Der Film ist mit Einschüben betitelt, tonlos und findet noch heute hohe Beachtung.
Die Geschichte erzählt das Schicksal eines neugeborenen Knaben, der von seiner ledigen Mutter in den Fond einer Limousine reicher Leute ausgesetzt wird. Auf einem Zettel hinterlässt sie die Bitte, für das Waisenkind zu sorgen, in der Hoffnung, dass der Knabe so eine bessere Welt haben wird.
Komödie und Sozialdrama
Das Auto wird allerdings von Dieben gestohlen und der unverhoffte störende „Inhalt“ neben einer Mülltonne ausgesetzt. Hier findet ein streunender Vagabund, „der Tramp“, den hilflosen Neugeborenen und nimmt sich voller Erbarmen seiner an. Der Stummfilmilm, 67 Minuten lang, verknüpft eine Komödie mit einem Sozialdrama und wird ein Riesenerfolg: Chaplin ist darin sowohl Drehbuchautor, Schauspieler, Regisseur und Produzent, der Junge John (Jackie Coogan) wird zum erste Kinderstar in der Filmgeschichte.
Der Inhalt von „The Kid“ hat viel mit Chaplins eigenem Leben und dem sozialen Umfeld in seiner Jugend zu tun: Als sein Vater 1901 an den Folgen seiner Alkoholsucht starb, blieb den beiden Halbwaisen Chaplin und Sydney nur die Mutter als familiäre Bezugsperson. Sydney sorgte nun für den Unterhalt von Bruder und Mutter, die mehrfach in Irrenanstalten eingeliefert und 1905 für geisteskrank erklärt wurde. Chaplin war fast ganz auf sich allein angewiesen, wurde mit seinem Halbbruder als Sechsjähriger erstmals in ein Waisenhaus gesteckt, trieb sich später auf den Strassen herum und lernte das unterste soziale Milieu Londons kennen, das er genau beobachtete. Bereits mit 13 Jahren verliess er endgültig die Schule und verdingte sich als Laufbursche, Zeitungsverkäufer, Drucker, Spielzeugmacher und Glasbläser, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Inspiriert von der eigenen Kindheit
Im „Lexikon des internationalen Films“ wird dieser Zusammenhang zu den eigenen Lebenserfahrungen bestätigt: „Chaplin reflektiert in seinem ersten abendfüllenden Spielfilm die eigene Kindheit. Eine sentimentale, bittere, sozialkritische Tragikomödie, in der sich Realismus, Romantik, und Phantasmagorie dank Chaplins und des kleinen Jackie Coogans unwiderstehlicher Darstellung mit Gags und Slapsticks zu einem grossen Kinovergnügen verbinden.“
Die Finanzierung des Filmprojekts kommt nur durch die grosszügige Unterstützung von 500’000 Dollar einer Bank aus Italien zustande. Für Chaplin wird „The Kid» finanziell zu einem grossen Erfolg, spielte doch das Werk einen Gewinn von 2,5 Millionen US-Dollar ein, was damals im Filmgeschäft einem Rekord entsprach. Bis heute soll „The Kid“ sogar eine Summe von etwa 60 Millionen US-Dollar eingebracht haben …
Das Erfolgsgeheimnis ist rasch erklärt: Die ZuschauerInnen werden zwischen Lachen und Tränen hin und her gerissen. Einen solchen Film gab’s bis 1921 noch nie. Ebenso erfolgreich wird die Aufführung zwei Jahre später in Deutschland, wo das Werk unter dem Namen „Der Vagabund und das Kind“ läuft.
Dabei waren die Lebensumstände Chaplins damals alles andere als einfach: Während der Dreharbeiten, die fast ein Jahr dauerten, stand er in einem Scheidungskrieg mit seiner ersten Frau Mildred Harris. Ihre Anwälte drohten damit, die Negative des eben gedrehten Films zu konfiszieren, worauf Chaplin mit seinem engsten Team von Kalifornien nach Salt Lake City floh und dort in einem Hotelzimmer heimlich den Grobschnitt des Films vornahm. Insgesamt hatte er inzwischen 53-mal so viel Filmmaterial beisammen, wie am Ende überhaupt verwendet wurde …
Wahlheimat in der Schweiz
In den folgenden Jahren kreiert Chaplin zahlreiche weitere Filme, von denen die meisten ebenfalls oder erst recht gesellschaftskritische Zustände kritisierten. Dazu gehörten vor allem „Der Diktator“ – eine Persiflage auf Adolf Hitler – und „Modern Times“ als beissende Kritik am Ersatz des Menschen durch moderne Technologien. Dies trägt ihm zunehmend Widerstand von politisch rechter und etablierter Seite ein. Ihm wird mangelnde Verfassungstreue vorgeworfen; in den 1930er und 1940er Jahren konnte man sich in den USA bereits mit der spöttischen Hinterfragung der herrschenden Gesellschaftsordnung als marxistisch oder kommunistisch verdächtig machen. Darauf beschloss Chaplin, den USA endgültig den Rücken zu kehren, zog in seine Wahlheimat Schweiz und erwarb das Anwesen „Manoir de Ban“ in Corsier-sur-Vevey am Genfersee.
Wie stark Chaplin, der zahlreiche weitere und sehr erfolgreiche Kinofilme produziert hat, „The Kid“ am Herzen lag, spiegelt sich darin, dass er nach seiner Niederlassung in der Schweiz in den 50er Jahren sich nochmals um eines seiner erfolgreichsten Lieblingswerke kümmerte: 1971 schreibt er zum Stummfilm von damals – bereits 88-jährig – noch eine Filmmusik und kürzt die ursprüngliche Fassung um einige Szenen, die er mittlerweile als zu sentimental empfindet von 67 auf 55 Minuten.