Die internationale Staatengemeinschaft ist nicht in der Lage, Syrien zum Frieden zu zwingen. Sie ist unfähig dazu, weil sie sich selbst nicht einigen kann. Die Zerstörung des Landes und die Leiden seiner Bevölkerung werden daher noch weiter zunehmen.
Russland und Iran sind die entscheidend wichtigen Stützen der Asad-Regierung. Ohne ihre Hilfe, wäre Asad gestürzt worden. Auf der andern Seite stehen Saudi-Arabien, Qatar und private Financiers aus dem Golf. Sie unterstützen die Kämpfer gegen Asad und sind für sie unentbehrlich. Auch die Amerikaner und die europäischen Mächte, haben dem Widerstand gegen Asad diplomatische und finanzielle Unterstützung gewährt. Doch eine militärische Intervention von ihrer Seite scheint heute ausgeschlossen.
„Die Syrer sollen selbst ihre Zukunft bestimmen“
Die Uno ist in ihren Aktionsmöglichkeiten dadurch eingeschränkt, dass sie nur entscheidend eingreifen kann, wenn der Sicherheitsrat dies beschliesst. Doch sobald Massnahmen beraten werden, die das Asad-Regime unter Druck setzen könnten, legen Russland und China ihr Veto ein. Diese beiden Staaten wehren sich konsequent dagegen, dass Syrien von aussen ein „Regime-Wechsel“ aufgezwungen wird.
Es gibt ein Minimum von gemeinsamen Vorstellungen für Syrien, dem die russisch-chinesische und die amerikanisch-europäische Seite zustimmen. Auch die arabischen Staaten, einschliesslich Saudi-Arabien, Qatar und Kuwait, stimmen diesen Vorstellungen verbal zu. Dieses Minimum wird durch die Formel umschrieben: „Die Syrer sollen selbst ihre Zukunft bestimmen“.
Verhandeln statt kämpfen
Theoretisch wären alle involvierten Mächte bereit, dafür zu sorgen, dass die Syrer dies tun. Doch die Syrer führen Krieg gegeneinander. Die internationale Staatengemeinschaft müsste auf Asad einerseits und die Aufständischen anderseits so viel Druck ausüben, dass sie endlich miteinander verhandeln – anstatt gegeneinander zu kämpfen. Nur dann bestünde Aussicht, dass der Krieg und damit das Elend ein Ende finden.
Doch solche Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien stossen auf grosse praktische Schwierigkeiten. Sind die Grossmächte wirklich bereit, „den Syrern“ den Weg zum Frieden zu ebnen? Oder arbeitet jede Grossmacht hinter den Kulissen doch darauf hin, dass „ihre“ Seite doch noch die Herrschaft über das Land erlangt?
Die Geheimdienste – Asads Rückgrat
Aus welchen Komponenten bestehen beide Seiten? Was ist das Asad-Regime, wie setzt es sich zusammen? Wer sind die Rebellen?
Hinter der Asad-Regierung stehen zahlreiche syrische Geheimdienste. Sie bilden das Rückgrat des Regimes. Asad und seine Minister könnten möglicherweise Zugeständnisse machen oder Versprechen abgeben. Zum Beispiel: "Wir werden ehrliche Wahlen durchführen". Doch die Gegenseite, wer immer das sein wird, wird diesen Konzessionen nicht trauen, weil sie aus alter Erfahrung weiss, es werden dann die Geheimdienste sein, die das Resultat zu ihren Gunsten fälschen werden.
Geschwächte Demokraten
Die Rebellen ihrerseits bestehen aus zahllosen Gruppen. Sie sind organisatorisch gespalten in grosse und kleine Kriegsbanden unter ihren jeweiligen Führern. Sie stehen untereinander in wechselnden Allianzen. Dabei gibt es einen ideologischen Graben. Auf der einen Seite stehen die "Demokraten", die eine demokratische Ordnung für das künftige Syrien anstreben. Auf der anderen Seite des Grabens stehen alle jene Gruppen, die einen "islamischen Staat" Syrien oder gar einen über Syrien hinausreichenden islamischen Grossstaat anstreben. Die Vorkämpfer eines islamischen Staates sind dabei, die Oberhand unter den Rebellen zu gewinnen. Sie lehnen es alle ab, mit Asad zu verhandeln. Die Kämpfer für Demokratie werden zusehends schwächer.
Dass die Islamisten in der Zukunft zu Verhandlungen gebracht werden könnten, ist unwahrscheinlich. Denkbar ist höchstens, dass sich einige von ihnen zu Gesprächen bequemen könnten, wenn ihnen die Geldquellen aus den Golfstaaten ausgingen und wenn ihnen keine Waffen mehr geliefert würden.
Die Gruppierung von exilierten Politikern, die sich "syrische nationale Koalition" nennt, ist untereinander bitter zerstritten, wichtiger noch, sie ist für die Kämpfer im Inneren, Demokraten wie Islamisten, praktisch bedeutungslos.
Harte Haltung Russlands
Kann sich die internationale Staatengemeinschaft in Bezug auf Syrien je einigen?
In den vergangenen Jahren schienen die westlichen Diplomaten einige Hoffnung zu hegen, dass Russland dazu gebracht werden könnte, einem künftigen Syrien ohne Asad zuzustimmen. Doch solche Hoffnungen wurden enttäuscht. Bisher hat sich gezeigt, dass die Russen unverrückt zu Asad halten. Sie haben ihre Gründe dazu. Der wichtigste scheint zu sein, dass sie keinen durch westliche Staaten herbeigeführten "Regime-Wechsel" wollen – selbst dann nicht, wenn eine neue Regierung demokratische Ziele hat.
