Im Machtkampf von Jemen wird deutlicher als bisher, dass im Zentrum der Auseinandersetzung die Rivalität des Ex-Präsidenten mit seinem Nachfolger, dem gegenwärtigen Präsidenten, steht. Die Huthis bilden das Instrument, mit dem der frühere Präsident versucht, den gegenwärtigen von der Macht zu entfernen, vermutlich um seinen Sohn an die Macht zu bringen. Die instrumentalisierten Huthis jedoch versuchen ihrerseits, die Macht über Jemen zu erringen. Das Land droht dabei zugrunde zu gehen.
Wer beherrscht Mareb?
Die Provinz Mareb droht nun ins Zentrum des Ringens um die Macht in Jemen zu geraten. Dies ist eine verhängnisvolle Entwicklung, weil die Gasversorgung ganz Jemens sowie Erdölförderung und -Ausfuhr zu einem beträchtlichen Teil ins Kreuzfeuer der kämpfenden Gruppen zu geraten drohen. Wer kämpft gegen wen, und wer steht hinter welchen Kämpfern?
Die Huthis sind die neue Kraft, welche das bisher höchst labile Kräftegleichgewicht Jemens umgestossen hat. Hinter ihnen steht vielleicht Iran und sehr wahrscheinlich Ali Saleh Abdullah, der frühere Präsident Jemens. Mit den Huthis sucht sich aber auch der gegenwärtige Präsident, al-Hadi zu verständigen. Doch dies läuft meistens darauf hinaus, dass die Huthis Verträge unterzeichnen, oder unter Vorbehalt unterzeichnen, sie dann aber nicht erfüllen.
Die Huthis bleiben in Sanaa
Beispiel: Es gibt einen Vertrag vom 21. September dieses Jahres, nach dem die Huthis aus Sanaa abziehen sollten, sobald eine neue Regierung Jemens gebildet sei. Diese Regierung kam nach langem Ringen zustande, auf dem Papier gibt es sie nun. Doch die Huthis und die Anhänger Ali Salehs (der sogenannte Nationale Volkskongress, dessen Vorsitzender Saleh geblieben ist) weigern sich, an der neuen Regierung zu teilzunehmen. Dies im Falle Salehs und seiner Freunde, weil die Amerikaner im November Sanktionen über Saleh und zwei Huthi-Anführer beim Sicherheitsrat beantragten und durchsetzten.
Saleh klagt Präsident al-Hadi, seinen Nachfolger, der zuvor sein Vizepräsident gewesen war, an, er stehe hinter diesem amerikanischen Vorgehen. Die Partei des Ex-Präsidenten hat al-Hadi, der als ihr Generalsekretär gewirkt hatte, ausgebootet. Die Huthis ihrerseits sagten, sie seien mit der Zusammensetzung der neuen Regierung nicht einverstanden. Sie nahmen dies zum Vorwand, um nicht aus Sanaa abzuziehen und haben in der Zwischenzeit durchgesetzt, dass zahlreiche ihrer Anhänger in die Polizei und Sicherheitskräfte von Sanaa aufgenommen wurden, stets in Schlüsselpositionen, wo sie die ihnen unterstellten sunnitischen Beamten beaufsichtigen können.
Die Armee hat sich von Beginn an geweigert, gegen die Huthis vorzugehen. Es gibt zwar Armee-Einheiten, die zu Präsident al-Hadi halten – aber auch andere, die Ali Saleh zuneigen. Beide Seiten sind nicht bereit, auf einer der beiden Seiten aktiv Partei zu ergreifen und damit das Risiko einzugehen, dass Armee-Einheiten gegeneinander zu kämpfen hätten. So hat sich die Armee in Bezug auf die Lage in der Hauptstadt selbst neutralisiert, gewiss nicht ohne die Mithilfe Ali Salehs. Die Rivalität zwischen dem abgesetzten Präsidenten und seinem Vizepräsidenten und Nachfolger steht hier im Zentrum der Gegensätze.
AQAP als vierte Kraft
Ausserhalb Sanaas, in den Provinzen südlich der Hauptstadt, die westlich an die Wüsten von Marib und Hadramuth angrenzen, ist die Lage anders, weil dort die Islamisten von AQAP (Al-Qaeda of the Arabian Peninsula) präsent sind. Sie sind heftig mit den vordringenden Kräften der Huthis zusammengestossen.
Die Armee kämpft seit langem gegen AQAP, hat dabei auch amerikanische Hilfe, und sie ist dort eher bereit, den Huthis zu helfen, die nun die aktivsten Kräfte gegen AQAP bilden. Dies hat zuerst zu blutigen Zusammenstössen zwischen Huthis, manchmal unterstützt von Armee Einheiten, und AQAP mit verbündeten sunnitischen Stämmen geführt. Später, nach Zurückdrängung der AQAP-Kämpfer, zu Selbstmord-Bombenanschlägen durch AQAP gegen die Huthis. Manchmal mit Dutzenden von Todesopfern.
