Nachdem die Palästinensische Autonomiebehörde unter Präsident Mahmud Abbas den Beginn von Verhandlungen mit Israel angekündigt hatte, demonstrierten Palästinenser in Ramallah gegen diesen ihrer Meinung nach untauglichen Versuch, einen palästinensischen Staat zu gründen. Sie kritisierten vor allem, dass Israel einem Stopp des Siedlungsbaus nicht zugestimmt hatte. Die palästinensische Polizei löste die Kundgebung auf – brutal, wie ein Augenzeuge berichtet.
104 gegen 5000
Fast das einzige, was Mahmud Abbas bei den Israelis, – sozusagen als diplomatischen Appetithappen – erreicht hat, ist die stufenweise Freilassung von 104 palästinensischen Gefangenen. Darüber hinaus weigerte sich Abbas erfolgreich, Israel als - wie von Netanjahu gefordert – „jüdischen Staat“ anzuerkennen.
Merke: Insgesamt sitzen ungefähr 5000 Palästinenser in israelischer Haft – unter ihnen einer der Organisatoren der zweiten Intifada (2000-2005) – Marwan Barghouti. Barghouti ist ein charismatischer Führer, Forderungen nach seiner Freilassung findet man häufig in Palästina – etwa an der von den Israelis gebauten Trennmauer in Kalandia zwischen Jerusalem und Ramallah. Barghouti galt als möglicher Nachfolger Jassir Arafats, der im November 2004 gestorben ist.
Eine Art Tagesordnung
Ein freier Barghouti wäre – einerseits – eine politische Herausforderung für den politisch schwächelnden Mahmud Abbas. Zum anderen wäre Benjamin Netanjahu wie auch jeder andere israelische Premier durch einen freien Barghouti mit einem politischen Schwergewicht konfrontiert, der allein durch seine Persönlichkeit und seinen Rückhalt unter den Palästinensern der palästinensischen Position entscheidenden Rückhalt geben würde.
Diejenigen Gefangenen, die jetzt freikommen, sitzen oft schon mehr als 20, gar 25 Jahre in israelischen Gefängnissen, oft wegen Gewalttaten gegen israelische Soldaten und Zivilisten. Europäischem Rechtsverständnis nach wären die Strafen dieser Gefangenen wohl längst verbüsst. Barghouti selbst ist zu fünfmal lebenslänglicher Haft verurteilt.
Nun also soll verhandelt werden, zumindest soll erst einmal eine Art Tagesordnung erstellt werden, nach der man einzelne Probleme wie Siedlungen, Grenzen, Rückkehr der Flüchtlinge beraten kann.
"Roots": Schwarze Vorfahren
Zwar kann man am Anfang von Verhandlungen nie sagen, was an ihrem Ende stehen wird. Doch die Prognose ist nicht zu gewagt, dass ein abermaliger Misserfolg wahrscheinlich ist. Denn es gibt genügend Indizien dafür, dass Israel – im Bunde mit den USA – eine Art Pax Israelica anstrebt.
Alles deutet etwa daraufhin, dass Israel den alten zionistischen Plan nicht aufgegeben hat, so viel palästinensisches Land wie möglich zu ergattern. Wenn diese Absicht nicht bestünde, hätte Israel längst den Siedlungsbau – und die Vertreibung der Palästinenser aus Ostjerusalem – aufgegeben.
Es gibt viele Kronzeugen für diesen Plan – etwa einen vollkommen unverdächtigen Mann wie Jeff Halper. Der in Minnesota geborene amerikanische Jude Jeff Halper hatte eines Tages eine Art Erweckungserlebnis. Damals, in den 1970ger Jahren, veröffentlichte Alex Haley unter dem Titel „Roots“ die Geschichte seiner einst aus Afrika in die USA deportierten schwarzen Vorfahren.
Auch Jeff Halper suchte plötzlich nach seinen „Wurzeln“ – und wanderte aus den USA nach Israel aus. Was er dort vorfand, erschütterte ihn. Er sah, was er die Unterdrückung der Palästinenser nennt. Und er hörte, wie Häuser von Palästinensern durch israelische Bulldozer zerstört wurden. Jeff Halper wurde zum Mitbegründer des „Israelischen Komitees gegen Hauszerstörungen“ (ICAHD). Eines Tages wurde er tatsächlich Zeuge der Zerstörung eines palästinensischen Hauses. Der Jude und Neu-Israeli Halper warf sich vor den Bulldozer, um die Zerstörung zu verhindern. Vergeblich.
