Der Staat benutzte die staatlichen Medien bisher stets als sein Sprachrohr. Es gibt Kräfte, die darauf ausgehen, dass dies so bleibt.
Die Revolutionen in Tunis und Kairo hatten zum Ziel, dass Presse und elektronische Medien frei berichten können. Dass freie Meinungsäusserung und freie Information Voraussetzungen für das Funktionieren einer künftigen Demokratie sind, ist allgemein anerkannt. Doch in der Praxis hat kein Befreiungsschlag stattgefunden.
In beiden Staaten ist man dabei, die gesetzliche Grundlage zu formulieren, auf der die künftige Meinungsfreiheit basieren soll. Dabei gibt es unterschiedliche Ansichten darüber, ob es dabei Grenzen gebe und wo sie allenfalls liegen. Soll einer „islamischen Demokratie“ gedient werden oder einer „säkularen Demokratie“? Doch bei näherem Zusehen zeigt sich, dass es auch um Geld und Macht geht.
Zwei nicht verwirklichte Dekrete
In Tunesien wurden während der Revolution - und bevor es noch eine reguläre Regierung gab - von der damaligen provisorischen Regierung zwei Dekrete erlassen, Nr. 115 und 116. Sie legen fest, dass die Medien frei sind. Eine unabhängige Körperschaft habe darüber zu entscheiden, welche Medien Lizenzen erhielten. Zur Zeit Ben Alis war es das Regime, das - sehr restriktiv - Lizenzen gewährte. So konnte die Regierung die Medien kontrollieren. Doch es war nicht das einzige Mittel. In Ägypten und in Tunesien waren Fernsehen, Radio und die grossen Zeitungen in Staatsbesitz. Die Regierungen ernannten ihre Intendanten, Herausgeber und Chefredaktoren.
Während und nach der Revolution kamen die ersten privaten Medien auf, Fernsehstationen in erster Linie. In Ägypten machten zudem einige Zeitungen den staatlichen Medien Konkurrenz.
Innere Kämpfe unter Journalisten
Innerhalb der staatlichen Medien gab es Versuche einzelner Redaktoren oder Redaktionsgruppen, sich freier zu äussern. So kam es zu Machtkämpfen zwischen Journalisten und Chefredaktoren der pro-staatlichen Linie und einer inneren Opposition, die Meinungsfreiheit auch innerhalb der staatlichen Medien forderten.
Doch diese inneren kritischen Stimmen vermochten sich selten durchzusetzen. Auf den bisherigen Medien lastet eine Vergangenheit von vielen Jahrzehnten, während derer ihre Leiter sich selbst als die Sprachrohre ihrer Regierungen ansahen und auf Grund ihrer "Verlässlichkeit" gegenüber dem Informationsministerium Karriere machten. Der Umstand, dass der Staat "seine" Medien finanzierte, trug zur Bildung einer Kultur der Abhängigkeit bei.
Wer dirigiert die Staatsmedien?
Als nach der Übergangszeit in beiden Staaten reguläre Regierungen gewählt wurden, machten die neuen Regierungschefs von ihrem "Recht" Gebrauch, die Herausgeber und Chefredaktoren der staatlichen Medien zu ernennen. In beiden Staaten bedeutete dies, dass Persönlichkeiten in die Führung der staatlichen Medien aufrückten, die den regierenden "muslimischen Demokraten" nahe standen, in Tunesien der an-Nahda Partei, in Ägypten den Muslimbrüdern.
Zusammenschluss aller Journalisten in Tunesien
In Tunesien führte dies zu öffentlichen Protesten von Journalisten vor dem Sitz des Ministerpräsidenten. Zwei Redaktoren der ältesten Tageszeitung, as-Sabah, traten in einen mehrwöchigen Hungerstreik. Sie protestierten damit gegen die Ernennung eines Nahda-nahen, neuen Chefredaktors. Am 17. Oktober streikten schliesslich alle Medien - mit dem Resultat, dass an jenem Tag keine Zeitungen erschienen und die elektronischen Medien sich auf Kurznachrichten beschränkten.
Ziel des Streiks war, die praktische Durchführung der oben erwähnten Dekrete aus der Übergangsperiode einzufordern. Ministerpräsident Jebali versprach dies den Streikenden. Einige Journalisten äusserten ihre Skepsis, ob er seine Zusagen auch einhalten werde, und falls ja, ob die versprochene Kommission dann auch wirklich unabhängig sein werde. "Bisher haben wir keine Aktion gesehen", erklärten Journalisten.
Die Regierung will ihre eigenen Sprachrohre
Solche Bedenken wurden verstärkt durch die gleichzeitige Ankündigung der Regierung, sie wolle eigene elektronische Medien schaffen. Ihr Name: Radio Kasbah. Dieses solle zunächst einzig über Internet empfangen werden. Radio Kasbah könnte schon Ende Oktober in Betrieb genommen werden. Ziel dieser Aktion, so erklärte die Regierung, sei "die Isolierung der Regierung durch die lokalen Medien zu beenden und Informationen über die Erfolge der Regierung zu verbreiten ".
Mehrheitlich säkular eingestellt
Wenn sich die tunesische Regierung "isoliert" fühlt, hängt dies ohne Zweifel damit zusammen, dass die grosse Mehrheit der Medien von Journalisten betrieben wird, die zur säkularen Hälfte der Tunesier gehören. Dies, weil diese Journalisten schon unter Ben Ali in den Medien arbeiteten. Damals waren nur säkulare Journalisten zugelassen. Zudem stammen viele der heutigen Medienvertreter aus den Kreisen der Demonstranten und "Revolutionäre“. Es ist in der Tat unübersehbar, dass in der tunesischen Presse gegenüber den regierenden Islamischen Demokraten ein kritischer, wenn nicht gar feindlicher Gesamtton vorherrscht.
