Wie ernst sind Vergleiche zu nehmen zwischen Europa am Vorabend des ersten Weltkrieges 1914 und Asien hundert Jahre später, welches vom raschen Aufstieg Chinas zur Weltmacht geprägt wird? Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt, was bedeuten würde, dass – wie es beim preussischen Deutschland damals der Fall war – China als neue Regionalvormacht die seit Ende des Zweiten Weltkrieges etablierten Strukturen im Grossraum Asien-Pazifik (AP) durcheinander bringt. Dadurch steigt das Risiko von Konflikten. Für diese Theorie spricht einiges.
Chinas Aufrüstung und die Reaktionen
Die Geschichte zeigt, dass wirtschaftlich aufstrebende Mächte auch militärisch rasch aufrüsten, um ihre regionale Einflusszone und ihre globalen Intressen im Konfliktsfall geltend machen zu können. In der Optik sicherheitspolitischer Planer in Beijing sieht sich China im Moment noch von grundsätzlich feindlichen (USA, Japan) oder doch eher misstrauischen Nachbarn umgeben. Letzteres gilt für praktisch alle anderen Staaten im AP, mit der unbedeutenden Ausnahme von Laos und Kambodscha und abgesehen vom Sonderfall Nordkorea. Idealerweise möchte China die USA zum Patt zwingen und die anderen zu wohlwollender Duldung einer neuen regionalen Pax sinica verpflichten.
Dies werden die Nachbarn im AP nicht hinnehmen. Der entsprechende Prozess ist bereits im Gange, nachdem die weiterhin dominierende Weltmacht USA mit ihrem Grundsatzentscheid zur Hinwendung zum AP sich selbst und alle ihre formalen (Japan, Korea, Philippinen) und informellen Alliierten in eine Position gebracht hat, China falls notwendig auch militärisch die Stirn zu bieten. Ohne amerikanische Allianzverpflichtung würde Japan nicht derart nationalistisch, bisweilen provokativ (Verstaatlichung einer territorial umstrittenen Insel im ostchinesischen Meer, Besuch des Premierministers Abe im Kriegs-Schrein Yasukumi) auftreten. Auch könnten sich die Philippinen keine internationale gerichtliche Auseinandersetzung mit China über Inseln im südchinesischen Meer leisten.
Globaler Grossbrand unwahrscheinlich
Man vergisst gern, dass die strategische Auseinandersetzung zwischen den USA und China neueren Datums und anderer Art ist, als dies zwischen den USA und der UdSSR im kalten Krieg der Fall war. Das nukleare Risiko war damals höher, aber damit waren auch die Regeln und Rituale der Auseinandersetzung weiter entwickelt. Solche müssen sich zwischen Beijing und Washington erst noch herausbilden. Dazu muss Beijing einsehen, dass sein Reich der Mitte Asien nie wieder im geschichtlichen Sinn dominieren kann. Washington seinerseits muss akzeptieren, dass das seit 1945 dauernde Zeitalter der Pax americana im Pazifik sich zu Ende neigt.
Dass diese potentiell kriegstreibenden Faktoren indes zum Konflikt, ja sogar zum globalen Grossbrand führen könnten, bleibt weiterhin eher unwahrscheinlich. Dies primär, weil so offensichtlich alle Beteiligten nur verlieren könnten. Einmal abgesehen vom immensen wirtschaftlichen Rückschlag, welchen ein Konflikt im AP notwendigerweise mit sich bringen würde, sprechen auch strategische und sicherheitspolitische Gründe dagegen.
Provoziert Japan einen Krieg, dann wird das Land von Beginn an amerikanischen Bündnisschutz benötigen. Es würde damit augenfällig, in welchem Masse Japan geschichtlich gesehen heute eine absteigende Regionalmacht ist. Provoziert China einen Konflikt, würde sich augenblicklich ein Ring aktiven Widerstandes von Indien über das pazifische Asien (USA, Australien), Südostasien (ASEAN), Ostasien (Japan, Korea) bis zu hin Nordasien (Russland, Mongolei) bilden. Beijings Ambition, akzeptierte Regionalmacht zu werden, wäre auf lange Zeit illusorisch. Dass die USA mit ihrer robusten Demokratie von Checks and Balances Krieg anfangen könnten, ist vollends undenkbar.
Unberechenbares Nordkorea
Also keine wirkliche Kriegsgefahr? Ja, wenn da nicht die Präsenz einiger unberechenbarer Faktoren wäre, Faktoren der Art, welche mit zum Kriegsausausbruch in Europa 1914 geführt haben. Was damals Serbien mit nationalistischen Fieberschüben war, könnte heute Nordkorea mit seinen Nuklearwaffen sein. Ein Nebenschauplatz, von dem aus unlogischerweise und von den Grossen wohl ungewollt ein Konflikt losgetreten wird, der wie 1914 ein Eigenleben entwickelt und kaum mehr gestoppt werden kann.
Das einzige Land, welches den nordkoreanischen Jungdespoten aus der internationalen Schule Gümligen in seinem verderblichen Tun gegen sein eigenes Volk und seine Nachbarn stoppen könnte, ist China. Bislang war Beijing dazu nicht wirklich bereit, weil ein Sturz des Familienclans der Kims Chaos, und wohl anschliessend die Ausdehnung eines prosperierenden kapitalistischen, mit den USA verbündeten Südkoreas bis an die chinesische Grenze bedeuten würde. Hier dürfte ein Lithmustest für China vorliegen. Nur wenn die KP von China über ihren totalitären Schatten springt und einen Regimewechsel in Pjöngjang zulässt, kann von internationalem Verantwortungsbewusstsein einer aspirierenden Grossmacht ausgegangen werden.