Vom Kongo erfährt man wenig, und das Wenige ist meist nichts Gutes. Die beiden benachbarten Länder, die diesen Namen tragen, stehen bei allen Indizes, die Armut, Gewalt, Willkür oder Korruption abbilden, in den untersten Rängen.
Es ist etwas verwirrend, dass gleich zwei Länder im Herzen Afrikas Kongo heissen: Die Republik Kongo, auch Kongo-Brazzaville genannt, und die Demokratische Republik Kongo, abgekürzt DR Kongo oder – ebenfalls mit der Kapitale bezeichnet – Kongo-Kinshasa.
Kongo-Brazzaville ist offiziell eine präsidiale Republik, in Wirklichkeit jedoch eine ziemlich brutale Autokratie. Langzeitherrscher Denis Sassou-Nguesso regiert die einstige französische Kolonie mit kleinen Unterbrüchen seit 44 Jahren und ist im Januar 2021 für weitere sieben Jahre bestätigt worden. Trotz Erdölreichtums und fruchtbaren Böden ist das Land bitter arm und extrem rückständig. Von dieser Republik Kongo hört man so gut wie nie etwas.
Journal 21 beginnt mit diesem Beitrag die Rubrik «Vergessene Themen». Unter diesem Label wird alle zwei Wochen ein Artikel erscheinen, der eine wenig beachtete Weltgegend oder Menschengruppe, einen übersehenen Konflikt oder eine wenig bekannte Problematik aufgreift. «Vergessene Themen» wird an Menschen und Dinge erinnern, die es kaum je in die Schlagzeilen und Top-News schaffen. Die Rubrik wird das Blickfeld erweitern und auf blinde Flecken des Medienbetriebs hinweisen.
Die flächen- und bevölkerungsmässig viel grössere DR Kongo – es handelt sich um das zweitgrösste Land Afrikas – steht politisch und wirtschaftlich kaum besser da. In der Kolonialzeit vom belgischen König zum «Privatbesitz» erklärt, wurden Land und Bevölkerung rücksichtslos unterjocht und ausgebeutet. Die seitherige Geschichte haben brutale Machthaber und fremde Interessen geschrieben.
Die DR Kongo (von 1971 bis 1997 hiess sie Zaire) ist reich an wertvollen Rohstoffen, insbesondere an Gold, Diamanten und dem für Handys und E-Autos unerlässlichen Koltan. Um diese Schätze und generell um die Macht in dem zerfallenden Staat herrscht seit mehr als fünfzig Jahren Krieg. Kontrahenten sind in unübersichtlichen Konstellationen die kongolesische Armee, Rebellengruppen, kriminelle Banden und Milizen. Über 130 inoffizielle bewaffnete Gruppierungen soll es im Land geben. Immer wieder sind auch Truppen aus Nachbarstaaten involviert, in jüngerer Zeit insbesondere aus Ruanda.
Zweitärmstes Land der Welt
Seit 1999 versucht die Uno mit Friedenstruppen die Lage des Landes zu stabilisieren. Seit 2013 umfasst die Mission auch ein sogenannt «robustes» Mandat, das militärische Gewalt gegen Rebellengruppen einschliesst. Das hat bislang nicht nur keine Befriedung gebracht, sondern die Lage in vieler Hinsicht eher verschlimmert. Die vielfach aus Ländern ohne demokratische Kultur stammenden Uno-Soldaten benehmen sich oft kaum anders als die marodierenden Milizen.
Die Lage der über hundert Millionen zählenden Bevölkerung ist trostlos. Wikipedia hält fest: «Jahrzehntelange Misswirtschaft, extreme Korruption und jahrelange Bürgerkriege machten den Kongo, der kurz nach der Unabhängigkeit eines der wirtschaftlich am höchsten entwickelten Länder Afrikas war und über die grössten Naturreichtümer des Kontinents verfügt, zu einem der ärmsten Länder der Welt, das in allen Entwicklungsindikatoren weit hinten angesiedelt ist.»
Die DR Kongo ist das zweitärmste Land der Welt. Die Menschenrechtslage ist katastrophal. Die lange Dauer des Kriegszustands hat auf verschiedenen Seiten zu einer Verrohung geführt. Das UNHCR (Uno-Hochkommissariat für Flüchtlinge) berichtet von fünf Millionen im Landesinnern Geflüchteten. Hinzu kommt eine Million, die ins Ausland geflohen ist. Drei Viertel der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, ein Drittel ist akut von Hunger bedroht. Wiederkehrende Epidemien wie Ebola, Covid-19 und Cholera verschlimmern die Situation zusätzlich.
Riesiges Land ohne Hoffnung
Seit zwei Jahrzehnten leiden insbesondere die Provinzen Kivu und Ituri im Osten des Landes unter Kämpfen zwischen den regulären Streitkräften der DR Kongo, den UN-Truppen und der Vielzahl bewaffneter Milizen. Ende Februar 2021 rückte die andauernde Gewalt im Land für einen Moment in die globale mediale Aufmerksamkeit: Ein Konvoi des UN-Welternährungsprogramms wurde nahe der östlichen Provinzhauptstadt Goma überfallen, wobei unter anderem der italienische Botschafter Luca Attanasio ums Leben kam.
Solche Ereignisse bringen den Kongo jeweils kurzzeitig in die Medien. Berichte von Hilfsorganisationen und Reportagen wie die vom 1. Juni 2022 in der NZZ geben die seltenen Einblicke in ein riesiges Land ohne Hoffnung, das es kaum je in die Schlagzeilen bringt und auf unserer mentalen Weltkarte ein dunkler Fleck bleibt.