Pakistan ist neben Indien und Israel einer der drei Staaten, die nicht dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten sind. Der nukleare Wachhund der Vereinten Nationen, die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) in Wien, darf daher das pakistanische Nuklearprogramm nicht beaufsichtigen. Die USA haben Pakistan mehrmals angeboten, ein wirksames Sicherheitssystem zu installieren. Alle aufeinander folgenden Regierungen in Islamabad lehnten diese Angebote ab. Einer der Gründe dafür mag sein, dass die Pakistaner den wahren Umfang ihres einsatzfähigen Atomwaffenarsenals nicht preisgeben wollen.
Sechs Versuchsexplosionen
Nach den jüngsten Schätzungen von US-Atomwissenschaftlern (2010) besitzt Pakistan 70 bis 90 atomare Gefechtsköpfe für Kampfflugzeuge und Raketen bis 2500 Kilometer Reichweite. Sie beruhen je zur Hälfte auf Plutonium und hoch angereichertem Uran. Die Zahlen sind aber bloss Hochrechnungen. Ob es den pakistanischen Technikern tatsächlich gelungen ist, Kernsprengsätze so weit zu verkleinern und zu perfektionieren, dass sie auf einer Trägerwaffe in einem Bruchteil von Sekunden über einem bestimmten Ziel eine Kernspaltung auslösen können, bleibt fraglich.
Pakistan hat seit 1998 sechs Versuchsexplosionen durchgeführt. Es waren stets Reaktionen auf indische Atomwaffentests. Tatkräftig unterstützt wurde das pakistanische Nuklearprogramm seit 1986 von China. Das Produktionszentrum für Kernmaterial befindet sich in Khushab. Der erste Schwerwasserreaktor, der Plutonium absondert, wurde dort mit Hilfe Chinas 1998 fertig gestellt. Mittlerweile funktionieren in Khushab drei Atommeiler der gleichen Bauart. Daneben besitzt Pakistan einige Versuchsreaktoren und ein Atomkraftwerk. Die ersten Reaktoren mitsamt den Brennstäben wurden ab 1965 von den USA und Kanada geliefert.
"Vater der islamischen Bombe"
1986 begannen die Pakistaner ihre eigenen Uranminen auszubeuten. In einer Fabrik in Kahuta wurden geschätzte 10.000 bis 20.000 Gaszentrifugen zur Anreicherung von Uran mit dem Isotopen U-235 installiert. Die Pläne dieser Schleudern hatte der „Vater der islamischen Bombe“, Abdul Kadir Khan, als Gastforscher in einer niederländischen Isotopentrennanlage gestohlen. Später betrieb Khan mit seinen Zentrifugen und anderer Nukleartechnologie einen schwunghaften internationalen Schwarzhandel, in den auch die Schweizer Ingenieursfamilie Tinner verwickelt war.
Bei diesem Hintergrund kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich eines Tages religiöse oder politische Extremisten, die Beziehungen zum berüchtigten pakistanischen Militärgeheimdienst pflegen, eines Teils der Atomwaffen bemächtigen. Auch wenn die elektronischen Zwei-Schlüssel-Codes halten, würde sich ein enormes Erpressungspotenzial öffnen.
Die pakistanischen Vertreter bei der IAEO versichern auf Konferenzen regelmässig, dass ihre Regierung „den physischen Schutz der Nuklearanlagen und des Spaltmaterials den internationalen Normen entsprechend voll gewährleistet“. Oft wird die Befürchtung geäussert, dass sich Terroristen in Pakistan radioaktiven Abfall beschaffen könnten, um damit „schmutzige Atombomben“ zu basteln. Diese Gefahr scheint übertrieben. Das durch einen gewöhnlichen Sprengkörper zerstäubte radioaktive Material würde lediglich eine leichte lokale Verstrahlung verursachen. Grösser wäre aber der psychologische Effekt auf die Bevölkerung.