Ohne Chancen
Über die „Friedensinitiative“ von US-Außenminister John Kerry schreibt Jeff Halper auf seiner Website: „Trotz der Tatsache, dass eine Mehrheit der israelischen Juden eine Art Zweistaatenlösung favorisiert und dazu ziemlich negative Ansichten über das Siedlungsunternehmen hat, hat keine Lösung eine Chance, von der Knesset oder in einem Referendum angenommen zu werden, die nur annähernd die palästinensische Forderung nach einem lebensfähigen, wahrhaft souveränen, territorial zusammenhängenden Staat mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt beinhaltet.“
Auch sei, argumentiert Jeff Halper weiter, nicht erkennbar, dass der amerikanische Kongress Israel zu einer solchen Lösung zwingen werde.
Zufall oder eher nicht – kurz nach Ankündigung neuer Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern verkündete Israel die Neuauflage eines alten Planes – den Bau eines Eisenbahnnetzwerkes zwischen Israel und dem Westjordanland mit einer Länge von 473 Kilometern, 30 Bahnhöfen und elf Linien. Das Netzwerk soll jüdische Siedlungen und palästinensische Städte mit Israel verbinden und Anschlüsse nach Syrien und Jordanien herstellen. Nach einem Bericht der israelischen Journalistin Amira Hass in der Zeitung Haaretz vom 25.Juli 2013 verkündeten Transportminister Yisrael Katz den Plan. Es sei derselbe Minister, der unlängst erklärt habe, dass ein palästinensischer Staat für Israel nicht akzeptabel sei, hauptsächlich, weil Israel das Recht auf dieses Land besitze.
Blockierte EU-Diplomaten
Der Eisenbahnplan (dessen Verwirklichung wohl mehrere Jahrzehnte benötigen würde) erinnert an die alte israelische Strategie, bei den Siedlungen und Siedlerstraßen auf palästinensischem Land Fakten zu schaffen, die kaum rückgängig zu machen sind und die dann die Gründung eines palästinensischen Staates unmöglich machen.
Rückschläge in seiner Politik muss Israel bisher wenige einstecken. Um so empörter zeigte sich die Regierung in Jerusalem, als kürzlich die Europäische Union verkündete, in Zukunft keine Hilfsprojekte mehr finanzieren zu wollen, die auch israelischen Siedlungen zugute kämen. Palästinenser waren zufrieden mit diesem, eigentlich lange überfälligen Schritt, Benjamin Netanjahu aber zeigte sich empört, Staatspräsident Shimon Perez empfahl, angesichts der bevorstehenden Friedensverhandlungen die Verwirklichung des Beschlusses aufzuschieben. Berichten aus Ramallah zufolge hat Israel als Gegenmassnahme veranlasst, EU-Diplomaten den Zugang zu den von Israel kontrollierten Gebieten des Westjordanlandes (den im Vertrag von Oslo 1993 und 1995 geschaffenen Zonen B und C) vorerst zu verweigern.
Fehlende Stringenz
Möglicherweise ist die neuerdings härtere Haltung der EU gegenüber Israel auch im Interesse der USA. Da Barack Obama auf Benjamin Netanjahu kaum Einflussmöglichkeiten hat, könnte es ihm und dem amerikanischen Verhandlungsführer mit den Palästinensern, Martin Indyk, gelegen kommen, dass die EU ebenfalls Druck auf Israel ausübt. Allerdings wird auch dieses Szenario nicht ausreichen, den Palästinensern ihren lebensfähigen Staat zu geben.
Denn die Voraussetzungen für einen wahren Frieden sind kaum gegeben. Diese sind gemäss Jeff Halper die folgenden:
Der Frieden müsse aufgebaut sein auf Wahrung der Menschenrechte, sein Fundament müßten das Internationale Recht und die UN-Resolutionen sein. Weiter müsse das Recht auf Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge gewahrt bleiben. Auch müsse ein gerechter Frieden Israelis wie Palästinensern die selben wirtschaftlichen Chancen bieten. Schließlich müsse ein solcher Frieden die Sicherheitsbedürfnisse aller Anrainerstaaten berücksichtigen, mithin eingebettet sein in eine regionale Friedenslösung. Israel und Palästina seien beide zu klein, argumentiert Jeff Halper, um der Region allein Frieden und Stabilität zu bieten.
Angesichts des Aufruhrs in Syrien und in Ägypten und angesichts der negativen Haltung der in Gaza regierenden Hamas ist unschwer vorauszusagen, dass die auf neun Monate anberaumten Verhandlungen in Washington wie in den früheren Jahrzehnten lediglich der Verwaltung des Status quo dienen. Eine stringente Friedenslösung ist demnach kaum in Sicht.