Viele Journalisten beklagen sich zudem darüber, dass sie und ihre Kollegen immer wieder von „islamischen Kreisen“ bedroht und tätlich angegriffen würden. Die Regierung tue nichts, um sie zu schützen.
Wem nützt die Gewalt?
Die Gewalttätigen sind oft "Salafisten", nicht Leute der Nahda. Doch der Vorwurf, dass diese Leute von ihren Gesinnungsgenossen in der Regierungspartei beschützt oder gar heimlich gefördert würden, verstummt nicht.
Es sind die Salafisten, die wiederholt gewalttätig wurden, weil sie den Islam "beleidigt" glaubten. Doch die Säkularisten, die in der Presse weitgehend zu Wort kommen, verdächtigen die Nahda-Anhänger, dass sie die Salafisten als islamische Vorhut einsetzen. Sie würden sie benützen, um die Islamisierung der tunesischen Gesellschaft voranzutreiben.
Inzwischen hat sich in Tunesien eine säkularistische Sammelpartei unter as-Sibsi gebildet. Sie heisst „Appel Tunisien“ und ist eine eigentliche Gegenpartei zur islamischen Nahda. Jetzt, wo die Frage von Neuwahlen und deren Termin in den Mittelpunkt der politischen Debatte gerückt ist, hat sich natürlich das Ringen um die Beherrschung der Medien verschärft.
Gespaltene Journalistengewerkschaft in Kairo
In Ägypten gibt es keine gemeinsame Front der Journalisten gegen die Regierung, wie sie in Tunesien mit dem Streik aller Journalisten zustande gekommen ist. Die Berufsgemeinschaft der Journalisten ist gespalten. Der gewählte Vorsitzende des Syndikates, Mamduh al-Wali, ist ein Anhänger der Bruderschaft, doch er liegt in einem Dauerstreit mit dem leitenden Komitee, dessen Mehrheit aus säkular Eingestellten besteht.
Viele Angehörige der Berufsgemeinschaft sind der Ansicht, dieser Dauerstreit hindere ihre Gewerkschaft daran, sich energisch genug für die Belange der Meinungsfreiheit einzusetzen.
Journalisten droht Gefängnis
Im ägyptischen Gesetzbuch gibt es noch immer 30 verschiedene Sachverhalte, die zu Anklagen gegen Journalisten benützt werden und mit Gefängnis bestraft werden können. Gegenwärtig sind zwei Fernsehreporter angeklagt, den Präsidenten "beleidigt und verleumdet" oder sogar zu dessen Mord angestiftet zu haben. Ihnen drohen drei Jahre Gefängnis.
Es handelt sich allerdings um Fernsehmoderatoren, die für ihre Wühlrhetorik bekannt sind. Was zu neuen Diskussionen unter den Journalisten geführt hat: Soll man sich aus Prinzip hinter die Angeklagten stellen, um die Meinungsfreiheit zu schützen, so die Säkularisten, oder soll man einer Bestrafung zustimmen, wie die Islamisten es sehen, weil es sich in der Tat um journalistische Radaumacher handelt?
Die vorherrschende Meinung scheint zu sein, solange es keine brauchbaren Regeln zu Absicherung der Meinungsfreiheit gebe, könne auch keine journalistische Berufsethik eingefordert werden.
Umstrittene neue Chefs für die Staatsmedien
Auch in Ägypten wird darum gerungen, wer den staatlichen Medien vorstehen soll. Gegen Personen, die die Regierung einsetzen will, gibt es – im Namen der Meinungsfreiheit – Opposition unter den Journalisten. Auch in Ägypten gibt es theoretisch eine unabhängige Kommission, die die Chefredaktoren bestimmen soll. Doch diese Kommission wird aus Mitgliedern des Oberhauses gebildet, unter denen die Regierungspartei - jene der Bruderschaft - die Mehrheit innehat. Die Klagen der meist säkular eingestellten Journalisten über jene neuen Vorgesetzten, die den Muslimbrüdern nahe stehen, häufen sich.
Reformbedürftig
Zusammenfassend kann man sagen: Die Presse und die elektronischen Medien sind, wie so viele andere strategische Sparten der ägyptischen Gesellschaft, noch nicht voll reformiert. Allerdings wohl doch etwas mehr als die Richter, die Polizei, die Armee, die Lehrer in Schulen und Universitäten und die führenden Wirtschaftskreise.
Es gibt noch immer keine vollständigen Gesetzesvorgaben für eine solche Reform, und es gibt im Informationsbereich so gut wie in allen anderen Sparten auch bedeutende Altlasten von Personen, die Karriere gemacht haben, gerade weil sie das Gegenteil waren von echten Journalisten, gerechten Richtern, gesellschaftsschützenden Polizisten und so weiter.
Karrieren aus der früheren Zeit
Diese Leute, die unter Mubarak und Ben Ali Karriere gemacht haben, sitzen noch immer auf ihren Posten. Die Gefahr besteht, dass sie jetzt durch Personen ersetzt oder ergänzt werden, die im Solde der neuen Machthaber stehen. Das ganze System ist seit Menschengedenken so eingerichtet ist, dass die Medien den Regierungen zuarbeiten müssen und deshalb ihre Gunst besitzen.
Jetzt stehen die Regierungen unter dem Druck säkularistischer Kräfte. Deshalb sind die Machthaber versucht, eine Meinungsdiktatur wie früher zu errichten. Doch in dem alten System sitzt der Wurm der Freiheit. Ob dieser bewirken könnte, dass die Medien künftig nicht mehr im Dienste der Machthaber, sondern im Dienste der Gesellschaft stehen, ist zwar denkbar, aber doch ungewiss.