Viele, die Rohani gewählt haben, sind enttäuscht, doch er ist dabei, den gordischen Knoten des Atomkonflikts zu entflechten. 2015 ist sein Schicksalsjahr.
„Die Atompolitik ist inzwischen keine Frage von Namus. Gut so. Dies bedeutet wahrlich eine Wende“. Dieser Satz ist in jeder Hinsicht erhellend und wegweisend. Gesprochen hat ihn der 54jährige Atomphysiker Ahmad Shirzad Mitte Dezember auf einer Podiumsdiskussion an der Universität Teheran. Shirzad, der in besseren Zeiten dem Parlamentsausschuss für nationale Sicherheit angehörte, beschäftigt sich seit fast zwanzig Jahren mit dem iranischen Atomprogramm.
Auf der besagten Veranstaltung brachte der Physikprofessor zwar interessante Details über nebulöse Geschichte der iranischen Atomindustrie an den Tag, zählte horrende Kosten auf und warnte vor verheerenden Konsequenzen des Atomirrwegs, doch seine Feststellung, dass, die Atomfrage, keine Namus-Frage mehr sei, kommt einer Wende, für viele Iraner einer Erlösung gleich. Denn gehört etwas oder jemand zu Namus wie z.B. die Ehre, was sie immer auch sein mag, oder Personen wie Mutter, Tochter oder Ehefrau, dann sind sie nicht verhandelbar, im Gegenteil, man hat sie mit allen Mitteln, selbst mit eigenem Blut zu verteidigen.
Es weht ein neuer Wind
Also über das Programm kann man verhandeln und dabei - wenn es sein muss - auch nachgeben, ohne seine Ehre zu verlieren. Das ist sicherlich nicht die Position eines einsamen Universitätsprofessors, der den Reformern zugerechnet wird, sondern offenbar die der eigentlich Mächtigen im Lande.
Allein, dass Shirzad diese spektakuläre Rede vor einem grossen Publikum halten durfte, ist an sich ein Novum, ein Tabubruch, denn seit 20 Jahren ist gemäss einem Beschluss des Nationalen Sicherheitsrats jegliche öffentliche Kritik am Atomprogramm verboten. Dieses Verbot gilt offenbar nicht mehr. Unter der Überschrift „Wir haben 20 Jahre die Welt belogen“ war Shirzads Ausführung am nächsten Tag mit allen ihren entlarvenden und zum Teil geheimen Details in vielen Zeitungen und Webseiten zu lesen, inklusive in jenen, die den Revolutionsgarden und dem Geheimdienst nahestehen. Das ist ein grundsätzlicher Wandel beim öffentlichen Umgang mit der Atomfrage, hier weht ein vollkommen anderer Wind. Und als ob sie einem geheimen Befehl folgen, sind die einstigen Kritiker längst verstummt.
Was schliesslich zu dieser Kehrtwende führte, ist, wie immer, umstritten. Gegensätzliche Erklärungen und Analysen gibt es zuhauf: Internationale Sanktionen, IS-Gefahr, Unmut der Bevölkerung oder einfach politischer Realismus. Oder alles zusammen. Was auch immer. In zehn Tagen werden die Verhandlungen in Genf fortgesetzt, im März soll ein Rahmenabkommen stehen und bis Juli die schwierigen Details geklärt werden.
Die Früchte darf er nicht einbringen
Atompolitik scheint der einzige Bereich zu sein, in dem sich Präsident Rohani und sein Aussenminister Zarif relativ frei bewegen und ihre Spielräume nutzen dürfen. Nutzniesser eines möglichen Erfolgs dürfen sie trotzdem nicht sein. Je mehr sich die Hoffnung auf einer Einigung in der Atomfrage mehrt, umso mehr suchen sich die Radikalen deshalb andere Felder, wo sie Rohani bzw. seine Wähler unter Druck setzen können. Und sie können es. Rohani ist Chef einer Regierung mit eingeschränkter Macht und Mandat. Seine Gegner kontrollieren alles, womit sich im Iran Politik machen lässt: Funk und Fernsehen, Parlament, Geheimdienste, Kulturinstitute, Revolutionsgarden und paramilitärische Basidj, die demnächst auch Kleidervorschriften kontrollieren möchten.
2015, ein Jahr voller Spannung und Ungewissheit
Eine Zuspitzung der Konflikte in diesem Jahr ist durchaus möglich. Rohani muss 2015 mit dramatisch sinkenden Ölpreise haushalten und zwei wichtige, manche Beobachter meinen, schicksalhafte Termine absolvieren.
