Ein stilles Bergtal an einem strahlenden Wintertag. Die Schneewanderer suchen Erholung und haben nicht mit ein paar wenigen gerechnet, die dem Skivergnügen im Helikopter frönen.
Bewilligter Lärm?
Wer am vergangenen Samstagmorgen von der Fafleralp im hinteren Lötschental zum Weiler Guggisstafel aufstieg, tat einen Sprung aus der Realität in ein Wintermärchen. Die Morgensonne brachte die alten Arvenstämme zum Leuchten. Es herrschte schneidender Frost. Im hohen Schnee war nur das Knirschen der Schneeschuhe und das Gleiten der Ski-Felle zu hören.
Kurz nach neun Uhr ist es schlagartig vorbei mit der Illusion und der Ruhe. Die ersten Helikopter fliegen Richtung Petersgrat. Das Dröhnen der Helis über unseren Köpfen wird uns von da ab den Tag über begleiten. Sie landen nicht nur auf den autorisierten Plätzen am Petersgrat und auf dem Langgletscher, sondern auch unten im Tal. Bei Gletscherstafel in der Lonza-Ebene setzen um die Mittagszeit mehrmals Helikopter der Air Glaciers auf, um gelandete Gleitschirmflieger aufzunehmen. Sie fliegen knapp über den Baumwipfeln an der Grenze eines Jagdbanngebietes. Diese Landungen liegen weit ausserhalb der Landeplätze, die vom Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) für den Heli-Tourismus im Lötschental erlaubt sind. Bei der Air Glaciers heisst es später auf Anfrage, es habe sich um „kommerzielle Flüge“ mit Spezialbewilligung gehandelt.
Heli-Skiing und der Kampf um Marktanteile
Die Tourismus-Branche fürchtet die Folgen des eingebrochenen Eurokurses. Orte wie Leukerbad rufen nach Geld der öffentlichen Hand, weil die Skilifte vor dem Konkurs stehen. Unter den Betreibern von Bergbahnen und Liften tobt seit langem ein Verdrängungskampf. Jeder versucht, mit noch mehr Skiliften, noch mehr Schneekanonen und noch mehr Pistenkilometern aufzutrumphen, um seinen Anteil an einem schrumpfenden Markt zu verteidigen. Heli-Skiing ist ein Faktor in diesem Hauen und Stechen.
Ich weiss nicht, wie viele Winterwanderer es in der Schweiz gibt. Es dürften mehrere Hunderttausend Leute sein, die zu Fuss, mit Schneeschuhen oder mit Skiern und Fellen in ihrer Freizeit in die Natur gehen. Diese Menschen, die in stillen Winterlandschaften Erholung von der Lärmüberflutung des Alltags suchen, empfinden das Heli-Ski-Gedröhne als grosses Ärgernis. Da oben lärmen ein paar wenige Heli-Skifahrer, die sich auf Kosten vieler anderer den flotten Tiefschnee-Spass leisten.
Tiefschneefahren als Fast-Food-Paket.
Es geht nicht darum, Helikopter-Skifahrer zu dämonisieren. Nicht alle sind reiche Leute, die die dreihundert bis vierhundert Franken fürs Heliskiing problemlos auf den Tisch legen. Manche bekamen vielleicht einen Geschenkgutschein, andere haben lange gespart, um sich einen Heliflug leisten zu können. Ein Unrechtsbewusstsein haben die meisten wohl nicht. Desungeachtet sind sie – bewusst oder unbewusst - die Repräsentanten eines fatalen Trends. Sie stehen für eine Fast-Fun-Gesellschaft, die an schnellen Erlebniskonsum gewöhnt ist. Konsumbedürfnisse werden augenblicklich und rasch per Kreditkarte und Mausklick befriedigt. Alles muss schnell gehen, die „User“ haben keine Zeit für langsame Erlebnisse.
