Die satirischen Kolumnen von Harald Martenstein im Magazin der „Zeit“ lese ich immer mit Genuss. Kürzlich schrieb er, wenn in seiner Familie jemand den Kapitalismus verteidige, dann sei das ungefähr so, als ob bei den Windsors Prinz Charles zum Islam übertrete – „klar, er darf das machen, aber alle halten ihn für wahnsinnig“.
Dies brachte mich auf den Gedanken, wieder einmal etwas gründlicher darüber nachzudenken, was mit Kapitalismus eigentlich gemeint ist. Beim googeln zu diesem Begriff stosse ich auf einen Aufsatz des inzwischen berühmten griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis, der sich selber als Marxist bezeichnet. Der Titel seines unlängst in der WOZ (09/2015) publizierten Aufsatzes lautet: „Rettet den Kapitalismus!“ Das kam mir aus der Feder eines marxistischen Autors sehr spanisch vor.
Im ganzen Artikel wird nie näher definiert, was der Kapitalismus eigentlich sein soll. Aus dem Kontext geht nur hervor, dass die heutigen Verhältnisse in der EU ein „kapitalistisches System“ sind. Langfristig, so Veroufakis, gehe es darum, den freien Fall dieses Systems zu verhindern, „damit wir Zeit bekommen, um eine Alternative zu formulieren“. Kein konkretes Wort darüber, wie diese Alternative denn aussehen könnte.
Jeder ideologisch halbwegs gebildete Kopf weiss natürlich: Die Alternative zum Kapitalismus ist der Sozialismus. Aber wo findet man dafür praktische Beispiele? Der Sozialismus sowjetischer Spielart ist nach siebzigjähriger Existenz untergegangen. Der Sozialismus kubanischer oder bolivarischer Prägung (in Venezuela) wird selbst im kriselnden Europa kaum als leuchtende Alternative überzeugen. Bleibt neben dem diktatorischen Nordkorea das aufstrebende China als Vorbild, dessen Regime sich ja weiterhin als kommunistisch definiert. Aber sind die Verhältnisse dort tatsächlich kommunistisch oder wenigstens sozialistisch?
Man kommt da schon ins Grübeln, wenn man im Internet auf folgende Definition des Kommunismus stösst – notabene formuliert von der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), die sich immerhin auf die Urväter Marx und Lenin beruft. Im Kommunismus, heisst es da, „ist die Kapitalistenklasse abgestorben, der Staat löst sich auf (weil er nicht mehr nötig ist), Militär wird ebenfalls überflüssig“. Mit China hat diese Vision offenkundig wenig zu tun.
Auch der Begriff Rassismus ist leider zu einer häufig missbräuchlich verwendeten Wort-Keule geworden. Im Gegensatz zu den Worthülsen Kapitalismus und Sozialismus hat dieser Begriff zwar einen sehr fassbaren moralisch-historischen Kern. Doch allzu oft wird nun auch dieses Wort zur bequemen Diffamierung politischer Gegner instrumentalisiert, wie dieser Tage der SP-Nationalrat und Jurist Daniel Jositsch kritisiert hat. Es reicht nicht, jeden, der ein kritisches Wort über Ausländer sagt, reflexartig in die rassistische Ecke zu stellen.
„Es ist immer das Gleiche“, schrieb Martenstein in der eingangs erwähnten Kolumne. „Es wird nicht differenziert.“ Beim Rassismus-Vorwurf gilt das häufig für Beklagte und Ankläger.