Rosa Tschudi hat es sich nicht leicht gemacht mit ihrem ersten und einzigen Kochbuch, auf das ihre treuen Gäste sehnsüchtig gewartet hatten. Die Grenze zum Rentenalter hatte sie längst überschritten, als sie sich an diese Knochenarbeit machte. Denn die grosse Kochkünstlerin hatte eigentlich keine ganz genauen Rezepturen bereit. Diese sind aber notwendig, wenn Hobbyköche ein Rezept zu Hause nachkochen möchten. So mussten für jedes Gericht die präzisen Masse und Gewichte definiert, abgewogen,abgemessen und aufgeschrieben werden. Auf diese harte Tour entstand ein schönes Kochbuch, Rosa Tschudis papierenes Vermächtnis, das 100 «Erfolgsrezepte aus meiner Küche» – so der Titel – bietet.
Passionierte Gastgeberin
Als Knochenarbeit hat Rosa Tschudi das Kochen stets bezeichnet. Und doch prägte die Gastronomie ihr ganzes Leben. Diese Worte schrieb die Familie in die Todesanzeige. Ausser dem Kochen für Gäste in den Restaurants, die sie während ihrer Laufbahn führte, liebte sie es ganz besonders, auch Übernachtungsgäste in kleinen Hotels zu empfangen. In der «Krone» zu Gottlieben und im «Bären» in Nürensdorf konnte sie beide Leidenschaften ausleben.
In Erinnerung bleibt Rosa Tschudi allerdings als Köchin, die unglaubliche Köstlichkeiten zauberte. Man stelle sich vor: Diese kleine grosse Frau bekam den allerersten Michelin-Stern der Stadt Zürich verliehen. Und der Restaurantführer Gault-Millau gestand ihr immerhin 17 Punkte zu.
Bodenständiges auf Spitzenniveau
Noch wichtiger waren ihr die Reaktionen ihrer Gäste, die sie in ihrem Tun bestärkten. Man stelle sich auch das vor: Da geht man gross aus in ein Sternelokal der über die Landesgrenzen berühmten Rosa Tschudi, und mitten im Gourmet-Menü erscheint ein Gang namens «Kutteln». Sie hatte die Courage und machte sich einen Spass daraus, bodenständige Schweizer Spezialitäten auf höchstem Niveau in ihre Haute Cuisine einzugliedern. Die gebrannte Creme enthielt sie ihren Gästen so wenig vor wie den Rhabarber.
Wer jemals Rosa Tschudis Fischknusperli aus Eglifilets gekostet hat, erinnert sich an den Teig, der eigentlich kein Teig war, sondern ein aromatischer Hauch, wie ihn nur die grössten Kochkünstler zuwege bringen. Sie war auch die unangefochtene Königin der Saucen. Ihre Kutteln brachte sie in einer Champagnersauce auf den Tisch, und die Begleitung ihres Sauerbratens schmeckte einfach himmlisch. Die Königinmutter der Köche machte sich früh Gedanken über die Zeit nach der Nouvelle Cuisine mit ihren Mini-Portiönchen. «Es wird eine Zeit kommen», sagte sie, «da müssen wir den Gästen mehr als nur ein tourniertes Rüebli servieren.»
Grande Dame
Rosa Tschudi war eine Grande Dame der Spitzenküche, auch wenn sie solche Titel nicht mochte. Aber sie pflegte die Erscheinung einer Grande Dame, sorgfältig frisiert und geschminkt, und wenn die Kochbluse ein wenig eng wurde, achtete sie auf die Figur. Sie liebte Schmuck, den sie nur ausserhalb der Küche tragen konnte, und sie mochte Pucci-Kleider aus Seidenjersey.
Wenn Rosa Tschudi Ferien machte, reiste sie quer durch die Lande, um bei Kollegen zu essen. Ihr Favorit war Henry Levy in Berlin mit seinem legendären Restaurant «Maître». Sie reiste auch beruflich viel. Die Starköchin nahm gerne die Einladungen von Fünfsternehotels an, ein paar Tage ihre Kunst zu zelebrieren. Besonders lieb waren ihr die Abstecher nach Hongkong, aber auch andere Grossstädte und Luxushäuser in der halben Welt öffneten ihr noch so gerne ihre Küchen und ihre Gästelisten. Bis in die letzten Jahre stand sie noch manchmal in fremden Küchen am Herd, weil es ihr zu Hause, wie sie sagte, zu langweilig war.
Rosa Tschudi verstarb mit 91 Jahren und wurde in Dübendorf beerdigt. Vermutlich hat sie sich in die Gilde der ihr vorangegangenen Spitzenköche eingereiht, um das Personal im Jenseits mit himmlischen Köstlichkeiten zu erlaben. Denn wenn es wirklich einen Himmel gibt, kann Rosa Tschudi wohl auch dort das Kochen nicht lassen.