Das Skibergsteigen hat eine hundertjährige Tradition. Es ist ein Schneesport, der wohl wie kein anderer zum kulturellen Erbe der Alpenländer gehört. Wer den Aufstieg mit Fellen „motorisiert“ beschleunigt, der verstösst gegen das Prinzip jeder bergsteigerischen Ethik. Das Skibergsteigen an sich wird unter den Rotorblättern der Helikopter gleichsam zerstückelt für die Abfallhalde der Geschichte. Heliskiing ist eine Respektlosigkeit, denn Naturlandschaft kann man sich nur erschliessen durch langsame Annäherung. Die Natur ist kein Fast-food-Restaurant, Schneelandschaften sind kein Take away. Und was in den endlosen Weiten der Rocky Mountains akzeptable Praxis sein mag, das gilt mit Sicherheit nicht für die extrem dichtbesiedelte Schweiz.
Heli-Skiing stösst auf zunehmende Ablehnung
Viele Tourismus-Manager ignorieren noch immer die Zeichen der Zeit, die auf einen nachhaltigen Tourismus hindeuten. Orte wie St. Antönien im Prättigau oder Juf im Avers haben vorgemacht, dass die Aufrüstung mit neuen Bergbahnen, Schneekanonen und Heliskiing keine Lösung sein kann. Der neue Schneeschuh-Boom und der rasch wachsende Markt der Skitourenausrüster müsste der Tourismus-Branche zeigen, dass sich eine Kehrtwende zur sanften Begegnung mit der Natur andeutet. Es gibt eine Massenbewegung, die den Pistenautobahnen den Rücken kehrt und einen nachhaltigen Wintersport vorzieht. All diese Leute wollen mit Sicherheit keine Helikopter über ihren Köpfen haben, wenn sie im Schnee wandern. Das rücksichtslose Heliskiing einiger weniger ist unvereinbar mit den Bedürfnissen einer grossen Mehrheit.
Viele Skidestinationen setzen dagegen auf die Flucht nach vorn, also technische Aufrüstung. Tourismus Zermatt zum Beispiel erhofft sich vom Heliski-Angebot einen Standortvorteil. „Wir sind Könige im Schnee“, heisst es in einem „Erlebnisbericht“, der auf der Homepage aufgeschaltet ist: „Entzückt vom Heliflug zum Tiefschneetraum. Entrückt von Zeit und Ort, ganz in uns ruhend. Wir bilden eine Einheit mit dem Berg, mit dem Schnee, mit dem Himmel.“
"Zuhälter des ewigen Schnees"
Es gehört schon ein gerütteltes Mass an Nonchalance dazu, wenn jemand behauptet, ein dröhnender Helikopter in der stillen Gletscherlandschaft des Monte Rosa bilde eine „Einheit mit Berg, Schnee und Himmel“. Man fühlt sich erinnert an „Les maqueraux des cimes blanches“, die Streitschrift, die der Walliser Dichter Maurice Chappaz Mitte der siebziger Jahre verfasste. Er warnte vor Umweltzerstörung und Vermarktung der Alpen durch die Zuhälter des ewigen Schnees.
Das touristische Helikopter-Fliegen ufert immer mehr aus. Es erfasst nicht nur den Alpinismus und das Skibergsteigen, sondern ersetzt oft ganz einfach die öffentlichen Transportmittel. Mit dem „schnellsten Lift der Welt“ gelangt man vom Rhonetal in 20 Minuten per Heli mitten ins Skigebiet von Zermatt, preist die Air Zermatt im Internet an. Für 333 Franken pro Person. Und wer den „Gourmet-Rundflug“ ums Matterhorn bucht, der kann für einen Apéro auf dem Unterrothorn aussteigen und noch „ein urchiges Wallisermenü“ geniessen, alles inklusive zwischen 260 und 460 Franken je nach Dauer des Fluges.
Die Flucht nach vorn
Die Wintersportzentren, die glauben, sie müssten das Heliskiing als Teil ihrer Produktepalette anbieten, haben vielleicht noch nicht begriffen, dass sie an dem Ast sägen, auf dem sie hocken. Falls sie es dennoch begriffen haben, handeln sie wahrscheinlich nach der Devise: Augen zu und weitermachen, solange die Kasse stimmt. Ein Heli-Ski-Flug auf die Ebnefluh bringt der Air Zermatt eine Brutto-Einnahme von rund 1500 Franken, wovon der Bergführer 400 bis 600 Franken bekommt.