Kampf um den Jawf
Doch nun haben die Huthis begonnen, eine weitere Front zu eröffnen. Sie beherrschen den Jawf, Wüstengebiete nördlich von Marib, und sind im Begriff nach Marib vorzudringen. Die Stammesführer von Marib tagen seit über einer Woche, um zu beschliessen, wie sie sich wehren sollen. Sie haben an Hadi, den amtierenden Staatschef geschrieben und ihn aufgefordert, ihnen zu Hilfe zu kommen, um Marib zu verteidigen. Hadi antwortete, es sei Aufgabe des von ihm bestellten Gouverneurs der Provinz, zusammen mit den dort stationierten Truppeneinheiten, die Verteidigung zu übernehmen.
Doch die Stammeschefs schrieben zurück, den Truppen in ihrer Provinz sei nicht zu trauen. Sie fürchteten, diese würden – wie in Sanna und vielen anderen Zentren – die Huthis ohne Gegenwehr eindringen lassen. Sie schlugen vor, dass die Truppen gemeinsam mit ihren Stammeskämpfern agieren sollten. Dadurch könne vermieden werden, dass sie die Provinz den Huthis auslieferten. Die Stammeschefs drohten auch, wenn dies nicht geschehe, würden sie das Gesetz des Handelns in die eigene Hand nehmen.
Brisantes Gemenge: Religion und Öl
Beobachter in Marib glauben, dass die kämpferischen Stämme der Wüstenprovinz, die sich in der Vergangenheit oft gegen die Regierung haben durchsetzen können, jedenfalls in der Lage wären, einen langen Krieg gegen die eindringenden Huthis zu führen. Dieser würde natürlich einen konfessionellen Aspekt aufweisen, weil die überragende Mehrheit der Stammesleute, etwa 90 Prozent, Sunniten sind. Was aber den Huthis 10 Prozent Zaiditen als potentielle lokale Partner überliesse.
Was ein langer Krieg in Marib für die dortigen Erdöl- und Gasvorkommen und -leitungen bedeutete, kann man sich ausmalen. Dahinter liegt die Wüstenprovinz Hadramauth mit vermuteten Ölvorkommen.
Für die Huthis ist Marib auch deshalb wichtig, weil die Beherrschung dieser Provinz ihnen den Weg nach Hadramauth öffnete, der noch grösseren Wüstenprovinz, die südlich an Marib anschliesst und in der sich die bedeutendsten noch nicht ausgebeuteten Öl- und Gasvorkommen befinden sollen. In beiden Wüstenprovinzen ist neben den Stämmen auch al-Kaida präsent.
Al-Kaida sucht neuen Einfluss
Wenn immer es zu Kämpfen von Stämmen gegen die Huthis kommt, wird die Kaida den – sunnitischen – Stämmen zur Seite stehen und dadurch bei ihnen Einfluss gewinnen. Je stärker das Machtringen konfessionelle Züge annimmt, desto besser ist es für al-Kaida, weil ihr das aus der Isolierung hilft, in der ihr Fanatimus sie bisher festgehalten hat.
Für den Gesamtjemen jedoch wird ein Kampf um Marib bedeuten, dass die jemenitischen Haushalte kein Gas mehr zum Kochen haben und der jemenitische Staat kein Erdölgeld mehr, um sich finanziell über Wasser zu halten.
Ali Saleh fordert einen Neuanfang
Wie Ali Saleh über all dies denkt, ist durch ein Fernsehinterview etwas klarer geworden. Im Gespräch mit einem ägyptischen Fernsehsender erklärte er, es sei Zeit, in Jemen ein neues Regime zu beginnen, Hadi und seine Regierung abzusetzen und Wahlen durchzuführen, um einen neuen Staatschef und ein neues Parlament zu bestimmen. Es ist anzunehmen, dass er dabei die Interessen seines Sohnes, des Generals ausser Dienst, Ahmed Ali Saleh, im Auge hat. Dieser wirkt heute als Botschafter in den Vereinigten Arabischen Emiraten ausser Landes, verfügt aber in Jemen immer noch über ihm gegenüber loyale Truppeneinheiten.
Al-Hadi versucht seinerseits, eine eigene Hausmacht aufzubauen, indem er seine Position als amtierender Übergangspräsident ausnützt. Doch die Huthis sind daran, ihn dabei zu untergraben. Die internationale Gemeinschaft, einschliesslich der Amerikaner, Saudi Arabiens und der Golfstaaten, die bisher als Geldgeber wirkten, steht hinter al-Hadi und der unter ihm halb vollzogenen aber nun praktisch stillgelegten Übergangsphase zur – erhofften – Demokratie.