In der „Zeit“ lese ich einen Artikel, in dem sich der Autor – wie das heute viele unserer Kollegen tun – fragt, was denn „schiefgelaufen“ sei im Journalismus in jüngerer Zeit. Früher, meint er, sei ein Journalist einer gewesen, der versucht habe, „den Überblick“ zu behalten. Stimmt. Auch wenn sich, in relativierender Nach-Sicht, entsprechende Überzeugungen oft als illusionär erwiesen. In besonders euphorischen Momenten meinten wir sogar, über den Durchblick zu verfügen.
Das hat sich gründlich geändert. Die Zustände und Entwicklungen in all den Gebieten, die wir bearbeiten, sind derart instabil, wechselhaft und unübersichtlich geworden, dass die Behauptung, den Überblick zu behalten, obsolet und oft nur noch lächerlich wirkt. Weil das Über- und Durchblicken so aussichtslos geworden ist, behelfen sich immer mehr von uns mit der Erzählung. Nennen sie das „Narrativ“, um ein bisschen was herzumachen, spitzen sie zu, laden sie mit Emotionen und forcierten Sinngebungen auf.
In der Literatur kann ein derart aufgeheiztes Narrativ die schönsten Resultate liefern. Im Journalismus gibt es Grenzen. Sie verlaufen der Wirklichkeit entlang. Es werden von uns an Fakten orientierte Erzählungen erwartet, keine Fiktionen. Ein Kokettieren mit dem „Postfaktischen“, wie das (Un)wort des Jahres heisst, bringt uns in Teufels Küche. Will heissen: Unsere Texte verlieren die Glaubwürdigkeit, ohne die sie, auf kurze und lange Sicht, nun mal nicht existieren können.