Doch was den Helikopterfirmen und einzelnen Bergführern nützt, nützt noch lange nicht der Branche insgesamt. Der Kanton Wallis hat die Wertschöpfung des Heliskiing untersuchen lassen. Die sehr sorgfältige Studie, die 2009 veröffentlicht wurde,(1) kommt zu dem Schluss, dass Heliskiing in einer Gemeinde wie Zermatt lediglich 1 bis 1.5 Prozent der jährlichen Gesamtumsätze im Tourismus ausmacht. Für eine lächerlich geringe Wertschöpfung, die nur wenigen nützt, wird also der Konflikt mit „ökologisch sensibilisierten Bevölkerungsgruppen“ in Kauf genommen.
Einer Region wie das Lötschental, die an schönen Wochenenden den Lärm der Helikopter ertragen muss, bringt das Heliskiing mehr Ärger als Nutzen. „Die fliegen rein und fliegen wieder raus“, sagt ein Hotelier, „hier verdient niemand viel am Heliskiing.“
Stammtisch-Niveau
Dass das Heliski-Business einen Standortvorteil darstellt, wird indessen niemand bestreiten: Was in den Nachbarländern verboten ist, kann in der Schweiz noch praktiziert werden. Doch die Schein-Argumente aus der Mottenkiste sind wertlos geworden. Schon lange glaubt niemand mehr der Heli-Lobby, ihre Piloten bräuchten das Heliskiing für Übungsflüge. Die sicheren, flachen Terrassen, auf denen Heli-Skifahrer bei schönem Wetter abgesetzt werden, sind nicht das Gelände, auf dem Helipiloten viel lernen könnten. Rega-Piloten fliegen nicht minder gut und betreiben meines Wissens kein Heliskiing.
Und schliesslich wurde immer wieder vorgebracht, die Gegner des Heliski-Business würden den Helikopter generell als Transportmittel ablehnen und der Heli-Bergrettung in den Rücken fallen. Eine Behauptung, die in Bezug auf ihren IQ etwa einen Meter unterhalb Stammtisch-Niveau liegt.
Verwaltung und Bundesrat: Wegsehen und Schulterzucken
Winterwanderer und Bergführer haben letzten Samstag die Heli-Fliegerei im Lötschental beobachtet und gegen das lärmige Treiben protestiert. Mit Skiern und Schneeschuhen sind Aktivisten der Alpenschutzorganisation Mountain Wilderness von Blatten zur Alp Guggisstafel aufgestiegen.
Mountain Wilderness kritisiert den Unwillen der Behörden, die wenigen verbliebenen Naturlandschaften vor dem Heli-Skifahren zu schützen: „Dafür ist auch das Bundesamt für Zivilluftfahrt BAZL verantwortlich“, schreiben die Alpenschützer. Mit seiner Interessenspolitik für die zivile Luftfahrt verhindere das Amt in den letzten Jahren eine wirksame Lösung zur Schaffung von Landschaftsruhezonen.
Die Eidgenössische Natur- und Heimatschutzkommission (ENHK) hat festgestellt, dass Heli-Landeplätze in Landschaften von Nationaler Bedeutung (BLN) nichts verloren haben. Im Gebiet Monte Rosa-Dent Blanche zum Beispiel müsste also der offizielle Landeplatz für Heliskiing untersagt werden. Die Zermatter Helikopter-Lobby erhob daraufhin ein lautes Protestgeheul und hatte offensichtlich Erfolg. Der Bundesrat brach die seit Jahren laufende Überprüfung der Gebirgslandeplätze ersatzlos ab. Ende der Übung. „Hier werden die Partikularinteressen von einzelnen Firmen geschützt und ein rechtswidriger Zustand festgesetzt“, urteilt Mountain Wilderness.
„Silence“ hiess das Motto, welches die Alpenschutz-Aktivisten im Lötschental letzten Samstag bei Einbruch der Dunkelheit in den Schnee schrieben. Eine mit Fackeln beleuchtete Schrift wider den groben Unfug des Heli-Skifahrens. Die erfahrenen Alpinisten gruben ihre Iglus, um dort oben die Nacht zu verbringen. In der Stille.
(1) Kanton Wallis: Interessennachweis von Heliskiing – Region Wallis Südost. Sion 18.12.2009