Zum ersten Mal seit 1999 soll es wieder einen unangefochtenen Weltmeister im Schwergewichtsboxen geben. Der Brite Tyson Fury und der Ukrainer Oleksandr Usyk werden Anfang 2024 in Saudi-Arabien gegeneinander antreten, um die Krone im Schwergewicht unter sich auszumachen. Die Saudis haben Unsummen ausgegeben, um das Duell möglich zu machen.
«Dieser Kampf findet statt. Es ist der grösste Kampf im Boxsport. Jeder will ihn sehen», sagt der Promoter Frank Warren ins Mikrofon. Es ist der 28. Oktober 2023. Warren steht im Boxring der neuen, mit 26 tausend Zuschauern gefüllten Boulevard Hall in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad. Neben ihm steht sein Schützling, der britische Schwergewichts-Weltmeister Tyson Fury. Er ist angeschlagen, sein linkes Auge ist geschwollen und blau angelaufen.
Warren meint mit dem «grössten Kampf» nicht die zehn Boxrunden, die Tyson Fury eben hinter sich gebracht hat. Das Duell zwischen ihm und dem Mixed-Martial-Arts-Kämpfer Francis Ngannou war als bessere Show eingeplant. Dass der haushohe Favorit Fury gegen Ngannou Mühe haben und nur knapp nach Punkten gewinnen würde, hatte niemand erwartet. Es ist eine Peinlichkeit für Fury, den selbsternannten besten Boxer aller Zeiten.
Warren blickt deshalb lieber in die Zukunft. Wenige Minuten nach dem Kampf zwischen Fury und Ngannou verspricht er dem Publikum in Riad lauthals ein anderes, viel wichtigeres Duell: Tyson Fury gegen Oleksander Usyk. Er nennt es mehrmals «den grössten Kampf im Boxsport». Spätestens bis Ende März sollen die beiden Athleten in Riad die Krone im Schwergewichtsboxen unter sich ausmachen.
Der Kampf wird zum ersten Mal nach 25 Jahren einen unangefochtenen Schwergewichts-Champion hervorbringen. Der Gewinner wird die Weltmeister-Gürtel der vier relevanten Boxverbände auf sich vereinen. Der Ukrainer Oleksander Usyk ist Weltmeister der Organisationen WBA, WBO und IBF, und Fury hält den WBC-Titel. Der Promoter Warren hat das Aufeinandertreffen von Fury und Usyk deshalb auch schon das «grösste Boxereignis des Jahrhunderts» genannt.
Die besten Boxer treffen aufeinander
Im Showgeschäft rund um das Boxen gehören grosse Töne und Angeberei dazu. Doch völlig aus der Luft gegriffen seien die Superlative nicht, mit denen der Kampf zwischen Fury und Usyk angepriesen werde. Das sagt der ehemalige Schweizer Profiboxer Stefan Angehrn. Es ist gut 25 Jahre her, als er beinahe Box-Weltmeister wurde und in der Schweiz für Furore sorgte.
«Mit Fury und Usyk treffen die besten Schwergewichts-Boxer der letzten Jahre aufeinander», sagt Angehrn. Fury sei ein 2.06 Meter grosser Riese, schwer zu treffen und mit seinen rund 125 Kilogramm erstaunlich agil. Usyk bringe zwar deutlich weniger Gewicht auf die Waage und sei 15 Zentimeter kleiner als Fury, «aber er ist ein Genie, der perfekteste Boxer, den ich je gesehen habe — er kann alles», schwärmt Angehrn.
Dank seiner Grösse ist Fury trotz den boxerischen Fähigkeiten von Usyk der Favorit. Die Wettquoten der Buchmacher sprechen eine eindeutige Sprache. Auch Angehrn hielt Fury wegen seiner gewaltigen Masse bis vor kurzem für den Favoriten. «Doch nach seiner schwachen Vorstellung gegen Ngannou bin ich mir nicht mehr so sicher», sagt er.
Kommentatoren diskutieren darüber, ob Fury am 28. Oktober bei seinem knappen Sieg gegen den Boxneuling Ngannou einfach einen schlechten Abend hatte oder ob er den Kampf nicht ernst nahm und sich nicht vorbereitete oder ob seine Leistung grundsätzlich abnimmt.
Donald McRae, der Sportjournalist der englischen Zeitung Guardian, vermutet, dass Fury wegen seines Reichtums, seines Prominenten-Lebens und seiner Netflix-Projekte der Biss und Hunger nach Erfolg abhandengekommen sei. Was auch immer hinter Furys schwacher Leistung gesteckt hat, die Chancen für Usyk, gegen Fury zu siegen, sind damit laut Angehrn gestiegen.
Der Siegeszug des Ukrainers
Der 191cm grosse Oleksandr Usyk bestritt die meisten seiner Profi-Kämpfe eine Stufe unter der Schwergewichtsklasse, dem Cruisergewicht bis 90,7 Kilogramm. Dort räumte er in fünf Jahren und 16 Kämpfen alles ab, was es zu gewinnen gibt. Deshalb begann er sich 2019 mit den Schwergewichten zu messen. Es war ein Siegeszug im Schnelldurchlauf. Bereits zwei Jahre nach seinem Debut in der höchsten Gewichtsklasse führte der Ukrainer den favorisierten britischen Weltmeister Anthony Joshua vor.
Zwar tauschte Usyk nach dem Kampf gegen Joshua seine Boxhandschuhe gegen ein Gewehr ein, um die ukrainische Hauptstadt Kiev gegen einen russischen Einmarsch zu verteidigen. Doch nach dem Rückzug der russischen Armee aus dem Norden der Ukraine kehrte er in den Ring zurück und besiegte Anthony Joshua ein weiteres Mal. Seither will die Boxwelt ein Duell zwischen Usyk und Fury sehen.
