Die Evakuierung von Ost-Aleppo ist beendet. Mindestens 4‘000 Kämpfer haben die Stadt verlassen, ebenso 34‘000 Zivilisten. Sie alle sind in die Nachbarprovinz Idlib geflohen, die noch von den Rebellen beherrscht wird.
Das Asad Regime beherrscht nun wieder die ganze Stadt, die zum grossen Teil in Ruinen liegt. Asad hat sich selbst zu seinem „Sieg“ gratuliert. Auch Putin gratulierte Asad, nicht ohne hinzuzufügen, der Sieg sei auch der russischen Intervention zu verdanken. Siegesparolen wurden auch in Teheran und in den von Hizbullah beherrschten Teilen von Beirut laut.
Putin nutzt die Gunst der Stunde
Der Fall von Aleppo ist ein Meilenstein im syrischen Bürgerkrieg. Das Asad-Regime beherrscht nun wieder alle wichtigen Städte im Westen des Landes. Im Osten ist Raqqa, die Hauptstadt des „Islamischen Staats“ (IS), mittelfristig bedroht.
Nach dem Fall Aleppos nutzte Putin die Gunst der Stunde und startete eine diplomatische Offensive. Das Besondere daran ist, dass die USA und die Europäer davon ausgeschlossen sind. Ihre Interventionsversuche hätten keine Früchte getragen, sagt Putin. Russland habe in Syrien auch nicht mit den westlichen Kräften zusammenarbeiten können.
Friedenskonferenz in Astana
Die neue Friedenssuche für Syrien soll nun unter russischer Führung zusammen mit der Türkei und Iran erfolgen. Mitte Januar ist eine Friedenskonferenz für Syrien in Astana, der Hauptstadt von Kasachstan, geplant. Dass Asad daran teilnehmen wird, ist noch nicht offiziell berstätigt, doch es ist wahrscheinlich, weil Moskau dies wünscht.
Wer jedoch die Gegenseite, die der Rebellen, vertreten wird, ist unklar. Sicher ist nur, wer es nicht sein wird: weder die Ex-„Nusra-Front“ (heute: „Eroberungsfront für Syrien“) noch der IS. „Ahrar asch-Scham“ (die „Freien Syriens“), die sich auch die „Freien Islamisten Syriens“ nennen, kämen vielleicht in Frage. Doch sie befinden sich zurzeit in einem Spaltungsprozess. Eine Minderheit ihrer Führung (8 von 22 Mitglieder ihres Führungsgremiums) haben sich von der Mehrheit gelöst und eine eigene Untergruppe gebildet. Sie treten für eine harte islamistische Linie und für eine enge Zusammenarbeit mit der Ex-Nusra-Front ein. Die Mehrheit jedoch erklärt, sie suche eine Zusammenarbeit mit anderen, nicht notwendigerweise islamistischen, Gruppen. Ferner strebe sie eine gemeinsame Führung des gesamten Widerstands gegen Präsident Asad an.
Waffenstillstand?
Bis zum vorgesehenen Konferenztermin haben die Russen einen Waffenstillstand ausgerufen. Dies würde bedeuten, dass sie ihre Bombenangriffe im Prinzip einstellen. Doch das Gleiche gilt nicht notwendigerweise für die syrische Armee. Es ist denkbar, dass diese trotz des Waffenstillstands Unterstützung durch die russische Luftwaffe erhält, falls sie diese anfordern sollte. Dies gilt vor allem für die Lage in Palmyra. Dort gelang es IS-Kämpfern, die Wüstenstadt zurückzugewinnen, während die Hauptstreitkräfte der syrischen Armee in Aleppo gebunden waren.
Auch in der vom Widerstand gehaltenen Provinz Idlib mit der gleichnamigen Provinzhauptstadt könnte die syrische Luftwaffe, möglicherweise mit russischer Unterstützung, bald aktiv werden. Es ist unwahrscheinlich, dass die Kämpfer in Idlib bald einmal aufgeben.
Trump – die grosse Unbekannte
Die vorgesehene Friedenskonferenz ist so angelegt, dass die Türken als Fürsprecher der „gemässigten“ Rebellion auftreten werden. Die Iraner sprechen für Asad. Die Russen werden zwischen den beiden stehen und in der Lage sein, das Endresultat zu bestimmen. Ob dieses dann zum Ende des Bürgerkrieges führen wird, ist ungewiss. Die grosse Unbekannte in dem Machtspiel ist Trump. Wie wird er sich verhalten?
Aber auch die Rebellenkräfte sind eine Unbekannte, weil sie aus vielen unterschiedlichen Gruppen zusammengesetzt sind, von denen unklar bleibt, welche überhaupt in den Verhandlungen mitwirken werden.
