Die bekanntesten Fotografien Amerikas sind nicht einladend. Es ist ganz merkwürdig: Seit Jahrzehnten findet man in den Ausstellungen amerikanischer oder ursprünglich europäischer Fotografen kaum Bilder, die den «American Dream» im Sinne des Reichtums oder wenigstens einer glücklichen Mittelschicht glaubhaft in Bilder fassen würden. Es liegt ein Schleier der Vergeblichkeit über der amerikanischen Gesellschaft. Besonders krass bringen die Bilder von Lisette Model das Scheitern von Menschen inmitten ihres Luxus und ihren gesellschaftlichen Ereignissen zum Ausdruck.
Eine andere Sicht auf das Scheitern, aber auch auf die trotzige Selbstbehauptung in der Subkultur bieten die Bilder von Nan Goldin und Cindy Sherman. Schrill geht es dort zu, bizarr und immer kompromisslos. Amerika ist ja so verschwenderisch. Dann wieder sehen wir Fotos von der Weite der Landschaften und Strassen, Blicke auf geradezu traumhafte Formationen im Yosemite National Park, wie sie Ansel Adams stilbildend fotografierte, und ein Volk, das mit Motorrädern und Autos rastlos die «unbegrenzten Möglichkeiten» erkundet, dabei aber oft auf schäbigen Picknick- oder Zeltplätzen landet oder mit erbärmlichen «Motels» vorlieb nimmt.
Kulturkritik
Immer wieder wird festgestellt, dass die grosse amerikanische Fotografie wie eine Kritik an diesem Land wirkt. Stilbildend dafür wurden Walker Evans und Robert Frank, die in diesem Band ebenso vertreten sind wie andere Fotografen, die in Europa nicht ganz so bekannt sind wie diese beiden. Selbst da, wo die Bilder wie Hymnen an den «American Way of Life» gesehen werden könnten, zumal sie von dem Mittel der Farbe Gebrauch machen, enthüllt sich auf den zweiten Blick eine Kritik an einer Kultur, die etwas Dekadentes oder gar Morbides hat.
Aber das ist eben Amerika, das trotz aller seiner Brüche fasziniert und durch nichts ersetzt werden kann. Jede Kritik ist auch eine Liebeserklärung. So unterschiedlich die einzelnen Fotografen und ihre Werke auch sind, so haben ihre Bilder eine Art gemeinsame Atmosphäre, wie sie wohl nur Bilder aus Amerika haben können.
Neue Akzente
Seit 1999 sammelt die Albertina amerikanische Fotografien. Dabei ist es ihr gelungen, Bilder zu erwerben, die zum Grundbestand gehören und die entsprechend bekannt sind. Man findet sie auch in dieser Ausstellung, was bereits zu der Kritik geführt hat, die Albertina wolle zu sehr auf der sicheren Seite sein. Diese Kritik aber führt in die Irre. Denn aufbauend auf den «Standards» werden zahlreiche Fotografien gezeigt, die ganz gewiss auch für Kenner neue Akzente setzen.
Dazu kommen die einführenden Texte im Katalog. Sie sind von besonderer Qualität. Die Kuratorin Anna Hanreich konzentriert sich auf die zum Teil sehr bekannten, aber auch weniger bekannten Bildbände, die Fotografen über Jahrzehnte im vergangenen Jahrhundert von Amerika vorgelegt haben, von Walker Evans über Robert Frank bis Alec Soth. In ihrem Beitrag finden sich zahlreiche Abbildungen, die gute Einblicke in die Eigenheiten dieser Fotobücher geben.
Auch der Kurator Walter Moser steuert instruktive Einführungen bei. Er beschreibt, wie wichtig Porträts als Spiegel der amerikanischen Gesellschaft sind. Und er beleuchtet den Einfluss Lisette Models auf Fotografen wie ihren «Konkurrenten» Weegee. Diane Arbus und Richard Alvedon lassen sich sogar als ihre Schüler bezeichnen. Besonders erhellend ist, dass Moser eine Gruppe von Fotografen beziehungsweise ihre Fotografien unter «Soziale Landschaften» rubriziert. Dazu zählt er neben William Klein und Robert Frank Joel Meyerowitz, Lee Friedlander und Garry Winogrand.
Leidenschaftlicher Sammler
Die Ausstellung in der Albertina wird durch die Leihgaben des Sammlers Trevor D. Traina bereichert. Traina ist Botschafter der Vereinigten Staaten in Österreich. Für den Katalog hat er einen längeren Text verfasst, aus dem die Leidenschaft des kenntnisreichen Sammlers spricht. Zusammen mit den beiden anderen Einführungen bietet er Einblicke in die amerikanische Fotografie, wie man sie in dieser umfassenden und zugleich konzisen Art selten einmal findet.
Die Ausstellung geht noch bis zum 28. November. Der Katalog wird diese Ausstellung als eine Art Standardwerk weit überdauern.
American Photography, Albertina, Wien, bis 28. November
Katalog: Nicht mehr lieferbar