Jeder wusste es, keiner sprach darüber. Jahrzehntelang schoben die meisten Schweizer Banken hübsche Extraprofite rein, indem sie unversteuerte Gelder aufbewahrten. Sie nützten mit Kommissionsschneiderei und miesen Anlagen die Komplizenschaft mit ihren Kunden aus, die sich ja schlecht dagegen wehren konnten.
Schweigegelübde
Man tut’s, aber man spricht nicht darüber. Das war die moderne Interpretation des Bankgeheimnisses. Und dann passierte die UBS. Seither ist Kunden- und Mitarbeiterverrat business as usual auf dem Bankenplatz Schweiz.
Dann passierte Wegelin, ziemlich genau vor einem Jahr legte die Bank ihre Steuerhändel mit den USA bei. Ein Satz in der damaligen Einlassung der Bank vor einem US-Gericht sorgte für grosses Gebrüll: Die Bank habe unter anderem so gehandelt, weil «... solches Verhalten im Schweizer Bankgewerbe üblich war». Da wurde aufgeschäumt: «Verräter, ziehen den ganzen Schweizer Finanzplatz in den Dreck», meldete sich ganz unchristlich der CVP-Präsident Darbellay zu Wort, «Schweinerei», sekundierte sein Kollege Müller von der FDP, «schlimme Sache», behauptete Bankenprofessor Kunz und vermutete zudem düster, dass sich Wegelin damit möglicherweise eine Kronzeugenregelung ergattert habe.
Und die Schweizer Bankiervereinigung sowie viele Bankenführer bekundeten ihr Unverständnis, wie man so was sagen könne. Niemals sei das üblich gewesen, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen habe das auf keinen Fall zum Geschäftsmodell einer seriösen Schweizer Bank gehört.
Heuchelei kostet
Inzwischen haben sich mehr als hundert Schweizer Bankinstitute freiwillig in die sogenannte Gruppe 2 des unseligen Steuerdeals mit den USA begeben. Rund ein Drittel von allen. Das bedeutet, dass sie zugeben, höchstwahrscheinlich US-Steuerzahler beherbergt zu haben, ohne sich darum zu kümmern, ob diese Gelder dem US-Fiskus gemeldet sind. Was im Übrigen bis heute nach angeblich gültigen Schweizer Gesetzen nicht die Aufgabe einer eidgenössischen Bank ist.
Aber darum geht es hier nicht. Es geht darum, dass jedes Schweizer Finanzhaus spätestens seit 2008 wusste, dass das schöne Geschäftsmodell Beihilfe zur Steuerhinterziehung zumindest bezüglich USA obsolet geworden ist. Kann ja passieren, so geht das manchmal im wilden Konkurrenzkampf in einer globalisierten Finanzwelt. Es ist im Nachhinein auch noch verständlich, dass einige Banken irrtümlich meinten, dass ihr Staat sie vor rechtsimperialistischen Übergriffen schützen würde. Pech gehabt.
Aber als erste Verteidigungslinie auf reine Heuchelei zu bauen, das ist nun einfach sträflich dumm, ein Armutszeugnis der Sonderklasse. Das weist weit über das Problem hinaus, wie viele Schweizer Banken die drohenden Multimillionenbussen überleben werden. Denn viel teurer werden die Folgen dieser Heuchelei.
Die Pflicht des Bankers
Worin besteht sie, neben wichtigem Gehabe, Millionengehalt und furchtbar lastender Verantwortung? Aus drei Dingen: Fürsorgepflicht, tatsächlicher Verantwortung gegenüber Kunden und Mitarbeitern, sowie der Fähigkeit, strategisch denken zu können.
Kunden, die auf das theoretisch bis heute in Steuersachen existierende Bankgeheimnis vertrauten, wurden verraten. Mitarbeiter, die Weisungen ihrer Vorgesetzten ausführten und damit gegen US-Gesetze verstiessen, wurden verraten. Und strategisches Denken: inexistent bis heute.
Schlimmer noch: Von Anfang an bis heute war und ist es klar, dass die Schweizer Bankenführer einzig und allein daran interessiert sind, ihre eigene Position, ihre Karriere, ihre Einkünfte zu retten und zu sichern. Niemals ging es darum, angesichts einer massiven Bedrohung das Beste für Kunden und Mitarbeiter und die Bank herauszuholen. Kein einziger Winkelried meldete sich, niemand übernahm Verantwortung, keiner sagte: Wenn ich schon Millionen verdiene und das damit begründe, dass ich eine schwer lastende Verantwortung trage, dann muss ich ja wohl in einer Krise den Beweis antreten, dass ich ihr auch nachlebe. Auch wenn mich das die Gewähr, somit meine Stelle und meine Karriere kostet. Mit bislang einer einzigen Ausnahme, eben den «Verrätern».
Der wahre Verrat
Stattdessen hat die gesamte Führungsspitze aller Schweizer Banken Verrat am wichtigsten Gut begangen, an der Geschäftsgrundlage jeder Bank: Vertrauen. Völlig unabhängig davon, was man moralisch und ethisch vom Geschäftsmodell «Beihilfe zur Steuerhinterziehung» halten mag: Dieser Verrat wird den Finanzplatz Schweiz teuer zu stehen kommen.
Denn jeder Kunde einer Bank, unabhängig davon, wie wichtig ihm steuerliche Aspekte sind, unabhängig davon, ob er reich, bemittelt oder superreich ist, unabhängig davon, ob er eine Privatperson oder ein institutioneller Anleger ist, fragt sich bei einer Bankverbindung zuerst und anhaltend: Kann ich dieser Bank vertrauen? Hält sie Wort, ist mein Geld sicher, kriege ich es wieder zurück, ist mein Kundenberater mein Partner, besteht die Bankleitung aus ehrbaren Menschen?
Dass faute de mieux Schweizer Banken immer noch Neugelder generieren, ist schön für sie. Aber nachdem man das Tafelsilber des Schweizer Finanzplatzes verschleudert hat, das übergeordnet auch aus Rechtssicherheit bestand, aus pacta sunt servanda, braucht es zumindest wieder Jahrzehnte, um das aufzubauen, was mühsam über Jahrzehnte geschaffen wurde: ein Renommee. Das kann man nur einmal verraten, und dann ist es weg. Für lange, sehr lange Zeit.