Fury beendete die Regentschaft der Klitschko-Brüder im Schwergewichts-Boxen mit seinem Sieg gegen Wladimir Klitschko im Jahr 2015. Das hat ihn zu einer Sportgrösse gemacht. Der Sieg gegen Klitschko war auch der Startschuss für seine Prominenz. Die Klatschpresse hat seither seine vulgären Ausfälle, seinen Geltungsdrang und seine Alkohol- und Drogenabstürze dankbar in die Schlagzeilen gebracht.
Nach seinem Sieg über Klitschko versank Fury in einem Sumpf aus Depressionen, Alkohol und Drogen. Er verlor kampflos seine Weltmeistertitel und die Boxlizenz. In der Netflix-Serie über Tyson Furys Familienleben beschreibt ihn seine Frau als bipolar, depressiv und hyperaktiv.
Erst zweieinhalb Jahre nach seinem Sieg über Klitschko stand er wieder im Ring. Seine zwei Siege über den K.-o.-Schläger und Weltmeister Deontay Wilder haben gezeigt, dass er immer noch auf höchstem Niveau Boxen kann. Dass Fury sich aus einer Depression und Suchtspirale wieder an die Weltspitze kämpfte, hat ihn über boxinteressierte Kreise hinaus bekannt gemacht.
Das Geld der Saudis
Doch für seine Einsätze will Fury immer mehr Geld. Die Manager von Fury und Usyk haben das Duell der beiden Athleten lange versprochen, verhandelt und immer wieder hinausgeschoben. Der ehemalige britische Box-Weltmeister Carl Forch vermutet in einem Interview in der Podcast-Reihe «Up Front», dass Fury den Kampf gegen Usyk gar nicht unbedingt wollte. Er habe einfach immer wieder unrealistische Summen für seinen Antritt verlangt und damit den Kampf verunmöglicht.
Es brauchte die locker sitzende Brieftasche des saudischen Königshauses, um das Duell endlich durchführen zu können. Das saudische Tourismusministerium warf offensichtlich so viel Geld auf, das Fury und sein Team schlicht nicht mehr ablehnen konnten.
Der Boxpromoter Bob Arum, der auch für Fury arbeitet, liess sich in einem Interview mit dem Boxing News Magazin entlocken, dass Fury für zwei, drei Kämpfe in Saudi-Arabien nahezu 200 Millionen Franken bekommen werde. Usyk dagegen, der im Gegensatz zu Fury kein Publikumsmagnet ist und den Kampf unbedingt wollte, bekommt vermutlich deutlich weniger Geld.
Im Frühling 2023 schrieb Usyk auf Twitter, sich für einen Kampf mit Fury mit weniger als der Hälfte von der Antrittsgage seines Gegners zu begnügen. «Usyk boxt nicht wegen des Geldes», ist Angehrn überzeugt. «Natürlich nimmt er es gerne, aber ihm geht es in erster Linie darum, dass der Kampf stattfindet und er mit einem Sieg Geschichte schreiben kann.»
Das saudische Königshaus möchte, dass diese Geschichte in Saudi-Arabien geschrieben wird. Die Unsummen, die die Saudis in den Boxsport investieren, sollen das Prestige des Landes erhöhen und Touristen ins Land locken. Die Vermarktung des Kampfes wird deshalb bald gigantische Ausmasse annehmen. Die ganze Welt soll wissen, dass in Riad ein ganz grosser Boxkampf über die Bühne gehen wird. Es wird ein Spektakel mit viel Pomp und Stars und Sternchen.
Die Generalprobe
Die Probe für den «grossen Kampf» fand am 28. Oktober in Riad statt. Dutzende Prominente wie Cristiano Ronaldo, Luis Figo, Kanye West oder Eminem sassen auf den besten Plätzen, um Musik- und Lichtshows und Boxkämpfe zu sehen. Der Hauptkampf des Abends zwischen Fury und dem Boxneuling Ngannou galt aber als ungleiches Duell. Der frühere Weltmeister Oscar de La Hoya, sagte gegenüber dem Sender TMZ zu der Wahrscheinlichkeit, dass Ngannou den Kampf gewinnen könnte: «Ich glaube, ich habe eine bessere Chance, Tiger Woods im Golf zu schlagen.»
Deshalb war die Boxwelt geschockt, als Ngannou in der dritten Runde Fury mit einem linken Haken auf die Bretter schickte. Für die saudischen Organisatoren der Boxevents stand plötzlich viel auf dem Spiel. Ein geschlagener Fury wäre nicht mehr so einfach für den «grössten Kampf im Boxen» vermarktbar gewesen. Zur Erleichterung vieler Akteure im Boxsport erhob sich Fury rechtzeitig und besiegte Ngannou doch noch knapp nach Punkten.
Trotzdem musste der Promoter Frank Warren eingestehen, dass der Kampf von Fury gegen Usyk, der für den 23. Dezember 2023 geplant war, ins 2024 verschoben werden müsse. Sein Schützling habe eine Platzwunde, die zuerst heilen müsse, sagte er zum Publikum. Fury stand dabei wie ein begossener Pudel neben seinem Promoter im Ring. Der Schock über seine Beinah-Niederlage war ihm deutlich anzusehen.
Warren versuchte aber schnell wieder Zuversicht auszustrahlen. Fury und Usyk würden in ein paar Monaten hier in Riad gegeneinander antreten, sagte er. «Die Sache ist beschlossen.» Und der Kampf werde «alle Kassenrekorde brechen. Das ist der grösste Kampf, den es gibt».