Sie sehen in solchen Veränderungen eine gegen ihre Interessen gerichtete Aktion des Westens. Für Moskau bedeutete ein Sturz Asads ein Prestige-Verlust.
Das Ringen um die Ukraine und Georgien hat in Moskau erneut Befürchtungen geweckt, dass die russische Einflusssphäre weiter eingeengt wird – vom Verlust des früheren Einflusses der Sowjetunion in Osteuropa gar nicht zu reden. Unter diesen Gesichtspunkt bedeutet Syrien für sie: "Wehret den Anfängen!" Oder genauer, da die Anfänge schon eingetreten sind: "Errichtet einen Wall der Abwehr, sobald sich dazu Gelegenheit zeigt!"
Kein iranisches Einlenken?
Es gibt Hoffnungen, dass die Beziehungen des Westens zu Iran sich entscheidend verbessern könnten. Ist es denkbar, dass im Verlauf einer neuen Entwicklung Iran künftig helfen könnte, die Syrier zu versöhnen, statt wie bisher allein auf Asad zu setzen? Die Antwort ist: "Unwahrscheinlich! und jedenfalls schwerlich sofort".
Bessere Beziehungen des Westens zu Iran hängen davon ab, ob Iran den atomaren Wünschen des Westens nachkommt. Wenn Teheran tatsächlich in diesem Bereich Konzessionen eingeht, dürfte es schwerlich gleich auch noch in Bezug auf Syrien einlenken wollen.
Verbittertes Saudi-Arabien
Bestehen Aussichten, dass die Golfstaaten und Saudi-Arabien dazu gebracht werden könnten, ihre Haltung zu ändern? Auch dies ist schwer denkbar. Saudi-Arabien führt in Syrien seinen eigenen Stellvertreter Krieg, der sich gegen die Schiiten und deren Einfluss in der arabischen Welt richtet.
Dazu kommt, dass sich die Saudis von Washington im Stich gelassen fühlen, vor allem wegen der amerikanischen Iran-Politik. Saudi-Arabien ist zudem verbittert, dass die USA auf die russischen Vorschläge eingingen und nach den Giftgas-Einsätzen auf einen militärischen Schlag gegen Asad verzichteten. Unter diesen Umständen dürften die Saudis schwerlich auf ihre eigene Syrienpolitik verzichten, gleichgültig wie zerstörerisch sie sich auf Syrien auswirken mag.
Konferenz zur Vermeidung der Untätigkeit
Wenn die Diplomaten aus aller Welt dennoch darauf hoffen, dass durch eine Syrien-Konferenz aller Beteiligten, eine Lösung gefunden oder gefördert werden kann, so ist dies in erster Linie, weil kein anderer Weg sich auftut und weil die Umwelt nicht untätig zuschauen will. Eine Konferenz ist angekündigt. Sie soll am 22. Januar in Montreux stattfinden. Doch ob sie überhaupt stattfinden wird, ist ungewiss; dass sie den syrischen Knoten öffnen könnte, ist höchst unwahrscheinlich.
Einzelne Machtzentren
In Ermangelung einer Lösung scheint die Entwicklung nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge dahin zu gehen, dass Syrien auseinanderbricht: Das Land wird aufgeteilt in unstabile einzelne Territorien, einzelne Machtzentren, deren Machthaber sich bekämpfen. Der grösste und mächtigste Teil des Landes wird von Asad und seiner Armee beherrscht werden. Asad wird weiterhin die Unterstützung der syrischen Minderheiten geniessen, in erster Linie der alawitischen. Es ist jedoch nach wie vor unwahrscheinlich, dass Asad erneut das ganze Land dominieren und seine Herrschaft erneuern kann.
Der zweitgrösste und zweitmächtigste Machtfaktor wird durch die Vielfalt der sunnitischen Islamisten gegeben sein. Sie werden in der Lage sein, solange weiter zu kämpfen, solange sie die Unterstützung aus den Golf-Regionen erhalten. Sie werden jedoch stets der syrischen Luftwaffe ausgesetzt sein, gegen die sie keine wirkliche Abwehr besitzen. Die jüngsten Angriffe auf Stadtteile in Aleppo zeigen, dass sie Asads Helikoptern und Kampfflugzeugen schutzlos ausgeliefert sind.
Ein Maximum an Zerstörung
Überall, wo die Rebellen die Macht ausüben, wird Asads Luftwaffe Zerstörungen anrichten. Je schlechter es den Rebellen geht und je weniger Territorium sie permanent beherrschen, desto mehr werden sie zu Untergrundkämpfern. Als solche werden sie mehr und mehr Bombenanschläge in jenen Gebieten verüben, die die Regierung beherrscht. Ihr Ziel wird sein, ein Maximum an Zerstörung anzurichten.
In den syrischen Wüstengebieten im Osten des Landes werden die Rebellen versuchen, ein sunnitisch-islamitisches Machtzentrum zu errichten. Dieses wird weiterhin Hilfe aus den Golf-Staaten erhalten. Ob es der syrischen Armee mit Hilfe Russlands, Irans und des libanesischen Hizbullah, sowie möglicherweise künftig auch mit der Hilfe irakischer Truppen, gelingen wird, die sunnitisch-islamistischen Machthaber zu bekämpfen und auszuschalten, ist ungewiss. Jedenfalls wird dies lange Zeit dauern. Und in der Zwischenzeit werden Syrien und seine Infrastruktur weiter zerstört und der Bevölkerung werden mehr und mehr die Lebensgrundlagen entzogen.