Am Mittwoch werden vom Schweizer Bundesparlament die Mitglieder der siebenköpfigen Landesregierung gewählt. Auch wenn Spekulationen über den Ausgang hoch ins Kraut schiessen – eine sogenannte «Schicksalswahl» für die Zukunft unseres Landes wird es sicher nicht sein. Solche dramatischen Begriffe sind für einige Wahlgänge in gewissen Ländern durchaus angebracht, nicht aber für die vergleichsweise grundstabilen helvetischen Verhältnisse.
Klar, Demokratie lebt vom Wettbewerb, dem Werben um die Volksgunst und um Mehrheiten bei Entscheidungen der Volksvertreter. Deshalb ist es verständlich und richtig, dass im Vorfeld der am Mittwoch fälligen Wahl eines neuen Bundesrates oder einer Bundesrätin von den Medien alle möglichen Überlegungen, Analysen, Spekulationen, Kombinationen, Prognosen, Meinungen, Behauptungen, Befürchtungen und Hoffnungen verbreitet werden. Solche öffentlichen Diskussionen und Meinungskampagnen gehören mit zu einer lebendigen Demokratie. Und falls sie dazu beitragen, das vielbeklagte Desinteresse apathischer Wohlstandsbürger am innenpolitischen Geschehen zu reduzieren, so kann man den Medienzirkus um die mögliche Nachfolge von Bundesrat Berset lebhaft begrüssen.
Beispiele Amerika, Deutschland Argentinien
Nur, der bei manchen Wahlgängen im In- und Ausland häufig strapazierte Begriff «Schicksalswahl» passt bei der Bundesratswahl vom Mittwoch nicht zur Realität. Für solche bedeutungsschwangere Zuschreibungen müsste man ganz andere Länder und Verhältnisse ins Blickfeld nehmen.
In erster Linie denkt da der politisch interessierte Weltbürger an die im kommenden Jahr fällige Präsidentschaftswahl in Amerika. Könnte der irrlichternde Egozentriker, Leugner nicht genehmer Wahlergebnisse, Putschversuch-Drahtzieher und Putin-Bewunderer Trump erneut ins Weisse Haus gewählt werden? Auch wenn man es sich kaum vorzustellen wagt, beim heutigen Stand der Dinge ist eine derartige Perspektive nicht auszuschliessen.
Schicksalsschwere Weichenstellungen scheinen auch bei den Bundestagswahlen 2026 in Deutschland möglich. Laut Prognosen aus heutiger Sicht ist es nicht ausgeschlossen, dass die zumindest teilweise mit rechtsextremen Positionen liebäugelnde AfD zur zweit- oder drittstärksten Kraft im Bundestag avancieren könnte. Dass eine solche Entwicklung das Vertrauen in die demokratische Stabilität der stärksten Wirtschaftsmacht Europas ins Wanken bringen würde, versteht sich.
Von «Schicksalswahl» kann man mit einigem Grund auch bei der Präsidentenwahl in Argentinien vom vergangenen November sprechen. Sie haben den ultralibertären Populisten Javier Milei an die Macht gebracht, der sich selbst als «Anarchokapitalist» bezeichnet. Nur bleibt vorläufig total ungewiss, welches «Schicksal» diese Wahlentscheidung für das Land am Rio de la Plata zur Folge haben wird. Wird es wirtschaftlich und sozialpolitisch stabiler werden oder noch tiefer in Richtung Chaos und Klientelismus versinken als unter den Peronisten?
Nicht programmierte Entscheidungen beleben das Interesse am Wahlprozess
Nein, derart schicksalsschwere Fragen und Abgründe stehen bei der Bundesratswahl vom Mittwoch nicht auf dem Spiel. Mit hoher Gewissheit kann man voraussagen: Wer immer von der Bundesversammlung in das siebenköpfige Regierungsgremium gewählt wird: Das helvetische Staatsschiff wird deswegen nicht apokalyptischen Sturmfluten entgegensteuern, sondern in den verhältnismässig ruhigen Gewässern helvetischer Normalität weitersegeln. Keiner der offiziell zur Wahl stehenden oder unerwartet noch auftauchenden «Sprengkandidaten» oder «Geheimplan-Joker» wird die grundstabilen innenpolitischen Kräfteverhältnisse völlig durcheinanderwirbeln. Oder gar die Fortsetzung der seit Jahrzehnten funktionierenden – von manchen Beobachtern in anderen Ländern nicht selten beneideten – Konkordanz-Regierung aus den Fugen heben.
Und sollte es am Mittwoch in Bern dennoch zu der einen oder andern Überraschung kommen, weil nicht alle Bundesratskandidaten, die auf dem offiziellen «Ticket» ihrer Parteien stehen, ins Regierungsgremium gewählt werden, so wäre das keineswegs ein Unglück. Damit würde immerhin demonstriert, dass es die nominell unabhängigen Mitglieder der Bundesversammlung sind, die die einzelnen Bundesräte wählen, und nicht dem Fraktionszwang unterliegende Parteisoldaten.
In der jüngeren Schweizer Geschichte gibt es genügend Beispiele, die zeigen, dass die Wahl solcher «wilden», nicht von den Parteigremien lancierten Kandidaten sich im praktischen Regierungsalltag überzeugend bewährt haben. Zu erinnern wäre da etwa an die Bundesräte Hanspeter Tschudi, Ruth Dreifuss, Otto Stich und Evelyn Widmer-Schlumpf. Solche Überraschungen sind durchaus geeignet, dem in manchen Kreisen verbreiteten Vorurteil entgegenzuwirken, im helvetischen Politbetrieb würden die Posten nur nach routiniert vorgespurten Absprachen unter den etablierten Parteien vergeben.