsamen Opera buffa besorgte, ist nicht ganz geklärt. Dieses wurde unter dem Zeichen «M. A.» publiziert – das könnte heissen: »Maestro Anonimo», aber ebenso gut könnte damit ein von der Geschichte verschluckter und bescheidener Sprachhelfer in Donizettis Lebensumfeld gemeint sein. Das Thema der liebessüchtigen Altersprofiteure schwebte damals in der Luft. Und sind wir sicher, dass es heute nicht mehr aktuell ist?
Die Geschichte dieses Don Pasquale, eines so wohlhabenden wie geizigen Junggesellen, der es sich im zunehmenden Alter an der Seite einer ebenfalls begüterten jungen Frau gut einrichten will, ist bald erzählt. Ein Freund und Arzt Don Pasquales, ein gewisser Doktor Malatesta, denkt sich eine Intrige aus, um Don Pasquales Neffen Ernesto und dessen Geliebte Norina – eine quirlige junge, gerade verwitwete Schönheit – zusammenzubringen. Sie ist zwar mittellos, aber dadurch sind die beiden einander nicht weniger zugetan.
Malatesta bietet dem eher habsüchtigen als verliebten Don Pasquale in einer Scheinhochzeit die eigene Schwester als Braut an, die in einem Kloster erzogen werde und eine so scheue wie unterwürfige Braut zu werden verspreche. Die angebliche Schwester ist aber niemand anders als Norina, die sich von der betfromm unterwürfigen Klosterschülerin nach der vereinbarten Scheinehe zum zänkisch betrügerischen und tyrannischen Hausdrachen entwickelt. Sie nimmt sich alle Freiheiten heraus, die einem Mann wie Don Pasquale den Verstand zu rauben vermögen.
Das Ende der Geschichte ist abzusehen: Don Pasquale kann sich von seinem weiblichen Plag- und Foltergeist nur befreien, indem er diese schöne Norina, eine ihm gegenüber wahre Xantippe, seinem Neffen Ernesto überlässt, nicht ohne diesem und seiner Geliebten zuvor einen beachtlichen Teil seines Vermögens vermacht zu haben.
Die Moral von der Geschichte? Norina darf diese im letzten Akt der Oper verkünden: «Ben è scemo di cervello chi s’ammoglia in vecchia età!» Nur ein krankes Gehirn kann im Alter noch heiraten wollen. Ein solcher Mann suche gleichsam mit einer Glocke danach, was ihm nichts als eine Überfülle von Ärgernissen und Leidenserfahrungen einbringen könne.
Norinas Cavatina
Diese Oper Donizettis bringt vieles für alle darin Beteiligten: Herrliche Arien, unvergessliche Duette und Ensembles, sogar erfreulich klangschöne Szenen für den Chor. Zu den gelungensten muss sicher die Auftrittsarie der Norina in der 2. Szene des 1. Aktes zählen.
Eine «Cavatina» ist eine Arie, durch die man meistens tief in die liebesorientierte Gefühlswelt der singenden Figur zu blicken vermag. Das ist auch hier der Fall. Norina liest ein Buch über einen verliebten Ritter, der vor seiner Angebeteten in die Knie sinkt und schwört, niemals könnte er eine andere als sie lieben. Norina lacht darüber und folgert: Auch ich habe doch die magische Kraft, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, jedes Herz zum Schmelzen zu bringen.
Denn sie verfügt ihrer eigenen Einschätzung gemäss über alle Verführungsmittel: das kurze Lächeln, die trügerische Träne, die zeitgerechten Seufzer. Alles, was eine Frau braucht, um Männer anzulocken und Herzen zu erobern. Sie hat Fantasie, Witz, kann scherzen, kann sich in Szene setzen und glänzen, kann launisch sein und gleich wieder alle zum Lachen bringen. «Ho testa bizzarra, ma core eccellente!», behauptet sie von sich: Sie habe einen eigenwilligen Kopf, aber ebenso ein wunderbar einfühlsames Herz. Wer möchte einer solchen Frau nicht begegnen und sie beglücken?
Klar, dass Norina am Ende des Stücks die Gewinnerin sein wird! Wenn man aber selbst in vorgerücktem Alter ist, kommen einem seltsame Nachgedanken. Wird dieser junge Schnösel Ernesto, dieser ahnungsarme Jüngling, über den man bisher doch nichts anderes sagen kann, als dass er schwärmerisch, naiv und bis zur Bewusstlosigkeit verliebt ist, den Qualitäten und Erwartungen seiner Norina je gerecht werden können? Saust die schlau-sympathische Norina nicht sehenden Auges und blinden Gefühls hinein in eine Beziehung, die sie morgen bereits langweilen und enttäuschen wird?
Donizettis Don Pasquale will am Schluss zwar die ihm von der Jugend erteilte Lektion zur Kenntnis nehmen. Vielleicht wird er – noch älter werdend – einmal dem Himmel dafür dankbar sein, dass ein weibliches Hausregiment in allmählich sich etablierender und kaum zu verhindernder Art ihm erspart geblieben ist. Der nicht erhörte «senex amans» könnte am Ende doch noch der «senex ridens» sein!
Doch sind dies Rettungsgedanken alt werdender Männer, welche die Liebe verpassten, weil sie sich zu sehr als die Herren der Schöpfung gebärdeten. Noch und immerdar wird zur Erfahrung der Lebensfreude frauenliebender Männer gehören, einer Donizettischen Norina zu begegnen, wie sie uns in dieser Cavatina begegnet, und baldmöglichst in deren Dienste zu treten!
Wir hören hier als Norina Lucia Popp, eine der besten Sängerinnen dieser Rolle bis auf den heutigen Tag, in einer Konzertaufnahme aus dem Jahr 1981.