Dazu kommt, dass der IS und die Ex-Nusra-Front keine andere Wahl haben, als den Krieg fortzuführen, gleichgültig ob ihr Kampf aussichtslos ist oder nicht.
Den amerikanischen Einfluss zurückdrängen
Es ist anzunehmen, dass Putin das anstrebt, was die USA in den vergangenen 60 Jahren, seit dem Ende der Suez-Krise 1956, angestrebt hatten: Hegemonie. Das heisst: einen Frieden etablieren, bei dem die eigenen Interessen gewahrt bleiben.
Für die Amerikaner ging es – und für die Russen geht es jetzt – vor allem um strategische und energiepolitische (Erdöl-)Interessen. Die Amerikaner wollten zudem auch die Länder des Nahen Ostens „demokratisieren“. Ein solches ideologisches Interesse haben die Russen nicht.
Im Gegenteil: Die Russen werden Scheindemokratien im nahöstlichen Raum bevorzugen. Für die Amerikaner war damals wichtig, dass im Kalten Krieg die Sowjetunion im Nahen Osten nicht Fuss fasst. Jetzt werden die Russen versuchen, den amerikanischen Einfluss in Nahost zurückzudrängen.
Welche Ziele verfolgt Iran?
Die von Moskau gewählten Partner für die Friedenssuche in Syrien sind wenig stabil. Sowohl in der Türkei als auch in Iran sind Verschiebungen in den inneren Konstellationen möglich. Damit könnten sich auch die aussenpolitischen Ziele rasch ändern.
Sollten in Iran die Revolutionswächter mehr Macht gewinnen, könnte das Land mit seiner schiitischen Mehrheit weiter versuchen, im ganzen Nahen Osten seinen Einfluss zu verstärken. Sollte aber umgekehrt der gegenwärtige Präsident Rouhani seine Stellung stärken können, dürfte Iran eher eine Zusammenarbeit mit den bestehenden Regimen im Nahen Osten anstreben.
Aufs falsche Pferd gesetzt
Der türkische Präsident Erdoğan hatte in seiner Syrien-Politik zunächst auf das falsche Pferd gesetzt. Dies muss er jetzt korrigieren. Ursprünglich hatte er – wie die meisten Aussenstehenden – geglaubt, das Asad-Regime werde in sich zusammenstürzen. Deshalb hatte er die Rebellen unterstützt und einen Rücktritt Asads gefordert.
Auch seine ursprünglich grosszügige Aufnahme syrischer Flüchtlinge beruhte auf dieser Fehlspekulation. Er hatte angenommen, dass die Geflüchteten schon bald nach dem bevorstehenden Sturz des Regimes heimkehren würden.
Türkischer Flirt mit Russland
Fehler öffentlich einzugestehen, liegt nicht im Charakter des Volkstribuns Erdoğan. Lieber versucht er von seiner syrischen Fehlbeurteilung abzulenken. Die Kurden bieten Gelegenheit dazu. Auch der fehlgeschlagene Putsch der Gülen-Anhänger dient zur Ablenkung.
Die jetzige enge Zusammenarbeit mit Putin kann man als Versuch ansehen, das türkische Verhältnis zu Syrien wieder einzurenken. Gleichzeitig dient diese Zusammenarbeit auch dazu, das Wohlwollen Putins zu gewinnen. Das wäre dann wichtig, wenn Russland seine Hegemonie in der Region festigen kann.
Syrisch-türkische Harmonie in der Kurdenfrage
In der Kurdenpolitik haben Erdoğan und das Asad-Regime gleiche Ziele. Asad will keine kurdische Autonomie in Nordsyrien, und die Türkei will die Bildung autonomer Kurdengebiete an ihrer langen syrischen Grenze verhindern. Zurzeit stehen sogar – offensichtlich mit russischer Duldung – türkische Truppen in Nordsyrien. Diese sollen sowohl die Kurden in Schach halten als auch den im Grenzraum operierenden IS-Kämpfer die Stirn bieten.
Die Türkei stützt sich dabei auf lokale syrische Kämpfer der FSA (Freie Syrische Armee), die von Ankara besoldet und bewaffnet werden.
Freie Hand für Asads Geheimdienste
Moskau kann deshalb damit rechnen, dass die Türkei in den Friedensgesprächen nicht für jene Rebellen spricht, die Asads Sturz fordern. Im Gegenteil: Die türkischen Unterhändler werden den Rebellen nahelegen, einem Frieden zuzustimmen, in dem Asad seine Machtposition „vorläufig“ behält. Ein Ende dieser „Vorläufigkeit“ wird dann wohl nicht festgesetzt werden.
Dies wird ein Friede werden, in dem die Geheimdienste Asads bestimmen, was mit den Millionen von Syrern geschieht, die den Rebellen zuneigten und gegen Asad opponierten.