Kirchenaustritte auf der linken wie auf der rechten Seite des politischen Spektrums haben zwei alte Fragen neu belebt: 1. Wodurch lässt sich mehr bewirken, durch Teilhabe oder durch Austritt? 2. Dürfen Kirchenvertreter sich politisch äussern und wenn ja, wie? Zu Punkt 1: Klar, durch Teilhabe. Aber es kann der Moment kommen, da man alle Hoffnung auf Veränderung aufgibt. Dieser Punkt war für die sechs Frauen, die Ende letzten Jahres ihren Austritt aus der katholischen Kirche erklärt hatten, offensichtlich erreicht, als der Papst in einer Audienz Schwangerschaftsabbruch mit Auftragsmord verglich. Dass sie dagegen nun definitiv nichts mehr ausrichten können, haben sie mit ihrem Austritt in Kauf genommen. Zu Punkt 2: Ja, sie dürfen, allerdings nur, indem sie ihrer politischen Überzeugung Ausdruck verleihen, und nicht, indem sie Parteiparolen oder Abstimmungsempfehlungen von sich geben. Dass sie mit ihrer politischen Haltung anecken, ist unvermeidlich. Das zeigen die jüngst erfolgten Kirchenaustritte von SVP-Mitgliedern, die sich über eine vermeintlich links politisierende Kirche aufregten und beschlossen, ihre Kirchensteuer inskünftig direkt an den ihrem Weltbild näherstehenden Bischof von Chur zu entrichten.
Im Zuge dieser sehr unterschiedlich motivierten Kirchenaustritte wird dieser Tage wieder einmal darüber gestritten, wie Kirche grundsätzlich zu sein habe: geschwisterlich und engagiert, wie die sechs Frauen es sich wünschten, oder aber neutral und unpolitisch, wie es SVP- und rechte CVP-Politiker gerne hätten. Denjenigen, die sich eine politisch neutrale Kirche wünschen, eine, die sich konkreter Stellungnahmen enthält und sich stattdessen auf ihr „ethisches Kerngeschäft“ besinnt, wie CVP-Präsident Pfister es formuliert hat, sei allerdings gesagt, dass es Neutralität in diesem Sinne nicht geben kann. Auch wer wegschaut und schweigt, bezieht Stellung. Auch wer nichts tut, kann schuldig werden.
Nie ist das deutlicher geworden als zur Zeit des Nationalsozialismus, da es auch innerhalb der christlichen Kirchen die wenigen gab, die sich lautstark auflehnten, und die vielen, die sich stillschweigend duckten. Das ist in der Schweiz nicht anders gewesen als in Deutschland. Es ist kirchlich engagierten Persönlichkeiten wie Karl Barth, Paul Vogt oder Gertrud Kurz zu verdanken, dass das Unrecht der offiziellen Flüchtlingspolitik beim Namen genannt wurde und das Land sich einen Rest von Menschlichkeit bewahrte. Wir sollten denjenigen unter den Kirchenleuten, die gegen heutiges Unrecht ihre Stimme erheben, das Wort nicht verbieten. Es ist gut möglich, dass wir auch ihnen eines Tages dankbar sein müssen.