Khalifa Haftar hat seine Truppen aus den vier Erdölladehäfen zurückgezogen, die sie am vergangenen Wochenende besetzt hatten. Die Libysche Nationale Erdölgeselschaft hat erklärt, die Erdölexporte aus den Häfen von Ras Lanouf, Brega und Zueitiny seien bereits wieder in Gang gekommen, jene aus Sidra würden folgen, sobald der Hafen wieder instand gesetzt sei. Die "Petrol Facilities Guards", die bisher die Häfen geschützt hatten, hätten erneut diese Aufgabe übernommen.
Die Gelder, die für die Erdölexporte bezahlt werden, gehen in die Kasse der Libyschen Nationalbank und werden von dieser den libyschen Ministerien zugeführt, entsprechend den budgetierten Beträgen, die für sie gelten. Solange es mehrere Regierungen gibt, wie noch zurzeit, werden diese Gelder unter die Rivalenregierungen aufgeteilt.
Die Bedeutung der Tanker-Transporte
General Haftar, der sich inzwischen selbst zum Feldmarschall befördert hat, verzichtete darauf, seine Beherrschung der Ladehäfen dazu auszunützen, um so zu versuchen, die Exportgelder ausschliesslich für seine Truppen und seine Regierung (jene von Tobruk) zu beanspruchen. Dies war ein realistischer Schritt, weil die Aussenmächte über den Sicherheitsrat in der Lage sind, Erdölverkäufe, die nicht auf legalem Wege geschehen, zu vereiteln.
Die Tanker verkehren auf offener See und können dort, wenn sie "illegale" Ladungen transportieren, beschlagnahmt oder zur Rückkehr in ihre Ladehäfen gezwungen werden.
Exporte zu Gunsten von ganz Libyen
Die Beobachter weisen darauf hin, dass der nahe bei Tobruk
gelegene Ladehafen von Hariga, für dessen Sicherheit die "Libysche Nationale Armee" Haftars zuständig ist, seit zwei Jahren ohne Unterbruch funktioniert und dass die Tobruk-Regierung nicht verhindert hat, dass die Gelder, die für die dortigen Exporte bezahlt werden, in die Kasse der Libyschen Nationalbank fliessen, obwohl diese ihren Hauptsitz in Tripolis, dem bisherigen Herrschaftsbereich der Rivalenregierung, aufweist.
Hariga ist allerdings nur ein kleiner Exporthafen. 80 Prozent der libyschen Exporte gehen über die vier oben aufgezählten Ladehäfen in der Syrte, die Haftar besetzt, aber nun wieder freigegeben hat.
Stammespolitik im Hintergrund
Die Besetzung der vier Häfen durch Haftars Truppen war leicht vonstatten gegangen. Nur in Zueitiny, dem östlichsten dieser Häfen, wurde gekämpft. Die anderen überliessen die Erdölwächter kampflos den Soldaten Haftars. Dies erklärt sich durch die Stammespolitik.
Der lokale Stamm, zu dem die meisten der Erdölwächter gehören, die Maraghba, missbilligte die Haltung des Anführers der Petroleumwächter, Ibrahim Jodrans, als dieser sich entschloss, die Einheitsregierung zu unterstützen. Er soll auch schon früher auf Widerspruch der Stammesführer der Maraghba gestossen sein. Die Stammesführer ermunterten daher die Bewaffneten Jodrans, keinen Widerstand gegen die Soldaten Haftars zu leisten.
Haftar zeigt sein Gewicht
Haftar kann aus seiner Aktion bedeutende politische Vorteile ziehen. Er hat gezeigt, dass er in der Lage ist, die für das Wohlergehen des Landes ausschlaggebenden Häfen zu besetzen. Er hat auch gezeigt, dass er bereit ist, dafür zu sorgen, dass die Erdölexporte zum Wohl der Gesamtheit fortdauern und womöglich gesteigert werden. Da das Geld in Libyen knapp zu werden beginnt, ist dies eine Wohltat, für die viele Libyer dem General dankbar sein werden.
Die Mitglieder der Einheitsregierung waren geteilter Ansicht darüber, wie sie auf die Aktion Haftars regieren wollten. Einge sprachen sich für Krieg aus. Doch andere gaben zu bedenken, dass die Einheitsregierung mit Hilfe der ihr zuneigenden Milizen aus Misrata bereits Krieg führt gegen den IS in Sirte, nicht weit von den Erdölhäfen entfernt. Sie befürchteten, wohl zu Recht, dass ein neuer Krieg zwischen den Soldaten Haftars und den Misrata-Milizen dem IS neue Überlebenschancen bescheren würde.
Bedenken in der Tripolis-Regierung
Es gab dem Vernehmen nach auch Bedenken über die Lage in Tripolis. Dort gibt es noch immer Milizen und Restbestände von solchen, die es ablehnen, der Einheitsregierung Folge zu leisten. Sie sollen sich zurzeit in den Vorstädten von Tripolis aufhalten. Nur das Zentrum und der Hafen befinden sich fest in Händen der Einheitsregierung und ihrer Parteigänger.
Die Befürchtung war, wenn allzu viele Feunde der Einheitsregierung in den Krieg um die Ladehäfen in der entfernten Syrte zögen, könnte Tripolis von der Minderheit der oppositionellen Milizen übernommen werden und die Einheitsregierung würde obdachlos. Fayez as-Sarraj, der Päsident der Einheitsregierung, erliess – gewiss aus derartigen Gründen – einen Aufruf für dringende Verhandlungen mit Haftar über die Häfen. Er wurde darin von den internationalen Behörden und den Vertretern der europäischen Staaten und der Amerikaner unterstützt.
Haftars Ambitionen
Mit dem Rückzug der Soldaten Haftars ist ein Krieg nun endgültig vermieden. Doch Haftar hat seine Verhandlungsposition gestärkt. Seine Machtdemonstration lässt ihn nun als unumgänglichen Verhandlungspartner erscheinen. Man weiss, was er will. Er strebt danach, Oberkommandant der offiziellen libyschen Streitkräfte zu werden und seine gegenwärtige "Libysche Nationale Armee" als Kern der künftigen staatlichen Armee zu verwenden.
Viele der Kollegen von Fayez al-Sarraj in der Einheitsregierung sehen in Haftar einen künftigen Diktatoren und Nachfolger Ghadhafis, falls er nur die Gelegenheit dazu erhalte. Sie vermuten nicht ohne Grund, dass er eine Laufbahn anstrebe, wie sie sein Freund und angebliches Vorbild, Präsident und Ex-General al-Sissi, in Ägypten durchlaufen hat. Aus diesen Gründen drohen die Verhandlungen zwischen Haftar und der von ihm gestüzten Regierung von Tobruk mit der Einheitsregierung von Tripolis sehr schwierig zu werden.
Ohne den General kaum eine Lösung
Der langwieirige Aufbauprozess von monatelangen Verhandlungen unter dem Uno Abgesandten Martin Kerber und schon seinem Vorgänger, Bernardino Leon, in Libyen und auch in Marokko und in Tunesien, aus dem schliesslich die Einheitsregierung hervorging, war ganz auf der stillschweigenden Voraussetzung aufgebaut, dass Haftar nicht Chef der Streitkräfte der Einheitsregierung und nicht ihr Verteidigungsminister werde.
Es sieht jedoch danach aus, dass dieser Ausschluss nun in Frage gestellt werden muss, wenn Libyen einen zerstörerischen Bruderkrieg um die Herrschaft über das Erdölwesen endgültig vermeiden soll.