In diesem Jahr wird entschieden, wer in die Expertenversammlung einziehen dar, ein Gremium, das nach der Verfassung das höchste Organ der Islamischen Republik darstellt, zumindest theoretisch. In diese Versammlung werden 86 Kleriker für 8 Jahre gewählt, damit sie den mächtigsten Mann Landes Kontrollieren bzw. im Falles des Falles seinen Nachfolger wählen. Kontrollieren dürfe man ihn nicht, liess einmal Ali Khamenei, der religiös-politische Führer, die Experten wissen. "Der Fall des Falles“ könnte in der kommenden Wahlperiode eintreten.
Der kranke Führer
Denn der 75jährige Khamenei ist offenbar schwer krank, darin besteht kein Zweifel. Um die Schwere seiner Krankheit ranken sich vielerlei Gerüchte. Eingeweihte wollen wissen, dass sein Prostatakrebs weit Fortgeschritten sei. Seit seiner Operation und dem Krankenhausaufenthalt vor mehr als vier Monaten gibt es lediglich zwei Bilder von seinen Audienzen. Einmal hielt er nur wenige Minuten eine ungewöhnlich kurze Rede vor Militärführern, und eine Woche später empfing er den neuen irakischen Ministerpräsidenten. Khamenei hält sich für einen Landesvater, der bis jetzt regelmässig bei wichtigen und weniger wichtigen Anlässen vor grossem Publikum lange Ansprachen hielt. Inzwischen lässt er bei verschiedenen Versammlungen und Zeremonien schriftliche Botschaften verlesen.
Dass sich die Islamische Republik schon jetzt um Khameneis Nachfolger Gedanken machen müsse, das hat Ibrahim Younesi, Regierungsberater für Minderheitsfragen bereits im vergangenen August verkündet. Wer der nächste omnipotente Mann des Gottesstaates sein wird, wie sich die künftige Expertenversammlung zusammensetzt, ist ebenso ungewiss, wie die Mehrheit des kommenden Parlaments. Mit dem jetzigen liegt Rohani in einer Dauerfehde. In seinem ersten Regierungsjahr haben die Parlamentarier fünf seiner Minister zum Rücktritt gezwungen.
Wahlkampf auf Iranisch
Der Wahlkampf für beiden Gremien ist bereits im Gange. Zwar wird in der islamischen Republik der öffentliche Streit über die umstrittenen Themen stets wie eine Art Existenzfrage geführt, es geht immer um alles oder nichts, doch seit vergangenem Freitag ist es sehr konkret.
An diesem Tag hatten die Freitagsprediger im ganzen Land ein einziges Thema: Die beiden bevorstehenden Wahlen im kommenden Jahr und die Gefahr, die „Abweichler“ bringen. Das Land befindet sich damit im Wahlkampfmodus, denn die Themen der wöchentlichen Predigten werden von einem zentralen Büro in Teheran festgelegt, nur die Verzierung der Rede ist die Sache der einzelnen Imame.
Ölpreise und IS machen alles ungewiss
Wie diese Wahlen letztendlich auch ausgehen mögen, sie werden allein das Schicksal Rohanis nicht besiegeln, denn er ist geschmeidig genug. Die eigentliche Gefahr droht ihm nicht von Innen. Sie kommt vom Ölmarkt und vom „Islamischen Staat“ (IS) im Nachbarland Irak. Beides könnten Rohanis Pläne und Versprechen zunichtemachen. Um seinen Haushalt halbwegs finanzieren zu können, muss er jedes Fass Öl für mindestens 110 Dollar verkaufen, dies haben das US Department for Energy und die Deutsche Bank berechnet. Am Montag lag der Preis unter 56 Dollar. Selbst dieses Geld bekommt der Iran wegen internationalen Sanktionen und dem Ausschluss aus SWIFT nicht in Devisen, sondern nur in Form von Waren.
Dabei verschlingt das strategisch lebenswichtige Militärengagement im Irak und Syrien Summen, deren genaue Höhe wahrscheinlich nicht einmal Rohani selbst beziffern kann, denn die Kanäle sind sehr verschlungen, über die sich die Revolutionsgarden versorgen. Sie besitzen fast alle Grossunternehmen des Landes; trotzdem ist ihr offizielles Budget für das kommende Jahr um ca. 30% erhöht worden.
Doch man kann, wenn man es will, beides, also sinkende Ölpreise und militärische Machtdemonstration in der Region, auch positiv sehen: Bei dem einen lernt das Land von Öl unabhängig zu werden und bei dem zweiten schafft man sich Respekt in der Region und darüber hinaus. Als ob er genau solche Optimisten beflügeln wolle, sagte US-Präsident Obama vergangene Wochen in einem Radio Interview mit NPR:
„Wenn die Iraner es wollen, könnten sie - wegen ihrer unglaublich vielen Talenten und Ressourcen und ihrer Raffinesse - eine sehr erfolgreiche regionale Macht sein.“