Die grösste Schweizer Partei erhebt hohe Ansprüche. Sie predigt Ordnung und Disziplin. Sie sieht sich als Verfechterin von Bodenständigkeit und Solidität. Auf ihrem Panier stehen Leistungswille und Gradlinigkeit. Sie masst sich gar an, Retterin der Schweiz (vor der EU) zu sein.
Wirft man einen Blick auf ihre „Leistungsträger“ und lässt diesen Blick ein paar Jahre zurückschweifen, trübt sich dieses vaterländisch schöne Politposter markant ein. Denn wenn von Politikern die Rede ist, die sich hart an der Grenze zwischen Legal und Illegal – oder schon jenseits derselben – bewegen, steht hinter dem Namen der Betreffenden auffallend oft die Parteibezeichnung SVP. Bereits im Frühjahr 2003 schrieb der Tages-Anzeiger, Dutzende von kantonalen SVP-Politikern seien „wegen Veruntreuung, Ehrverletzung, übler Nachrede, Verleumdung, Schwarzarbeit, Urkundenfälschung, Drohung, Verunglimpfung, Fahrens in angetrunkenem Zustand…“ mit dem Gesetz in Konflikt geraten. In eben jenem Frühjahr sollte der Tessiner Grossrat Roger Etter in Lugano die SVP-Wahlplattform für die Nationalratswahlen vorstellen, doch Kandidat Etter musste kurzfristig absagen, da er wegen Verdachts auf versuchten Mord verhaftet und später (zu 11 Jahren Zuchthaus) verurteilt wurde.
Affären am laufenden Band
Wenn ein derart krasser Fall die Ausnahme ist, so scheint in den Reihen der Rechtsnationalen die Lust, die Spielräume auszureizen, nach wie vor virulent. Immer wieder tauchen kleinere oder auch grössere Meldungen in der Presse auf, die über öffentliche Figuren auf krummen oder zumindest gebogenen Pfaden berichten – und meist handelt es sich um SVP-Leute. Sie alle aufzulisten, würde viel Platz beanspruchen und wäre auch nicht sonderlich interessant. Es sind in der Regel kleinere Lokalmatadoren, die – um es freundlich zu sagen – insbesondere einen ausgesprochen lockeren Umgang in Geldgeschäften pflegen. In Erinnerung dürfte einem breiteren Publikum etwa René Kuhn geblieben sein; der einstige Präsident der SVP Stadt Luzern machte nicht nur mit zweifelhaften Handlungen auf „monetärem“ Gebiet, sondern auch mit unsäglich dummen Äusserungen über die Frauen von sich reden.
Mittlerweile hat sich das Zwielicht zunehmend auf Amts- oder Würdenträger auf eidgenössischer Ebene ausgebreitet. Der jüngste Fall betrifft Steueramtsdirektor Urs Ursprung. Eine Strafuntersuchung gegen das SVP-Parteimitglied läuft (noch) nicht, wohl aber eine Administrativuntersuchung wegen widerrechtlicher Auftragsvergabe im Rahmen des Informationsprojekts Insieme. Politisch brisanter war vergangenes Jahr der Fall des Bruno Zuppiger. Der SVP-Nationalrat, Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbandes und Oberst der Schweizer Armee, war drauf und dran, Einzug in den Bundesrat zu halten – als ihn Unregelmässigkeiten in einer Erbschaftssache einholten. Anfang Jahr hat die Zürcher Staatsanwaltschaft eine Strafuntersuchung wegen Veruntreuung gegen ihn eröffnet.
Mit einem Verfahren muss nun selbst der Partei-Übervater rechnen. Christoph Blochers Rolle bei der Weitergabe von Bankdaten in der Affäre Hildebrand ist zumindest dubios, ebenso jene seines Mitstreiters in dieser Causa, des SVP-Kantonsrats Hermann Lei, gegen den das Strafverfahren bereits läuft.
Schlagzeilen der ungünstigen Art machten in jüngerer Zeit auch andere eidgenössische Parlamentarier dieser Partei. Das Geschäftsgebaren des Luzerner Nationalrats Felix Müri etwa war dergestalt, dass ihn selbst seine Parteifreunde (erfolglos) zum Rücktritt aufforderten. Luzi Stamm (Aargau) setzte sich mit der Geschichte um die malaysische Hausangestellte, die seine Eltern betreute, ebenfalls in ein wenig vorteilhaftes Licht. Und die Art und Weise, in der Kollege Lieni Füglistaller seine geschäftlichen Fäden zog, löste in der Aargauer SVP eine unendliche Schlammschlacht aus (im Wucher-Prozess wurde L.F. freigesprochen wurde). Oder nehmen wir die Superschweizerin Yvette Estermann, die es nicht im geringsten stört, dass man bei der „Freien Universität Teufen“, in deren Aufsichtsrat sie sass, Doktortitel kaufen kann.
Vor der eigenen Tür wischen
Schwarze Schafe haben auch andere Parteien. Alles in allem kommt man aber nicht um den Eindruck herum, dass in der SVP überproportional viele Personen beheimatet sind, die der Hauch des Unseriösen oder Anrüchigen umweht. Personen, die kaum als Vorbilder taugen. Die vom „Schweizertum“, das sie zu repräsentieren glauben, weit entfernt sind. Die im Irrtum leben, Politik erschöpfe sich in Selbstdarstellung und Provokation. Die unterm Strich mehr Probleme schaffen, als sie vorgeben zu lösen. Nicht zu verkennen ist, dass jene in der Partei, die arbeiten und etwas leisten, dieses Segment ihrer „Kummerbuben“ und „Sorgenkinder“ zunehmend als Belastung empfinden.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die Medien früher oder später einen neuen „Fall“ vermelden. Dann wird einmal mehr die Erinnerung an den Auftritt wach, den Blocher am 13. Dezember 2007 unmittelbar nach seiner Abwahl aus dem Bundesrat hatte. Vor der Vereinigten Bundesversammlung sagte er: „Was habe ich in den letzten Monaten nicht alles gehört (…): Konkordanz - fast ein heiliger Tempel; Toleranz - die grösste Tugend; Kollegialität - bis zur Selbstverleugnung; Amtsgeheimnis - sehr oft, um viel Dreck und Dinge zuzudecken, die niemand sehen durfte…“.
Wer so spricht, täte möglicherweise gut daran, einen grossen Besen zu beschaffen und erst einmal vor der Tür des eigenen Parteilokals zu wischen.